Pläne des Ernährungsministeriums Was bringen Werbeverbote für Süßigkeiten aus Sicht der Forschung?
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22. Dezember 2024, 10:00 Uhr
In Großbritannien soll ungesundes Essen nicht mehr für Kinder beworben werden. Auch in Deutschland gibt es einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Aber wie sicher wissen wir überhaupt, dass Süßigkeitenwerbung daran schuld ist, dass Kinder adipös werden? Die Zusammenhänge sind nicht leicht zu belegen. Ein Überblick über die Studienlage.
Großbritannien schränkt Werbespots für Süßigkeiten und fettiges Essen (sog. "Junkfood") künftig ein. Die Regierung möchte damit gegen steigende Adipositas-Raten vorgehen. Bundesernährungsminister Cem Özdemir plant ein ähnliches Gesetz auch in Deutschland. Das sieht ein partielles Werbeverbot für Lebensmittel, die zu viel Zucker, Salz oder Fett beinhalten vor. Ausgenommen sind Obstsäfte, Milch und nicht gesüßter Joghurt.
Außenwerbung und Medienspots könnten eingeschränkt werden
Qualifiziert sich ein Lebensmittel nach den Kriterien der WHO als "ungesund", dann soll es künftig Werbeeinschränkungen geben. Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder unter 14 Jahren richtet, könnte dann in allen für Kinder relevanten Medien sowie als Außenwerbung verboten werden. Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich nicht speziell an Kinder richtet, soll eingeschränkt werden, also beispielsweise nicht mehr zu Tageszeiten zu sehen sein, an denen Kinder Medien häufig nutzen. Auch im direkten Umfeld von Schulen und Kitas sieht der Gesetzesentwurf Einschränkungen vor: 100 Meter um die Gebäude herum soll keine Werbung für ungesunde Lebensmittel erlaubt sein.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) begrüßt ein solches Gesetz – und auch sonst finden diverse Mediziner und Gesundheitsexperten den Vorschlag gut. Dennoch stellt sich die Frage: Welche wissenschaftlichen Belege gibt es überhaupt dafür, dass Werbung für das Essverhalten von Kindern entscheidend ist? Der Zusammenhang erscheint an sich ja logisch, ist aber gar nicht so leicht zu belegen. Denn zwischen dem Werbekonsum und dem tatsächlichen Essen von Süßigkeiten vergeht oft eine Menge Zeit, außerdem gibt es viele Faktoren, die die Ernährung von Kindern beeinflussen – zum Beispiel, was ihre Eltern ihnen kaufen.
Lebensmittelwerbung mit mehr unbewusstem "snacken" verbunden
2009 versuchten Jennifer Harris, John A. Bergh und Kelly Brownell, einen direkten Zusammenhang zwischen Lebensmittelwerbung und Essverhalten herzustellen, indem sie Kinder in zwei Gruppen unterteilten und den beiden Gruppen jeweils einen Zeichentrickfilm vorführten. Bei einer der beiden Gruppen enthielt der Zeichentrickfilm Lebensmittelwerbung, bei der anderen Gruppe Werbung für andere Produkte. Beide Gruppen bekamen während des Films Snacks zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis: Die Kindergruppe, die Lebensmittelwerbung gesehen hatte, hatte 45 Prozent mehr Snacks gegessen. Das legt nahe, dass Werbung beeinflussen kann, ob und wie viel Kinder automatisch und unbewusst essen, beispielsweise während sie einen Film sehen. Damit wäre die Studie ein Indikator dafür, dass Werbeeinschränkungen in den Medien tatsächlich dazu beitragen können, dass Kinder weniger ungesunde Snacks essen.
Einen etwas umfassenderen Ansatz verfolgte eine Studie aus Südkorea. 2.419 Kinder im Alter von elf bis 13 Jahren wurden gebeten, anzugeben, wie groß und schwer sie sind, was sie essen und wann sie wieviel fernsehen. Anhand der angegebenen Zeiten wurde ermittelt, wie viel Werbung für ungesundes Essen die Kinder ungefähr gesehen hatten. Und tatsächlich zeigte sich: Die Kinder, die mehr Werbung für ungesundes Essen gesehen hatten, hatten auch ein schlechteres Essverhalten und ein höheres Risiko für Übergewicht. Allerdings gab es einen Haken: Rechnete man die Gesamt-TV-Zeit gegen, verschwanden die Effekte. Das bedeutet, insgesamt hatten die Kinder, die viel fernsahen, eine schlechtere Ernährung und ein größeres Risiko für Übergewicht. Dass das mit der Werbung zusammenhängt, war nicht so klar nachweisbar. Das hingegen ist nichts Neues: Dass viel Fernsehen mit Adipositas im Zusammenhang steht, ist bereits gut belegt. Das muss aber nicht am Essen liegen, sondern kann auch daran liegen, dass die meisten Menschen beim Fernsehen körperlich kaum aktiv sind.
