Aktivisten der "Letzten Generation" kleben sich auf der Dresdner Bergstraße fest und wollen damit auf die Einhaltung der Klimaziele aufmerksam machen. Aufnahmedatum
In Mitteldeutschland gab es am Montag mehrere Protestaktionen "Letzten Generation". Bildrechte: picture alliance/dpa | Daniel Schäfer

Der Redakteur | 08.02.2023 Erstmals blockierten "Klimakleber" auch in Thüringen eine Straße - wie sollten wir damit umgehen?

08. Februar 2023, 19:59 Uhr

Wir bewegen uns zwischen den Extremen. Die Ansichten und die Vorgehensweise der selbsternannten "Letzten Generation" ist das eine Extrem, die starke Ablehnung ihres Tuns das andere. Die Posts in den sozialen Netzwerken gegen die "Klimakleber" sind sehr deutlich und nicht alle vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Die geäußerten Forderungen reichen bis zur Tötung und sind damit eine Angelegenheit für den Staatsanwalt.

Rechtlich handelt es sich beim "Klimakleben" zunächst um eine öffentliche Versammlung. Das ist immer so, wenn sich Menschen im öffentlichen Raum zusammenfinden und sich politisch äußern. Das wird zum Beispiel durch Transparente oder Parolen deutlich, die bei einem normalen Schwatz an der Straßenecke eher nicht zum Einsatz kommen.

Laut Versammlungsgesetz muss eine öffentliche Versammlung 48 Stunden vorher bei der zuständigen Behörde der Kommune angemeldet werden und der Veranstalter hat seinen Namen anzugeben. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift bedeutet aber nicht, dass die Veranstaltung automatisch verboten wäre, sagt Wilhelm Achelpöhler, Mitglied des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht im Deutschen Anwaltverein.

Wenn sich mehrere Leute in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel versammeln, um ein politisches Anliegen kundzutun, dann ist das eine Versammlung, ob das angemeldet ist oder nicht.

Wilhelm Achelpöhler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Natürlich ist ein solcher Verstoß sanktionierbar und natürlich ist das genau das, was die Klimaaktivisten wollen. Die Details aus ihren Handbüchern sind mittlerweile bekannt. Die Sozialpsychologin Maria-Christina Nimmerfroh ist inkognito in der Bewegung aktiv und forscht zu deren Strukturen und Denkmustern. "Die Ersatzfreiheitsstrafe und die Präventivhaft haben eine hohe Bedeutung", sagt Nimmerfroh im WDR-Interview und seien für die "Letzte Generation" elementar. Man muss also kein Prophet sein, um zu behaupten: Das Bußgeld, das die Stadt Jena möglicherweise nun verhängen wird, das wird niemand der beteiligten sechs Aktivisten bezahlen.

Kann man Querdenker und Klimakleber vergleichen?

Der Ansatz, sich bewusst über Regeln hinwegzusetzen und die Möglichkeiten der freiheitlich demokratischen Grundordnung auszureizen, ist bei den Klimaklebern genauso auszumachen wie einst bei den Corona-Demonstranten. "Rechtlich ist es eine ähnliche Geschichte", konstatiert Anwalt Achelpöhler. Hier das Blockieren der Straße, dort das Ignorieren von Corona-Auflagen, Stichwort Maskenpflicht und Abstandsregeln. Und beide Seiten reklamieren für sich, dass ihr Anliegen so stark und wichtig ist, dass der Rechtsbruch geradezu verpflichtend erscheint.

Was für ein absurder Gedanke in einem Rechtsstaat, wenn sich jeder die Regeln selbst heraussucht, an die er sich zu halten gedenkt. Hinzu kommt: Trotz der offensichtlichen Provokationen müssen die legitimen Vertreter des Staates stets sehr darauf achten, vor Gericht nicht auf die Nase zu fallen und keine falschen (und von den Demonstranten gewünschten) Bilder zu liefern. Stichwort "Polizeigewalt".

Unser Ansatz war, damit besonnen umzugehen und nicht aufgeregt polizeilich einzugreifen und diejenigen sofort von der Straße zu ziehen.

Benjamin Koppe, Dezernent für Sicherheit Jena

Denn das Recht auf Versammlungsfreiheit ist in der Verfassung etwas höher gewichtet als das Recht auf pünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz. Also wurden die Aktivisten in Jena belehrt und befragt, sie hatten angemessen Zeit, ihre politischen Anliegen vorzubringen und um 10.00 Uhr war die Kreuzung zu räumen. Zum Vergleich: Im Falle der 1. Mai-Demonstration, die vernünftig angemeldet wurde, gibt es solche Regelungen auch, aber die sind weniger spontan und das Ende ist definiert.

Auch klebt sich dort niemand fest, um den Verkehr zu blockieren, dafür wird eben mitunter randaliert. In beiden Fällen (randalieren und festkleben) ist die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet und es besteht ein hinreichender Grund, die Versammlung aufzulösen.

Niemand hat das Recht, absichtlich den Verkehr zu blockieren.

Wilhelm Achelpöhler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Die gewaltfreie Maidemo hingegen ist die "unbeabsichtigte unvermeidbare Beeinträchtigung des Verkehrs", so Achelpöhler. Um mit fünf Leuten für den Klimaschutz zu demonstrieren, müsse man sich aber eben nicht stundenlang auf die Straße setzen, das könne man auch auf dem Gehweg machen. Das ist letztlich auch der Grund dafür, warum die Halbwertzeiten des geduldeten Teils der Klima-Kleber-Aktionen sehr kurz sind.

Kann man die Klimakleber nicht einfach kleben lassen?

Grundsätzlich können die Ordnungsbehörden die Klimakleber auch gewähren lassen. Versammlungen sind zeitlich nicht begrenzt. Beispiele dafür gibt es reichlich. Die Kalikumpel in Bischofferode sind fest im Thüringer Gedächtnis geblieben, es gab schon tagelange Mahnwachen vor Betrieben und Zeltlager vor Landtagen.

Die Frage ist immer, wann sind öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Wenn sich keiner mehr vorbeitraut oder wenn die Grünflächen vor den Urinmengen kapitulieren? Vielleicht kann aber die Gefährdung auch mithilfe einer Umleitung ausgeschlossen werden.

Dann würde die Straßenblockade der Klimakleber absichert werden wie die Baugrube nach einem Rohrbruch. Die Grenze ist allerdings erreicht, wenn die angeklebten Aktivisten um Hilfe bitten oder zu erfrieren drohen. Sonst sind wir im Bereich der unterlassenen Hilfeleistung unterwegs, einem Straftatbestand nachzulesen in § 323c StGB.

Dass die Klimakleber "vergessen" werden, das ist hingegen nicht zu befürchten. Denn die Polizei als Prügelknabe der Nation wird ihrer Aufgabe nachkommen und die "Versammlung" der Festgeklebten absichern. Allerdings sollten diese wissen, dass sich die Beamten zwischendurch aufwärmen können in ihrem Mannschaftswagen. Und Standheizungen von größeren Transportern sind gewöhnlich dieselbetrieben.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 08. Februar 2023 | 15:50 Uhr

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