Neurocoaching Mit Gehirn-Training chronische Schmerzen lindern
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23. Juni 2023, 09:31 Uhr
Stellen Sie sich vor, Sie haben seit Jahren Rückenschmerzen. Ärzte raten dringend zur Operation. Doch aus Angst vor einer OP gehen Sie zu einem weiteren Arzt. Der erklärt, nicht der Rücken, sondern die Psyche sei das grundlegende Problem. Genau an diesem Punkt setzt Neurocoaching an. Das heißt übersetzt so viel wie Gehirn-Training. Nina Olssen ist Neurocoach und erklärt im Interview, worauf es hier ankommt.
Inhalt des Artikels:
- Was ist das Grundprinzip des Neurocoachings?
- Wie kamen Sie zum Neurocoaching?
- Welche drei Übungen würden Sie Einsteigern empfehlen?
- Neurocoaching heißt also lediglich, wir müssen positiv denken?
- Für welche Art Schmerzen ist Neurocoaching geeignet?
- Gibt es Kurse und werden die von den Krankenkassen getragen?
- Wo liegen die Unterschiede zwischen Verhaltenstherapie, multimodaler Schmerztherapie und Neurocoaching?
- Welche Studien oder Belege gibt es zur Wirkung von Neurocoaching?
Was ist das Grundprinzip des Neurocoachings?
Nina Olsson: Neurocoaching kombiniert Erkenntnisse aus dem Bereich der Wissenschaft mit Coaching-Techniken. Das allgemeine Ziel ist, Menschen bei der persönlichen und beruflichen Entwicklung zu unterstützen. Mein Sohn Michael ist Osteopath und Physiotherapeut, zusammen haben wir die Techniken des Neurocoachings mit denen der Osteopathie und Physiotherapie kombiniert und uns damit auf chronische unspezifische Rückenschmerzen konzentriert, die immerhin mehr als 80 Prozent der erwachsenen deutschen Bevölkerung plagen.
Wie kamen Sie zum Neurocoaching?
Ich habe mich lange für Persönlichkeitsentwicklung und die Geheimnisse unseres Gehirns interessiert. Aber wie, so fragte ich mich, kann ich die Erkenntnisse über mich selbst am leichtesten umsetzen? Psycho- oder Verhaltenstherapie kamen für mich nicht in Frage. Auf der Suche nach einer Alternative stieß ich auf Neurocoaching. Da das Thema für mich so interessant war, habe ich eine entsprechende Ausbildung bei einem renommierten Neurowissenschaftler in Philadelphia (USA) gemacht.
Sie waren selbst Schmerzpatientin?
Genau, ich litt unter schlimmen Schmerzen im unteren Rücken, verursacht durch zwei Gleitwirbel. Die Orthopäden konnten nichts mehr tun und rieten zur OP – die gleitenden Wirbel sollten versteift werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich täglich Schmerzen, die nach anderthalb Jahren darin gipfelten, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte.
Ich lag da und konnte nur noch über die Schmerzen nachdenken und daran, dass ich die OP machen lassen sollte. Doch mein Sohn riet mir davon ab. Er untersuchte mich und sagte, meine Schmerzen kommen nicht von der Wirbelsäule. Er empfahl mir, ich soll die gelernten Techniken des Neurocoachings anwenden und das klappte. Mittlerweile bin ich schmerzfrei und kann mit meinen vier Enkeln toben.
Welche drei Übungen würden Sie Einsteigern empfehlen?
Keine drei, nur eine Übung: Jeder Mensch sollte ab sofort aufhören, sich zu beschweren.
Der Grund ist einfach zu verstehen und wissenschaftlich erforscht: Negative Worte haben eine negative Wirkung auf unseren Körper. Jedes Jammern über das Wetter, den Nachbarn oder sich selbst ist für unser Gehirn das Signal für Gefahr. Dadurch wird ein komplexer Vorgang ausgelöst, den wir "Stress" nennen. Es werden Hormone ausgeschüttet, die uns schaden (Adrenalin und Cortisol) und durch die wir jede Art von Schmerz stärker wahrnehmen. Und da Schmerz auch eine Gefahr ist, ist Schmerz auch Stress. Sie sehen also, wie sich durch ein unbedachtes Wort ein Rad immer schneller in Bewegung setzt, welches unserem Körper mehr und mehr schadet. Deshalb ist es sehr sinnvoll, sich das Jammern abzugewöhnen.
Negative Worte haben eine negative Wirkung auf unseren Körper.
Neurocoaching heißt also lediglich, wir müssen positiv denken?
Es geht nicht nur darum, wir vermitteln auch Wissen. Wie funktioniert das Zusammenspiel von Gehirn und Körper, wenn Schmerz entsteht? Welche Rolle spielen Stresshormone und wie kann ich diesen Kreislauf durchbrechen?
