Autoritarismus-Studie Wollen wir einen Anführer?
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13. November 2024, 15:05 Uhr
Der Wunsch nach einer autoritären Führung wird größer. 21 Prozent der Ostdeutschen und sogar ein Viertel der Westdeutschen könnten sich einen Führer vorstellen, der mal mit starker Hand durchgreift. Das geht aus der neuen Autoritarismus-Studie hervor. Warum ist das so? Und warum plötzlich auch im ehemaligen Westen?
Oliver Decker ist Chef des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung an der Uni Leipzig und einer der Autoren der sogenannten Autoritarismus-Studie. Die kommt alle zwei Jahre raus und befasst sich damit, in welchem Zustand sich unsere Demokratie befindet und wie verbreitet extremistische Einstellungen sind. Für Decker kommt es nicht überraschend, dass der Wunsch nach einem starken Mann im Westen mittlerweile größer ist als im Osten. Aber er findet etwas anderes noch viel bemerkenswerter: "Was mich wirklich beschäftigt, ist gar nicht so sehr der Wunsch nach einem Führer, sondern dass der Wunsch noch sehr viel stärker ist nach einer starken Partei. Da sehen wir im Grunde genommen, dass sich das mehr oder weniger fast vierzig bis fünfzig Prozent vorstellen können."
Fast die Hälfte der Deutschen! Es geht nicht um starke durchsetzungsfähige Parteien, sondern fast die Hälfte der Deutschen könnte sich vorstellen, dass es die eine, wirklich die eine Partei geben sollte, ähnlich wie die SED in der DDR oder die KP in China.: "Es geht nicht um eine große Zahl an Parteien, die dann nicht in einer Arena, in einem Parlament ringen um den richtigen Weg. Nein, genau das Gegenteil, das soll nicht der Fall sein."
Einige Deutsche wollen autoritäre Partei
Es wächst also nicht das Verlangen nach einem starken Anführer, sondern nach einer autoritären Partei. Decker: "Sie verkörpert den Volkswillen, da gibt es keine Differenzen. Dann ergibt sich der Wille ja sozusagen. Da muss man auch nicht immer Aushandlungsprozesse einleiten. Und das Interessante an der Sache ist: Ja, das kann ein Führer sein." Wir seien aber in einer Phase, in der es eine Partei sein soll. Im Moment gibt es ihn wohl nicht – den charismatischen Führer, der viele Deutsche hinter sich vereinen kann. Außerdem folgt der Wunsch nach einer starken autoritären Partei unserem Instinkt zur Gruppenbildung. Es gibt den Trend, dass Gruppenzugehörigkeiten immer mehr an Bedeutung gewinnen. Völlig unabhängig, wo man sich politisch zu Hause fühlt.
Gruppenbildung mit harten Normen. Übersetzt heißt das auch: Gruppen mit ideologisch gefestigten Positionen. Das hört sich nicht nach Dialog oder nach Gesprächsbereitschaft an. Aber da sind wir schon bei einem anderen Problem, das unsere Demokratie seit geraumer Zeit hat. Das sind nicht autoritäre Wunschvorstellungen und Interessen, das ist der Zustand, in dem sich unsere Demokratie selbst befindet und solchen Wünschen Nahrung gibt.
Fehlende Debattenkultur
"Wir haben durch eine politische Entwicklung der letzten Jahre eine marode Infrastruktur: Die Schulen sind kaputt, die Bahn ist am Ende und das fiel ja nicht vom Himmel." Das sei das eine Problem momentan, sagt Oliver Decker und das andere ist mindestens genauso grundsätzlich: die fehlende Debattenkultur. Nämlich, dass viele Entscheidungen wie der Corona-Lockdown oder die Abschaltung der Kernkraftwerke als alternativlos bezeichnet würden:
"Das Problem an der Sache ist, dass wir mindestens seit Merkel die Losung der Alternativlosigkeit haben. Es wird nicht mehr verhandelt. Und die Lösung, jetzt auf eine starke Partei zu setzen, die auch nicht mehr verhandelt, setzt ja sozusagen auf dieselbe Fiktion. Und was in der Zwischenzeit aufgelaufen ist, ist eine wahnsinnige Frustration und eine wahnsinnige Wut."
