Genetisches Screening Wird mein Kind eine Erbkrankheit haben?

24. November 2024, 14:00 Uhr

Genetische Untersuchungen können das Risiko der Übertragung einer Erbkrankheit bestimmen. Allerdings sind diese Screenings nicht immer korrekt und können ethisch fraglich sein. Drei Ethiker kommentieren eine aktuelle Untersuchung.

Es ist endlich so weit. Ein Paar möchte seinen nächsten Schritt in der Familienplanung machen und wünscht sich sein erstes Kind. Da sind aber noch die Sorgen: Werden wir gute Eltern sein? Können wir es finanziell stemmen? Wird unser Kind gesund sein?

Letzteres lässt sich mit einem genetischen Screening beider Elternpaare herausfinden – auch wenn nicht immer alle Ergebnisse richtig sind. Deswegen sehen Ethiker in einem allgemeinen Screening von Wunscheltern mehr Risiken als Chancen. Wie reagieren Eltern auf die Ergebnisse, etwa bei einem erhöhten Risiko für ein krankes Kind? Ändern die Paare ihr Vorgehen bei der Familienplanung? Ist das verständlich … oder nicht?

Eine australische Forschungsgruppe hat die Durchführbarkeit, Akzeptanz und Ergebnisse eines allgemeinen Screening-Angebots für werdende Paare in Australien untersucht, worüber MDR WISSEN bereits berichtet hat. Das Angebot eines erweitertes Carrier-Screening richtete die Gruppe an 19.000 australische Paare.

Bei den wenigsten Paaren ersteht ein erhöhtes Risiko, aber …

Etwa die Hälfte von ihnen, 9.107 Paare, haben das Angebot angenommen. Es handelte sich um Paare, die eine Schwangerschaft planen oder bei denen die Frauen bereits bis in der zehnten Woche schwanger waren.

Eine Schwangere Frau liegt mit ihren zwei Kindern im Bett
Kinder sind der Wunsch vieler Familien. Doch bei jeder Schwangerschaft kann es zu Risiken kommen. Bildrechte: IMAGO/Westend61

Der Test identifizierte 355 Paare mit einem erhöhten Risiko, ein Kind mit einer vererbbaren Krankheit zu bekommen. 180 Paaren war ihr erhöhtes Risiko bereits bekannt, für 175 Paare war das Ergebnis eine neue Erkenntnis. Von diesen 175 Paaren änderten 134 daraufhin ihre Familienplanung.

"Oftmals ist Personen der Unterschied zwischen einem genetischen Risiko und einer notwendigen Konsequenz von Reproduktionsentscheidungen nicht klar", erklärt Giovanni Rubeis von der Karl-Landsteiner-Privatuniversität (Krems an der Donau, Österreich).

"Ein Screening könnte daher auch den Effekt eines sogenannten 'information overload' haben, was eine selbstbestimmte Reproduktionsentscheidung nicht stärkt, sondern unterminiert", ergänzt Rubeis. Die australische Forschungsgruppe konnte in ihrer Studie zeigen, dass sich 73,1 Prozent der Paare, bei denen die Partnerin nicht schwanger war, schließlich für den Weg der künstlichen Befruchtung entschieden. Dabei können die Embryonen genetisch untersucht und vorselektiert werden.

Bereits schwanger und nun kann mein Kind eine Erbkrankheit haben. Was jetzt?

Jedoch waren bereits 45 Frauen zum Untersuchungszeitpunkt schwanger. Darauf entschieden sich 29 dieser Paare für eine genetische Untersuchung des Fötus. Trotz erhöhtem Risiko der Krankheitsvererbung war die genetische Untersuchung beim Fötus in 24 Fällen unauffällig.

"Es bleibt letztlich unklar, wem dieses Screening nützt: Ob es tatsächlich um das Wohl von Reproduktionspartnern oder ein (vermeintliches) Gemeinwohl geht", sagt Rubeis. Ähnlich sieht es Nils Hoppe von der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität in Hannover: "Eigentlich betrifft der Trägertest nicht in erster Linie das werdende Leben, sondern ist ein genetischer Test von Personen, die Sicherheit über ihre genetische Veranlagung haben wollen."

Schwangerschaftsabbruch oder Kind behalten

Es gab fünf Paare, bei denen die genetische Untersuchung des Fötus ein auffälliges Testergebnis enthielt. Was nun? Schwangerschaftsabbruch – der auch mit einem erhöhten gesundheitlichen Risiko für die Frau einhergehen kann? Die Ergebnisse ignorieren? Oder sie akzeptieren und sich für das werdende Leben entscheiden? Vier dieser fünf Paare entschieden sich für einen Schwangerschaftsabbruch.

