Thermodynamik "CCS-Verfahren sind aus ökologischer Sicht zum Scheitern verurteilt"
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23. April 2024, 09:51 Uhr
Der Forscher Bernhard Weßling hat sich mit Thermodynamik und der Entropie beschäftigt. Er kritisiert: Diese Naturgesetze würden bei Überlegungen, CO2 aus der Atmosphäre zu saugen und einzulagern, ignoriert.
Bernhard Weßling war ist Chemiker, Wissenschaftler und Unternehmer. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben, darunter "Was für ein Zufall", das sich mit dem Phänomen der Entropie beschäftigt, dem Naturgesetz, das beschreibt, wie das Universum auf einen Zustand totaler Vermischung und den absoluten Stillstand zustrebt. Dieses Phänomen habe große Bedeutung für das Verständnis von Klimawandel und Umweltschäden, werde aber weitgehend ignoriert, kritisiert er. Anlässlich eines neuen Positionspapiers der Leopoldina zum sogenannten Carbon Capture and Storage (CCS) hat er seine Analyse erneuert.
Sie argumentieren: CO2 aus der Atmosphäre zurückzuholen, verbraucht mehr Primärenergie als an nutzbarer Energie bei der ursprünglichen Verbrennung fossiler, also kohlenstoffbasierter Brennstoffe, gewonnen wurde. Warum ist das so?
Bernhard Weßling: Das liegt, wenn wir technisch sprechen, am Wirkungsgrad, thermodynamisch betrachtet ist es wegen der Entropie. Alle Vorgänge in der Natur und in der Technik erzeugen Entropie, d.h.: Es ist mehr Primärenergie erforderlich als dann an nutzbarer Energie zur Verfügung steht. Um CO2 aus der Atmosphäre zurückzuholen, benötigen wir etwa das Sechsfache an Primärenergie im Vergleich zu der Menge an nutzbarer Energie, die wir bei der Erzeugung der entsprechenden CO2-Menge gewonnen hatten.
Entropie ist grob vereinfacht gesagt die Grundtendenz des Universums, vom geordneten in einen chaotischen Zustand überzugehen. Bezogen auf die Stromerzeugung mit Kohle bedeutet das: Aus einem Kohleflöz, das Kohlenstoff in konzentrierter Form speichert, wird CO2, dass sich in der ganzen Atmosphäre verteilt hat, richtig? Ist der Versuch einer Reduktion dieser Entropie aus Ihrer Sicht zum Scheitern verurteilt?
Ganz grob vereinfacht kann man Entropie so verstehen, etwas genauer (immer noch einfach) ist es so: Ein Anstieg von Entropie in einem System ist identisch mit einem Verlust an Komplexität, an Funktionalität, und umgekehrt: Eine Erniedrigung der Entropie in einem System erfordert Energie (mit Wirkungsgradverlust), erzeugt aber funktionierende Komplexität. Das sehen Sie bei Pflanzen und Tieren, die wachsen, und am Menschen: Wir benötigen viel Energie von der Sonne (für die Äcker und vor Urzeiten für Kohle und Gas), erzeugen Entropie, erreichen aber auch funktionierende Komplexität – nämlich unser Leben, unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, Bewegung im Verkehr. Als das CO2 in der Atmosphäre verteilt wurde, erhielten wir einerseits Energie für uns und unsere Gesellschaft und Wirtschaft, andererseits erzeugten wir die doppelte Menge an Entropie, die nun in der Atmosphäre ist, erniedrigten aber die Entropie in Wirtschaft und Gesellschaft, und in unseren Körpern, wenn wir wachsen und uns entwickeln.
Natürlich kann man das CO2 wieder aus der Atmosphäre herausholen, aber wenn wir es mit Technologie, mit CCS-Fabriken machen, dann nur um den Preis, dass wir ein Vielfaches an Entropie woanders auf der Erde ablagern, in Form von Abfallhalden, Grundwasserabsenkung wegen Rohstoffabbau, weiterem Verlust an Biodiversität dort, wo die CCS-Fabriken stehen beziehungsweise wo wir die Energie für CCS herholen.
CCS-Verfahren sind aus ökologischer Sicht zum Scheitern verurteilt, weil sie alles andere als nachhaltig sind: Es wird ein Vielfaches an ungeplanten Umweltschäden verursacht, während wir eine Einheit an Schaden in der Atmosphäre reparieren. Und: Wir werden wahrscheinlich nicht einmal annähernd genug Energie dafür bereitstellen können.
Könnte CCS als Notoption betrachtet werden? Dass das Einfangen und Einlagern von CO2 zwar erheblich teurer ist, als das, was mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe ursprünglich verdient wurde, dass CCS aber dennoch alternativlos ist, weil sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre nicht mehr anders sinnvoll reduzieren lässt?
Es geht mir nicht um Kosten, teuer wird es auf jeden Fall. Aber CCS ist keine Notoption, wir brauchen auch keine solche, weil wir viel bessere Optionen haben, den CO2-Gehalt zu reduzieren: Wir sollten es die Natur machen lassen! In Mischwäldern mit beweideten Lichtungen und ordentlich viel gesundem Pilzmycelnetzwerken, die nachweislich enorm CO2 speichern, ebenso mit Biolandwirtschaft, und vor allem auch mit Mooren, Feuchtgebieten, Seegraswiesen und Kelpwäldern, mit viel mehr und größeren, sich selbst überlassenen Naturschutzgebieten und Nationalparks.
Auch die Naturprozesse erzeugen Entropie, die wird aber von der Erde abgestrahlt, wird nicht irgendwo "endgelagert", wie wir CO2 endlagern wollen.
Haben Sie den Eindruck, dass die Naturgesetze der Thermodynamik zwar bekannt, aber dennoch wenig verstanden sind in ihren Konsequenzen für die Bekämpfung der Klimakrise?
Es ist schlimmer: Die Naturgesetze der Thermodynamik sind nicht einmal bekannt; dass die Entropie ansteigt, wird als lebensfremdes abstraktes Phänomen angesehen. Dass die Entropie aber direkte Auswirkungen für unsere Lebensumwelt heute hat, Auswirkungen, die wir täglich sehen können in Form von Artenvernichtung, Grundwasserverlust, Grundwasservergiftung durch Nitrate und Pestizide, Bodenerosion aufgrund industriell-intensiver Landwirtschaft, Algenpest, Monokulturen in Wäldern und auf den Äckern, Abfallberge und Mikroplastik … das alles wird nicht mit Thermodynamik und Entropie in Verbindung gebracht.
Viele Physiker selbst verbreiten die Meinung, man brauche die Thermodynamik nicht, sie sei überholt, mit Quantenphysik werde man alles erklären und verstehen können. Das ist ein Irrtum. Sehr wichtig ist auch, dass wir nicht die Klimakrise allein im Sinn haben dürfen, sondern nur in engstem Zusammenhang mit der Krise der Artenvielfalt!
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 26. Februar 2024 | 15:00 Uhr
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