Was viele nicht wissen, es gibt Bereiche im Gehirn, die können wir mit bewusstem Denken beeinflussen. Viele unserer täglichen Aktionen sind tatsächlich schädlich für unseren Körper, z.B. wenn wir uns dauernd über etwas ärgern und darüber beklagen. Dort setzt das Neurocoaching an, es trainiert die Selbstverantwortung für das eigene Wohlbefinden und auch für die Wahrnehmung von Schmerzen. Es geht darum, veraltete Muster zu erkennen, zu überdenken und durch neue Überzeugungen zu ersetzen. So können wir unser Schmerzgedächtnis löschen. Das ist wie bei einem Computer, der sich aufgehängt hat und wir müssen neu starten, damit die Programme wieder reibungslos funktionieren.
Für welche Art Schmerzen ist Neurocoaching geeignet?
Unsere Methode konzentriert sich auf unspezifische Schmerzen im unteren Rücken, auf die Therapeuten keine Antwort mehr haben. Natürlich kann Neurocoaching auch auf jede andere Art von Schmerz angewendet werden.
Gibt es Kurse und werden die von den Krankenkassen getragen?
Es gibt, soweit wir wissen, keinen deutschen Anbieter, der unspezifischen Rückenschmerz mit Neurocoaching-Methoden zum Thema macht. Die einzigartige, von uns entwickelte Methode kombiniert Neurocoaching, Osteopathie und Physiotherapie. Wir bieten diese Methode in Form eines Online-Video-Kurses an, damit sichergestellt ist, dass die so wichtige Wiederholung zu jeder Zeit möglich ist. Weil das Feld so neu ist, haben die Krankenkassen das Neurocoaching bisher noch nicht zum Thema gemacht.
Hinweis der Redaktion: Zum Thema Neurocoaching allgemein findet man im Netz verschiedene Anbieter. Ähnliche Methoden kommen auch bei der multimodalen Schmerztherapie zum Einsatz. Beispiele sind Neurofeedback und Verhaltenstherapien, die auch dazu dienen, das Schmerzgedächtnis zu durchbrechen. Ein Online-Kurs bei Frau Olsson kostet einmalig rund 1.000 Euro. Derzeit wird der Kurs zum reduzierten Preis von 457 Euro angeboten.
Wo liegen die Unterschiede zwischen Verhaltenstherapie, multimodaler Schmerztherapie und Neurocoaching?
Neurocoaching zielt darauf ab, mithilfe neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und Strategien allgemein definierte Ziele zu erreichen und Hindernisse zu überwinden. Es konzentriert sich auf die Veränderung und Verbesserung des Denkens und Verhaltens. Bei chronischen und unspezifischen Schmerzzuständen kann es dazu führen, die Wahrnehmung bzw. Intensität von Schmerzen zu verändern, Ängste zu reduzieren, positive Denkmuster zu entwickeln und somit die Lebensqualität zu verbessern.
Multimodale Therapie und Verhaltenstherapie konzentrieren sich auf den Einzelnen und dessen ganz spezifischen Schmerz. Ein weiterer Unterschied ist, dass die für den Erfolg notwendige Möglichkeit der Wiederholung des Erlernten nur dann möglich wird, wenn ein neuer Behandlungszyklus begonnen wird – wie z.B. durch ein Rezept für Physiotherapie. Unspezifische Rückenschmerzen kommen leider immer wieder – wenn man nicht lernt, wie man gegen sie auf Dauer vorgehen kann. Beim Neurocoaching werden keinerlei Medikamente eingesetzt. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Neurocoaching ein breiteres Anwendungsspektrum hat.
Welche Studien oder Belege gibt es zur Wirkung von Neurocoaching?
Unsere Methode mit ihrem Anwendungsbereich bei unspezifischen Rückenschmerzen beinhaltet eine Sammlung von diversen studienbasierten Wirkungsmechanismen. Es gibt u.a. zahlreiche wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Gedanken und Überzeugungen die Wahrnehmung von Schmerzen beeinflussen können.
Hier sind einige Beispiele: Eine Studie fand heraus, dass Menschen, die sich auf eine schmerzhafte Erfahrung konzentrierten und negative Gedanken hatten, höhere Schmerzempfindungen hatten als Menschen, die sich auf positive Gedanken und Aktivitäten konzentrierten. Eine weitere Untersuchung ergab, dass Achtsamkeitspraktiken, wie z.B. "Mindfulness", dazu beitragen können, die Wahrnehmung von Schmerzen zu reduzieren, indem sie die Art und Weise verändern, wie Menschen auf Schmerzen reagieren.
(Hinweis der Redaktion: Bislang gibt es keine Studien, die speziell die Wirkung des Neurocoaching in Bezug auf die Wirkung auf unspezifische Rückenschmerzen belegen.)
MDR (cbr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 22. Juni 2023 | 21:00 Uhr