Dass Kinder tatsächlich infolge der Werbung zunehmen, lässt sich schwer belegen
Die beiden Beispiele zeigen, wie komplex das Ernährungsverhalten von Kindern ist. Viele Studien auf diesem Gebiet sind qualitativ, das bedeutet, sie haben nur eine kleinere Zahl an Kindern untersucht. Über diverse Studien der vergangenen Jahrzehnte hinweg zeigt sich aber durchaus, dass Lebensmittelwerbung eine Wirkung auf das Verhalten von Kindern hat, gerade wenn es um Fernsehen, Filme und Produktverpackungen geht. Nicht ganz klar ist dagegen, ob die Kinder tatsächlich infolge der Werbung zunehmen und auch, ob sie mehr Karies bekommen, lässt sich nicht abschließend belegen.
Was Übersichtsstudien zur Werbung und Ernährung von Kindern auch ermittelt haben: Politische Maßnahmen können grundsätzlich etwas verändern. Aber hier stellt sich die Frage, welche Maßnahmen es konkret sein sollen. Seit 2007 gibt es in Europa eine Selbstverpflichtung der großen Lebensmittelkonzerne, keine ungesunden Lebensmittel mehr an Kinder zu vermarkten. Laut einer Studie der NGO foodwatch ist diese Selbstverpflichtung nahezu wirkungslos. Untersucht wurden im Jahr 2021 283 Lebensmittel, die die Unterzeichner der Selbstverpflichtung speziell an Kinder bewerben. Davon enthielten 85,5 Prozent zu viel Zucker, Fett und/oder Salz. Dementsprechend kann die freiwillige Selbstverpflichtung als quasi wirkungslos betrachtet werden.
Ringen um Sperrzeiten für Süßigkeitenwerbung im TV
Die entsprechende Werbung nun zu bestimmten Zeit verbieten, ist eine Möglichkeit, die Unternehmen dazu zu zwingen, weniger Werbung an Kinder zu adressieren. Das geplante Gesetz in Deutschland soll wochentags von 17 bis 22 Uhr Werbung für ungesundes Essen verbieten, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr. Das gilt auch für Werbung, die sich nicht speziell an Kinder richtet. Aus Sicht der FDP geht das zu weit, sie will Werbung nur im Zusammenhang mit Fernsehprogramm, das sich ausschließlich an Kinder richtet, verbieten.
Dabei gilt es aber auch im Hinterkopf zu behalten: Die Nutzung von linearem Fernsehen ist bei Kindern ohnehin rückläufig. 2022 lag die monatliche Reichweite von linearem TV bei drei bis 13-Jährigen bei 39 Prozent, während Streaming bereits bei 31 Prozent monatlicher Nutzungsdauer lag.
Droht eine "Dämonisierung" von Lebensmitteln?
In Großbritannien ist ein entsprechendes Werbeverbot nun bereits in Kraft. Auch hier wurde nach den Richtlinien der WHO darüber geurteilt, ob ein Lebensmittel als ungesund gilt. Wegen ihres hohen Kohlehydratgehalts sind inzwischen bestimmte Porridge(Haferflocken)-Versionen von dem Werbeverbot betroffen, auch Scones, Pancakes und "Crumpets", ein kleiner dicker Pfannkuchen, sind bei ungesundem Essen nun mitgemeint – was in der britischen Bevölkerung teilweise für Aufruhr sorgt. Man befürchtet eine Dämonisierung der Lebensmittel. Auch aus Perspektive der Forschung muss man feststellen: Darüber, wie wir die Ernährung und Gesundheit unserer Kinder tatsächlich wirkungsvoll und nachhaltig mit Gesetzen verbessern können, fehlen uns noch weitere Erkenntnisse. Einen größeren Anteil dürfte beispielsweise auch das Schulessen oder die Vermittlung von Sport im Unterricht haben.
Links/Studien
Die Studie Priming effects of television food advertising on eating behavior - hier geht es um das automatische "Snacken" nebenbei - ist hier zu finden.
Effects of exposure to television advertising for energy-dense/nutrient-poor food on children's food intake and obesity in South Korea, die Studie kann hier nachgelesen werden.
Übersichtsstudie: Food Marketing Influences Children’s Attitudes, Preferences and Consumption: A Systematic Critical Review
Übersichsstudie: Association of Food and Nonalcoholic Beverage Marketing With Children and Adolescents’ Eating Behaviors and Health A Systematic Review and Meta-analysis
Übersichtsstudie: Systematic review of the effect of policies to restrict the marketing of foods and non-alcoholic beverages to which children are exposed - hier zu finden.
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 02. April 2024 | 07:21 Uhr
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