Mikroplastik Übertriebenes Glitzer-Verbot? EU verbannt losen Glitzer und Mikroplastik in Kosmetika
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16. Oktober 2023, 17:34 Uhr
Ab Sonntag gilt das Glitzerverbot in der EU: Dann sind einige Produkte, die bewusst zugesetztes Mikroplastik enthalten, verboten. Produkte wie loser Glitzer, Peelings und Cremes mit Mikroperlen, dürfen künftig nicht mehr verkauft werden. Schrittweise kommen in den nächsten Jahren weitere Produkte hinzu - von Kosmetika bis zu Kunstrasen. Fachleute gehen allerdings davon aus, dass der Anteil am Mikroplastik aus diesen Quellen vergleichsweise gering ist. Ist das Verbot also sinnvoll?
Erst verbannt die EU Kosmetikartikel, die Mikroperlen enthalten, und losen Glitzer, später werden weitere Produkte folgen. Das Verbot betrifft dann vor allem auch Kosmetika und Waschmittel, die Mikroplastik enthalten, das ihnen eine bestimmte Textur oder Farbe verleiht. Einige Shampoos etwa enthalten Kunststoffe, die einen Plastikfilm um die Haare legen. Mit einer Übergangsfrist von acht Jahren werden darüber hinaus auch Kunststoffgranulate für Kunstrasenplätze verboten. Laut EU-Kommission sind sie die größte Quelle von bewusst zugesetztem Mikroplastik.
In den sozialen Netzwerken hat das Glitzerverbot für Aufsehen gesorgt - insbesondere weil es beliebte Kosmetika und Make Up-Produkte betreffen wird. Deshalb haben unter anderem sogar Hautpflege-Influencer die Regelung erklärt, um die Wogen zu glätten. Die Befürchtung: Make Up könnte mit den neuen EU-Vorschriften komplett verboten sein. Aber das ist mitnichten so.
Kein Glitzer mehr? EU verbietet synthetische Polymerpartikel unter fünf Millimeter
Die Regelung, die am Sonntag in Kraft tritt, wurde bereits Ende September beschlossen. Sie gilt für "alle synthetischen Polymerpartikel unter fünf Millimeter, die organisch, unlöslich und schwer abbaubar sind". Den EU-Schätzungen zufolge gelangen jedes Jahr rund 42.000 Tonnen von diesem Mikroplastik, das Produkten ganz bewusst hinzugefügt wurde, in die Umwelt. Und dort breitet es sich aus über Luft, Wasser und Böden, bis es schließlich in unserer Nahrungskette ankommt. Mikroplastik wirkt sich also nicht nur negativ auf die Ökosysteme aus, sondern landet auch im menschlichen Körper. Es hat dort potenziell schädliche Effekte auf das Immunsystem, den Stoffwechsel, die Darmflora und die Fruchtbarkeit. Allerdings sind diese Auswirkungen noch nicht alle eindeutig am Menschen nachgewiesen worden.
Doch nicht nur das Mikroplastik, das Unternehmen ihren Produkten bewusst zusetzen, gelangt in die Umwelt und den Menschen. Denn das Mikroplastik entsteht zum Beispiel auch durch den Abrieb von Textilien oder Autoreifen. Und auch Plastikmüll, der sich langsam in kleinere Teile zersetzt, wird durch Lichteinfluss und mechanische Effekte irgendwann zu Mikroplastik. Dieser Prozess dauere zwar Jahrzehnte bis Jahrhunderte, wird aber als bedeutsame Quelle für Mikroplastik in der Zukunft gesehen, sagt Eleonore Fröhlich, Leiterin der Abteilung Core Facility Imaging an der Medizinischen Universität Graz.
Glitzerverbot sinnlos? Abrieb und Zersetzung großer Plastikteile größere Quelle für Mikroplastik
Wie sinnvoll ist also das neue EU-Verbot? Fröhlich konstatiert zunächst, dass ein Verbot des Zusetzens von Mikroplastik zu einer Verringerung der Exposition des menschlichen Körpers mit Mikroplastik führe, schränkt aber ein: "Dieser Effekt ist allerdings gegenüber dem Einfluss von Abrieb und Zersetzung größerer Plastikteile nicht zu überschätzen." Sie weist außerdem darauf hin, dass Mikroplastik nicht in gleichem Ausmaß aufgenommen werde, da die Aufnahme von dem Material und der Größe der Partikel abhänge. "Zelluläre Studien zeigen, dass Partikel aus Polyethylen mehr aufgenommen werden als gleichgroße Partikel aus Polystyrol, und dass Mikroplastikpartikel, die größer als zehn Mikrometer sind, die Darmschleimhaut kaum passieren können." Die Fütterung von Mäusen mit Mikroplastik über längere Zeit führe jedoch zu "lokalen Effekten" wie Entzündungszeichen, verminderter Schleimproduktion und dem programmierten Zelltod von Darmzellen.