Es ist das gute und persönliche Recht der Paare – und vor allem der betroffenen Frauen – über einen Abbruch der Schwangerschaft zu entscheiden. Das steht auch nicht zur Diskussion. Jedoch wurde in 83 Prozent der Fälle – trotz erhöhtem Risiko – keine Erbkrankheit an den Fötus weitergegeben.

Julia Zejn 7 min
Bildrechte: MDR/Lukas Lindner

Di 28.03.2023 13:23Uhr 07:07 min

https://www.mdr.de/kultur/videos-und-audios/video-sonstige/video-leipzig-abtreibung-schwangerschaftsabbruch-comic-julia-zejn-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Julia Zejn 7 min
Bildrechte: MDR/Lukas Lindner
7 min

Di 28.03.2023 13:23Uhr 07:07 min

https://www.mdr.de/kultur/videos-und-audios/video-sonstige/video-leipzig-abtreibung-schwangerschaftsabbruch-comic-julia-zejn-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

"Derartige Screenings könnten auch darauf abzielen, die Existenz von Menschen mit bestimmten Behinderungen zu verhindern, somit zu eugenischen Zwecken eingesetzt werden", äußert sich Rubeis kritisch.

Einordnung des genetischen Screenings

Solche Screenings können laut Hoppe auch falsche Ergebnisse produzieren oder es können Laborfehler passieren: "Das kann zu einer unnötigen Belastung für die potenziellen Eltern werden."

Es gibt viele falsch-positive Resultate, erklärt Markus Zimmermann von der Universität Freiburg in der Schweiz: "Das heißt, dass als vorbelastet identifizierte Paare gleichwohl Kinder bekommen, die dann aber nicht betroffen sind." Zudem ist bei vorliegender Belastung unklar, wie stark ein Kind betroffen sein würde.

Besonders kritisch sieht Zimmermann das Ergebnis eines Screenings für Eltern ohne erhöhtes Risiko: "Es bewirkt eine falsche Sicherheit bei den vielen Wunscheltern, die als nicht belastet identifiziert wurden. Denn viele genetische Defekte bei Embryonen beruhen auf Spontanmutationen, die sich nicht vorhersagen lassen."

Die einzige wirksame Methode, kein genetisch belastetes Kind zur Welt zu bringen, ist eine In-vitro-Fertilisation in Kombination mit Präimplantationsdiagnostik (PID). Die PID ist eine zellbiologische und molekulargenetische Untersuchung. Mit dieser soll die Entscheidung erleichtert werden, ob ein durch In-vitro-Fertilisation erzeugter Embryo in die Gebärmutter eingepflanzt werden soll oder nicht.

Alternativ kann noch eine Pränataldiagnostik (Untersuchungen an Föten und schwangeren Frauen) mit anschließendem eventuellem Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden.

Genetisches Screening als Routineuntersuchung?

In Deutschland bieten einzelne Institute für Humangenetik erweiterte Carrier-Screenings wie bei unerfülltem Kinderwunsch, Blutsverwandtschaft oder unklaren familiären Erkrankungen an. Bei privaten Anbietern können auch Paare ohne diese medizinischen Bedingungen auf eigene Kosten einen Test durchführen lassen.

Rubeis spricht sich gegen ein theoretisch routinemäßiges Angebot eines genetischen Screenings für Eltern aus. Hoppe ist sich uneinig und Zimmermann glaubt nicht, dass sich ein solcher Routinetest aus politischer Sicht durchsetzen lässt und gibt zu bedenken, "was das Wissen um die eigene genetische Vorbelastung bezüglich der Partnerschaftswahl bedeuten würde". Letztendlich bleibt es den Eltern überlassen, ob sie ein genetisches Screening durchführen wollen.

Links/Studien

Die Studie wurde am 20. November 2024 in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlicht: Nationwide, Couple-Based Genetic Carrier Screening
Die Experten-Interviews führte das Science Media Center.

pk/smc

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 21. November 2024 | 06:13 Uhr

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/53efab0a-0dcb-41a4-a01f-b24d0e3a0252 was not found on this server.

Mehr zum Thema

Ein Stift deutet auf den Fötus in einem Ultraschallbild 1 min
Bildrechte: picture alliance/dpa/Hendrik Schmidt
1 min

MDR SACHSEN-ANHALT Mi 24.07.2024 07:00Uhr 00:29 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/audio-schwangerschaft-abtreibungen100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio