Heldinnen und Helden gesucht! Braucht unsere Gesellschaft mehr Mut?
Hauptinhalt
11. Februar 2025, 12:45 Uhr
Deutschland gilt als Land der Zauderer und Zögerer. Braucht es neue Heldinnen und Helden, um unser Land voranzubringen? Oder widerspricht die Sehnsucht nach starker Führung letztlich der demokratischen Idee?
Die deutsche Wirtschaft schrumpft; die Parteien sind uneins, wie sie die Probleme des Landes lösen können. Große Ideen für die Zukunft scheinen Mangelware. Und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger blickt mit Sorgen auf das Jahr 2025, so legen es Umfragen nahe. Es herrscht Krisenstimmung. Macht sich hier wieder einmal die "German Angst" bemerkbar? Zaudern und Zögern statt mutiges Vorangehen?
"Die meisten großen Schwierigkeiten, die wir haben, verlangen, dass man für bestimmte Dinge einsteht. Und wenn wir alle den Mut verlieren und das nicht tun, dann werden unsere Standards vermutlich so zerbröseln", sagt Dagmar Borchers, Professorin für Angewandte Philosophie an der Universität Bremen. "Mit der Konsequenz, dass wir mit den gesellschaftspolitischen und sozialen Ergebnissen dann auch irgendwie leben müssen."
Das Bedürfnis nach Mut ist jedenfalls groß: Dreiviertel der Deutschen wünschen sich mehr Mut in unserer Gesellschaft und mehr mutige Personen, so das Ergebnis einer Umfragereihe der Stiftung für Zukunftsfragen. Die Stiftung wollte ebenfalls wissen, was einen mutigen Menschen auszeichnet. Der Großteil der Befragten antwortete: Ein mutiger Mensch ist selbstbewusst, übernimmt Verantwortung, überwindet Widerstände, steht für Werte ein, ist optimistisch und strebt Veränderung an.
Helden entlasten uns
Ein mutiger Mensch kann Vorbild sein. Denn auch davon wünschen sich die Deutschen mehr. Querbeet durch alle Bereiche der Gesellschaft: Sei es bei Politikerinnen, bei jeder Bürgerin und jedem Bürger, bei Erziehern und Lehrerinnen, bei Vorgesetzten, Familienmitgliedern, Wissenschaftlerinnen und Freunden. Der Wunsch nach Vorbildern ist groß, doch die Realität bewerten die Deutschen anders: Nur ein Bruchteil der Befragten sagt, dass die genannten Beispiele tatsächlich auch eine Vorbildfunktion hätten.
Diese Sehnsucht und Suche nach Vorbildern – gerade in Zeiten der aktuellen Herausforderungslage und der anstehenden Bundestagswahl – ist für Soziologie-Professor Ulrich Bröckling von der Universität Freiburg i. Br. nicht verwunderlich: "Heldengeschichten haben immer dann Konjunktur, wenn es in irgendeiner Weise eine Krise gibt und damit den Menschen in besonderem Maße Dinge zugemutet werden. Und diese Figuren dann die Bewältigung dieser Zumutungen exemplarisch verkörpern und die wir deshalb nachahmen sollen." Der Held als vermeintlicher Retter in der Not, als Sinnstifter und als Entlastungshilfe unserer selbst.
In seinem Buch "Postheroische Helden – Ein Zeitbild" beschäftigt sich Bröckling mit der Figur der Heldinnen und Helden – nicht nur jener aus Superhelden-Comics, Kino-Blockbustern, Computerspielen und Heldensagen, sondern auch der der Jetztzeit aus Politik, Wirtschaft, Sport und Gesellschaft. Bröcklings These: Das einstige Bild des furchtlosen, kämpferischen und allseits gefeierten Helden hat ausgedient – "zu viel Pathos, zu viel Männlichkeitsausdünstungen, zu viel moralischer Zeigefinger".