Widerspruch: Fehlende Debattenkultur durch Alternative ersetzen, die keine Debatten zulässt
Zum einen ist der Wunsch nach einer einzigen (autoritären) Partei zumindest erklärbar. Das kann man sich herleiten, aus dem, was passiert und was nicht passiert. Zum anderen ist das aber völlig widersinnig, überhaupt nicht logisch, wie Decker meint. Also fehlende Alternativen durch eine Alternative zu ersetzen, die gar keine Diskussion mehr zulässt. Das Modell der Demokratie verliert offenbar immer mehr an Attraktivität und Vertrauen. Oliver Decker erzählt eine Geschichte, die von dem Soziologen Leo Löwenthal stammt, der Populismus und Demagogie der Nazis analysiert hat.
Die Geschichte von der Busfahrt über Land ist genau das, was wir heute erleben:
"Der Bus ist voll. Die Menschen sind ganz eng eingepfercht. Die Luft ist schlecht. Es geht kaum vorwärts. Sie sind alle unzufrieden. Was macht der faschistische Agitator: Lass uns die Ausländer rausschmeißen, da hamm wir hier kein Problem, da hamm wir hier genug Platz. Was sagt der Demokrat: Liebe Leute, ich hab den Verdacht, es sind zu wenig Busse auf der Linie eingesetzt. Wenn wir uns zusammentun, dann können wir erreichen, dass mehr Busse fahren, dann haben wir alle mehr Platz."
Schnelle einfache Lösungen auf Kosten anderer sind meist nicht das cleverste, das zeigt uns die Geschichte immer wieder. Da geht es gar nicht nur um Ausländer, das gilt generell. Aber wir mögen schnelle und einfache Lösungen. Dabei müssten wir doch alle wissen, dass, wenn's juckt, Kratzen zwar die schnellste und einfachste Reaktion ist, aber nicht unbedingt die Lösung ist, sondern die Wunde größer und infektiöser macht. Das ist ein Bild, das Decker in diesem Zusammenhang bringt.
Der Osten ist durch die Wahlen sozusagen zwei Jahre voraus.
Wir haben hier also eine Studie vorliegen, die wissenschaftlich gut unterlegt ist. Über 2.500 Teilnehmende aus allen Bevölkerungsschichten – dick, dünn, jung, alt, schwarz, weiß, mit unterschiedlichen sexuellen Vorlieben, Veganer und solche, die gern auch mal Rinderhack essen. Und diese Studie hat nicht nur Statistik zu bieten und sagt, dass vierzig bis fünfzig Prozent nichts gegen eine starke autoritäre Partei hätten. Sondern sie sagt auch etwas über die Stimmung im Land. Und diese Stimmung nimmt auch im Westen Deutschlands zu. Auch das ist eine Erkenntnis: "Der Osten ist durch die Wahlen sozusagen zwei Jahre voraus. Das wird da nur sichtbarer. Das Problem werden wir aber auch im Westen haben und die Zahlen deuten es sehr klar an."
Wir haben also eine klare Antwort auf die Frage: Warum wächst die Sehnsucht nach einer straffen Hand. Es ist in erster Linie der Zustand unserer Demokratie, der diese Sehnsucht befördert. Was wir jetzt also bräuchten, sagt Decker, wären lebendige Debatten, eine gemeinsame Suche nach Lösungen, um sie dann auch entschlossen umzusetzen: "Eine politische Diskussion: Wie wollen wir eigentlich zusammenleben?"
Autoritarismus-Studie
Zum Nachlesen: Die Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig "Vereint im Ressentiment" von Prof. Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler.
Für die Studie mit dem Titel «Vereint im Ressentiment» hat das Meinungsforschungsinstitut USUMA zwischen Ende März 2024 und Mitte Juni 2024 bundesweit 2.500 Menschen befragt. Die Befragung ist repräsentativ für die deutschsprachige Wohnbevölkerung. Die Sonntagsfrage wurde ausschließlich von bei der Bundestagswahl wahlberechtigten deutschen Staatsbürgern beantwortet.
Die Studie entstand in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung der IG Metall.
Dieses Thema im Programm: MDR | Die großen Fragen in zehn Minuten | 13. November 2024 | 13:00 Uhr