Natürliche Zutaten für Kosmetik: Sand, Kaffeesatz oder Obstkerne
"Meines Erachtens wird ein Verbot von intendiertem Mikroplastik helfen, Mikroplastik-Emissionen in die Umwelt weiter zu reduzieren", sagt Ralf Bertling vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. Schon heute verzichteten viele Kosmetikhersteller freiwillig auf Mikroplastik in ihren Produkten. Dieser Trend könnte sich durch das EU-Verbot noch verstärken, zumal es im Kosmetikbereich genug Alternativen gebe, glaubt Bertling. "Bei Kosmetika können zum Beispiel Sand, Kaffeesatz oder gemahlene Obstkerne in Peelings eingesetzt werden."
Und auch bei den Kunstrasenplätzen gebe es Optionen wie etwa "Infill-freie" Anlagen. "Möglicherweise werden Vereine auch in Erwägung ziehen, ob nicht doch ein Naturrasenplatz für den Spielbetrieb ausreicht", so der Forscher. Auch er betont jedoch: Die Mengen an zugesetztem Mikroplastik in Kosmetika oder Waschmitteln seien im Vergleich zu Reifen- oder Textilabrieb eher gering.
Trotzdem sei das Verbot relevant, weil jedes Mikrogramm Plastik, das nicht in die Umwelt gelangt, gut ist, sagt Doris Knoblauch, Koordinatorin der Arbeitsgruppe Plastik am Ecologic Institute in Berlin. Bei vielen der Produkte, die vom Verbot bewusst zugesetzten Mikroplastiks betroffen seien, handle es sich um solche, die besonders "nah" an der Umwelt seien. "Kunstrasen wird durch Regen unmittelbar ,ausgeschwemmt‘, Kosmetika landet beim Abschminken oftmals im Abwasser anstatt mit dem Abschminkpad zusammen im Abfalleimer und Dünger landet direkt in der Erde", so Knoblauch.
Das Verbot sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und könne Signalwirkung haben. "Die Politik kann tatsächlich Dinge verbieten und die Industrie muss sich darauf einstellen. Bei bewusst hinzugefügtem Mikroplastik ist das eine ,low hanging fruit‘, denn das kann am leichtesten geändert werden: Man lässt es ,einfach‘ weg – gesetzt den Fall, dass man die gewünschte Konsistenz, Haltbarkeit und so weiter auch anderweitig herbeiführen kann", so die Forscherin. Bei Reifenabrieb zum Beispiel sei das deutlich schwieriger.
Wäre Glitzer aus Titan oder anderen Mineralien umweltfreundlicher?
Das Verbot ist zunächst einmal ein sinnvoller Schritt, meint Martin Löder von der Fakultät für Biologie, Chemie und Geowissenschaften an der Universität Bayreuth. "Meiner Einschätzung nach ist es tatsächlich eine gute Maßnahme, um Quellen zu minimieren, die man einfach abstellen kann", sagt er. Allerdings mache dieses absichtlich zu Produkten hinzugefügte Mikroplastik nur einen geringen Teil des gesamten Mikroplastiks in der Umwelt aus. Auch Löder verweist auf das weit größere Problem mit Abnutzung und Abrieb. "Die neue Regelung ist also kein Tropfen auf den heißen Stein, aber sie verringert den Eintrag nur um einen kleinen Anteil", bilanziert der Forscher.
Allerdings bemerkt Löder, dass die Regelung effektiv sein könnte, um die Aufnahme von Mikroplastik durch den Menschen in Teilen zu verringern. Er verweist insbesondere auf die Kosmetika. "In dem EU-Projekt ,Plastics Fate‘, untersuchen wir unter anderem Aufnahmepfade von Mikroplastik für den Menschen. Dabei haben wir auch Kosmetika untersucht, da diese ein möglicher Aufnahmepfad sind." Und tatsächlich gerate eben zum Beispiel beim Schminken mit Puder oder Lippenstift, der Mikroplastik enthält etwas davon in den Körper. "Dieses kann dann eingeatmet oder verschluckt werden", so Löder.
Ob das Verbot dazu führt, dass womöglich andere umweltschädliche Stoffe das Mikroplastik ersetzen könnten, werde die Zeit zeigen, so der Forscher. Er verweist auf das Einwegplastikverbot der EU. Das habe dazu geführt, dass Plastikstrohhalme durch Papierstrohalme ersetzt worden seien, die aber nicht recycelt werden könnten, sondern verbrannt würden. "So etwas kann auch bei den jetzt verbotenen primären Mikroplastik passieren – und die Regulatorik kommt immer erst hinterher", sagt Löder. Glitzer lasse sich beispielsweise auch auf der Basis von Titan oder anderen mineralischen Fragmenten herstellen. "Da stellt sich dann die Frage, wo und unter welchen Bedingungen diese abgebaut werden und ob dabei vielleicht Kinderarbeit zum Einsatz kommt." Es bestehe also das Risiko, bilanziert Löder, dass die Probleme in andere Bereiche verschoben würden.
Links
Mehr Informationen bekommen Sie in den Fragen und Antworten zur Beschränkung für bewusst zugesetztes Mikroplastik der Europäischen Kommission.
(kie)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 14. August 2023 | 06:21 Uhr
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