Am Heldenbegriff klebt immer auch Blut
Bröckling tut sich schwer mit dem Heldenbegriff in heutiger Zeit, denn dessen Konzept beruht stets auf etwas kämpferisch-kriegerisch-militaristischem. Und doch scheint es einen schier unstillbaren Heldenhunger in uns zu geben: "Denken Sie an die Heldenkulte, wie sie im Moment in Russland ganz massiv da sind und in der Alltagskultur permanent in den Medien verbreitet werden. Und dass dann ein Land und eine Bevölkerung wie die der Ukraine durch den Verteidigungskrieg auch Helden-Geschichten erzählt, auch mobilisieren muss, zeigt ja nur, welches Maß an Zumutung, an Opfern da erbracht wird."
Die Heldenfigur wird suspekt, die Heldengeschichte verkommt zur bloßen Kriegspropaganda: "Man muss nicht nur Menschen dazu bringen, sich zu Soldaten machen zu lassen, sondern man muss Menschen auch dazu bringen, dass die Toten des Krieges irgendwie mit Sinn aufgeladen, dass deren Tod als gerechtfertigt, eben als Heldentat oder Heldentod gefeiert wird. Und ich finde das in einem ganz elementaren Sinne moralisch schier unerträglich."
Die Politik der starken Männer
Und mit dem spürbaren Machtgewinn nationalistischer, (rechts-)populistischer, autoritärer Führergestalten kehren schließlich auch vermeintliche Heldenfiguren auf die politische Weltbühne zurück: "Also man kann sicher sagen, dass diese Gruppen, diese Parteien, diese Bewegungen auch sehr stark nationales Heldentum, Opferbereitschaft, vergangene Kriegshelden wieder feiern und zum Teil aus der Versenkung wieder hervorholen oder auch aktuell neue Figuren da kreieren. Und dass diese Formen der Politik auch immer mit Politiken der nationalistischen oder auch militaristischen Heroisierung verbunden sind."
'Strongman Politics' nennt Bröckling sie in seiner Forschung: oftmals narzisstisch geprägte Führungspersönlichkeiten, die mit vermeintlich einfachen Schwarz-Weiß-Schablone arbeiten, mit Polarisierung und starken Emotionen statt realistischen Konzepten der politischer Krisenbewältigung. Ihre klare Ansage: Wir wissen, dass es schlechter wird. Aber wir versprechen euch auch letztlich nicht, dass es besser wird.
"Und diese Form der Starken-Männer-Politik, die erstens sehr nationalistisch ist und zweitens die Personen, die ohnehin schon in der Gesellschaft sozial benachteiligt sind, noch massiv weiter benachteiligt, diese Politik findet Zustimmung bei denen, die glauben, dass sie noch ein klein bisschen da drüber stehen und wenigstens ihren Frust ablassen können an denen, die noch schwächer sind."
Die Starke-Männer-Politik ist also nicht mehr das Helden-Modell des weisen Staatsmanns oder guten Königs, sondern Identifikation mit purer Destruktivität. "Gewissermaßen ein Modell des Anführers einer Horde, die jetzt ihre Interessen durchsetzt und die auch in ihrer Rücksichtslosigkeit ein Modell für andere gibt, ebenfalls rücksichtslos zu sein."
Und wir hier in Deutschland? Immer mehr Menschen sehnen sich auch hierzulande nach einer starken Hand, nach mehr Führungskraft, nach einer Art Heldenfigur, die den Karren aus dem Dreck zieht: Fast ein Viertel der Menschen in Deutschland wünscht sich eine stärkere politische Führung, das geht aus der aktuellen Leipziger Autoritarismus Studie hervor.
Demokratie wagen, heißt Mut wagen
"Mut ist wichtig, weil das eine Tugend ist, die uns hilft, uns an einem bestimmten Punkt im Leben zu überwinden", so die Philosophin Dagmar Borchers. "Und wenn wir mutig sind, eröffnen wir uns Handlungsspielräume. Dann können wir Dinge tun, die wir sonst auf jeden Fall nicht tun könnten."
Mut ist wichtig, weil das eine Tugend ist, die uns hilft.
Dabei befürchtet Borchers, dass wir bestimmte Dinge, wie etwa unsere Demokratie, oftmals für zu selbstverständlich halten. Und dass man sie im Ernstfall viel schwerer wieder wird aufbauen können, als dass man sie aufgegeben hat. "Deswegen ist es wichtig, dass wir erkennen, dass sich diese Dinge nicht von selbst regeln, sondern dass wir da auch selbst gefragt sind in gewisser Weise." Eine Demokratie fordert also den Mut zum Handeln aller, um überhaupt bestehen und sich auch weiterentwickeln zu können.
"Ich glaube, dass ein mutiges Leben ganz viel mit einem Freiheitsgefühl zu tun hat, sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Also wer mutig ist, erlebt sich ja als frei und stark. Und das hat auch ganz viel mit gestalten können zu tun, mit eingreifen können, die Dinge beeinflussen und mitmischen zu können. Und das ist, glaube ich, ein sehr, sehr positives Lebensgefühl." Mut bringt also nicht nur uns selbst voran, sondern auch unsere Gesellschaft als Ganzes.
Heldenfiguren passen nicht in eine Demokratie
Und braucht es nicht auch deshalb in solch schwierigen Zeiten Menschen, die uns als Vorbild dienen, die uns inspirieren, uns Hoffnung schenken und zum Handeln, zum Verändern und Mitgestalten motivieren? Unbestritten, auch für Bröckling. Nur eben nicht in Form von Helden. Denn Demokratie lebt von der Idee der Gleichheit aller. Und so wählen wir als Bürgerinnen und Bürger die Vertreter unserer Demokratie in Ämter. Aber eben in Ämter auf Zeit, sie sind also ersetzbar. Und dem läuft Heldentum ja komplett entgegen.
"Ich kann für diejenigen, die die Demokratie verteidigen, riesigen Respekt haben – und das habe ich auch", so Soziologe Bröckling. "Aber Helden sind immer auch Figuren, die schon deshalb nicht zu Demokratien passen, weil sie als herausgehobene, einzelne Figuren gewissermaßen über der Masse stehen. Zu Helden schaut man eben auf. Und ich glaube, wenn man dauernd aufschaut, dann kriegt man Nackenstarre, aber wird nicht unbedingt jemand, der Demokratie verteidigt."
Wenn man dauernd aufschaut, dann kriegt man Nackenstarre.
Für Bröckling sind Helden lediglich Problemanzeiger, aber keine Problemlöser. Und vor allem nicht in Hinblick auf die heutigen Herausforderungen einer so komplexen, technisierten, medialisierten Gesellschaft: "Dafür brauchen wir gute Organisation, gute Institutionen und wir brauchen – wenn es um politische Fragen geht – kollektive Proteste, kollektives Engagement in Parteien und in sozialen Bewegungen, um zum Beispiel die Gefährdung von Demokratie zu bekämpfen oder die Demokratie zu erhalten." Und dabei gehe es eben um kollektives Handeln und nicht um das Handeln einzelner, herausgehobener Heldenfiguren oder Heldinnenfiguren, so Bröckling.
Mit der demokratischen Gleichheit aller geht zumindest laut Bröckling auch eine Verantwortung aller für unser Zusammenleben einher. Große Helden passen da nicht hinein. Es heißt aber auch: Uns allen stünde ein wenig mehr Mut gut zu Gesicht.
Links/Studien
Bröckling, Ulrich: Postheroische Helden – Ein Zeitbild (Suhrkamp Verlag, 2020)
Decker, Oliver / Kiess, Johannes / Heller, Ayline / Brähler, Elmar: Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen – Leipziger Autoritarismus Studie 2024 (Psychosozial-Verlag, 2024)
Reinhardt, Ulrich (Hrsg.): German Mut statt German Angst – 44 Ideen für eine bessere Zukunft (Stiftung für Zukunftsfragen, 2023)
Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR Wissen Meine Challenge | 07. Februar 2025 | 12:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/b55a1498-ad2b-4fdd-83f7-1420314cd2cc was not found on this server.