Micro Bravery Das Mutigsein im Alltag lernen

19. Februar 2025, 09:05 Uhr

Die gute Nachricht gleich vorweg: Mut lässt sich erlernen und trainieren! Doch welche Faktoren beeinflussen überhaupt, ob wir mutig oder eher risikoscheu sind? Wie treffen wir mutige Entscheidungen im Alltag? Und was bringt uns eigentlich all das Mutigsein für unsere Persönlichkeit, unsere psychische Gesundheit und unser Leben?

Ob und wie mutig oder auch wie risikofreudig wir im Alltag sind, wird von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst, erklärt der Verhaltens- und Entscheidungsforscher Thorsten Pachur von der TU München. "Das sind zum einen Faktoren, die festgelegt sind durch beispielsweise unser Geschlecht." Denn in der Regel zeigen sich Männer oftmals mutiger als Frauen.

"Oder das Alter, auch da gibt es relativ klare Zusammenhänge", führt Pachur fort. Jüngere Menschen zeigen sich in vielen Untersuchungen risikofreudiger als ältere Menschen. Wobei das nicht immer gilt: Pachur und sein Team konnten in einem Verhaltens-Experiment zeigen, dass bei Entscheidungen, bei denen zwei risikoreiche Gewinn-Optionen zur Wahl stehen, sich ältere Menschen eher für die Variante mit dem höheren Risiko entscheiden, getreu dem Motto: Wenn schon Risiko, dann aber richtig!

Mut ist auch von unserem Wesen geprägt

Ebenso scheint auch die Körpergröße einen Einfluss auf unser Mut-Level zu haben, ergänzt Pachur mit einem kleinen Lächeln. "Interessanterweise sind Menschen, die etwas größer sind, auch eher bereit, Risiken einzugehen, zumindest wenn man sie selbst befragt."

Thorsten Pachur, Professor für Methoden der Verhaltensforschung an der TU München
"Jeder Entscheidung wohnt ein Moment des Loslassens und des Risikos inne", sagt Verhaltens- und Entscheidungsforscher Thorsten Pachur. Bildrechte: MDR/Thorsten Pachur

Neben diese körperlichen Merkmalen spielen auch Persönlichkeitsmerkmale eine zentrale Rolle. "Leute, die besonders impulsiv sind, die sind auch eher risikobereit", so Pachur. "Und mit Impulsivität ist beispielsweise gemeint, wie sehr jemand nachdenkt, etwas zu sagen oder zu handeln."

Bin ich also eher eine Person, die beispielsweise auch gerne mal spontan Geld ausgibt und sich beim Online-Shopping mit Dingen eindeckt, die sie vielleicht gar nicht wirklich benötigt? Oder bin ich im Gegenteil eher eine Person, die vorausplant, an die Zukunft denkt und mit Bedacht Sachen kauft, die sie tatsächlich auch braucht? Impulsive Menschen geben ihrer Angst also mitunter weniger Raum und schätzen Risiken optimistischer ein.

Unser Mut-Muskel lässt sich trainieren

"Und neben diesen etwa eher feststehenden Faktoren, gibt es auch solche, die mit unserer Lebensgeschichte zu tun haben", erklärt der Verhaltensforscher. "Also beispielsweise welche Erfahrungen wir im Leben gesammelt haben. Auch das hat einen Einfluss darauf, wie risikobereit wir sind." Und das wiederum bedeutet, dass wir eine gewisse Risiko-Bereitschaft oder einen gewissen Mut auch erlernen können – beziehungsweise auch wieder verlernen können.

Eine gewisse Risiko-Bereitschaft, einen gewissen Mut können wir erlernen.

Thorsten Pachur, Professor für Methoden der Verhaltensforschung, TU München

Doch nur, weil wir in einer bestimmten Situation mutig handeln, bedeutet das nicht automatisch, dass wir das in einer anderen Situation auch tun. Denn Mut bzw. Risikobereitschaft sind domänenspezifisch, erklärt Pachur. "Wenn man jetzt die Risikobereitschaft einer Person in einer Domäne misst, heißt das nicht unbedingt, dass man davon auch Rückschlüssen schließen kann, wie risikobereit die Personen in anderen Domänen sind." Wenn Leute also beispielsweise an der Börse viel Geld investieren und mit Aktien spekulieren, dann heißt das nicht, dass sie auch in ihrer Freizeit große Risikobereitschaft zeigen, indem sie etwa eine Bergwand ohne Sicherungsseil hinaufklettern würden. Niemand von uns ist also immer nur mutig oder immer nur ängstlich. Wir alle haben quasi unsere individuellen Mut-Steckenpferde.

Ohne Mut kein Vorankommen in der Welt

Dass wir in uns unbekannten und unsicheren Situationen grundlegend erstmal zurückhaltend sind und vielleicht auch ein mulmiges Gefühl im Magen haben, ist evolutionsbiologisch in uns verankert, sagt Thorsten Pachur: "Risikoreiche Situationen sind ja häufig dadurch charakterisiert, dass da irgendetwas auf dem Spiel steht und wir auch mit einer gewissen Unsicherheit konfrontiert sind. Und damit tun wir uns als Menschen relativ schwer. Das heißt, wir haben immer erstmal so eine leichte Tendenz, vorsichtig zu sein, wenn wir uns in eine risikoreiche Situation begeben." Was uns wahrscheinlich auch das Überleben als menschliche Spezies gesichert hat.

Und doch: Ganz ohne Risiko und ohne Mut wären wir auch nicht weitergekommen. "Über die meisten Dinge, die uns im Alltag begegnen und bei den meisten Entscheidungen, die wir treffen können, ist es so, dass wir nur begrenzt Informationen haben" sagt Pachur. "Und wenn wir uns jetzt immer nur auf die Sachen verlassen würden, die wir gut kennen, über die wir viele Informationen haben, würden wir nicht besonders viel erleben. Das heißt im Endeffekt brauchen wir einen gewissen Mut, um uns voranzubringen, um was von der Welt zu erleben."

Wir brauchen einen gewissen Mut, um uns voranzubringen, um was von der Welt zu erleben.

Doch wie gelingt es uns, im Alltagsleben öfter mal mutig zu sein und mutige Entscheidungen zu treffen? "Eine dieser Strategien ist, sich zu überlegen: Was sind denn die möglichen positiven Dinge, die passieren können? Was sind die möglichen negativen Dinge, die passieren können? Und wie wahrscheinlich sind denn die jeweils?", erläutert Thorsten Pachur.

Wir erstellen also eine Pro- und Contra-Liste und wägen innerlich zwischen Gefahren und Gewinn-Optionen ab. "Und wenn man mal den Kopf einschaltet und sich wirklich klarmacht: Ja, da kann was passieren, was mir überhaupt nicht gefällt, aber es ist wirklich sehr, sehr unwahrscheinlich, dann kann es durchaus helfen, dass man sich diesen Ruck gibt."

Negative Gefühle konstruktiv nutzen

Und dass dabei dieses mulmige Gefühl in der Bauchgegend nie ganz weggehen wird, findet Verhaltensforscher Pachur gar nicht schlimm. Statt es unterdrücken und wegschieben zu wollen, sollten wir es konstruktiv nutzen: "Möglicherweise kann dieses Gefühl, diese Aufregung eben auch verwendet werden, um mich – beispielsweise vor einem großen Auftritt vor vielen Leuten oder vor einem Fallschirmsprung – zu konzentrieren, zu sammeln und dann sozusagen auch im Endeffekt das Risiko in der Situation zu reduzieren."

Und wenn wir uns schließlich doch überwinden, uns tatsächlich trauen, dann lernt nicht nur unser Kopf mutiger zu sein, weiß Pachur: "Wenn man erfährt, dass es nicht so gefährlich ist, Fallschirm zu springen oder eine Wand hochzuklettern oder jemanden anzusprechen oder einen Vortrag zu geben, dann wird sich auch sozusagen der Körper, die Physiologie, daran gewöhnen und es eben dazu führen, dass Sie weniger aufgeregt sind und lernen, emotional mutiger zu werden."

Mut tut gut – unserer Seele und unserem Körper

Außerdem verweist Pachur auf den Einfluss von Emotionen auf unsere Risikobereitschaft: "Da gibt es in gewisser Weise auch eine Konkurrenz zwischen der Art und Weise, wie wir uns fühlen und nach welchen Informationen wir suchen. Wenn wir besser drauf sind, wenn wir positiv gestimmt sind, dann gucken wir in Entscheidungs-Situationen vor allem nach solchen Dingen, die uns Freude bereiten würden."

Das heißt, Ihren nächsten Ausflug oder Urlaub sollten Sie bestenfalls mit guter Laune planen. Denn das wird vermutlich ihre Abenteuerlust und Entdeckungsfreude fördern, statt dass Sie nach Beschwerde-Berichten über die Unterkunft oder Unfall-Meldungen vom Urlaubsort suchen.

Und auch gesundheitlich haben wir wohl etwas vom Mutigsein: Eine mehrwöchige Untersuchung um den Psychologen Christopher Keller zeigte beispielsweise, dass der Wille, mutig zu sein, sich psychosomatisch auswirkt: Wer mutiger ist, hat weniger Beschwerden wie Schwindel, Übelkeit oder Bauchweh.

Links/Studien

Christopher J. Keller: Courage, psychological well-being, and somatic symptoms (Clinical Psychology Dissertations, 2016)

Pachur, Thorsten: Alte Angsthasen? Wie sich Risikoentscheidungen über die Lebensspanne verändern. In: Beniermann, Anna / Bauer, Michael (Hrsg.): Nerven kitzeln (Springer, 2019)

Pachur, Thorsten / Spaar, Melanie: Domain-specific preferences for intuition and deliberation in decision making (Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 2015)

Pachur, Thorsten et al.: Who Dares, Who Errs? Disentangling Cognitive and Motivational Roots of Age Differences in Decisions Under Risk (Psychological Science, 2017)

Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 14. Februar 2025 | 12:00 Uhr

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