
Dynamische Wirtschaftsregion Prag: Zwischen alten Gassen und digitaler Zukunft
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01. Mai 2025, 16:30 Uhr
Wer durch die Altstadt von Prag schlendert, erlebt eine Stadt, in der scheinbar die Zeit stehen geblieben ist. Doch hinter der historischen Kulisse pulsiert eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen Europas. Tschechien, und insbesondere seine Hauptstadt Prag, hat sich in den letzten Jahren still und stetig in ein Zentrum für IT und Digitalisierung verwandelt – und zieht Unternehmen aus aller Welt an.
- Es gibt kaum Lohnunterschiede in der deutschen und tschechischen IT-Branche.
- In Tschechien herrscht de facto Vollbeschäftigung.
- Immer mehr IT-Firmen werben auf dem tschechischen Markt um Fachkräfte.
Hendrik Meyer fühlt sich wohl in Prag. Der gebürtige Sachsen-Anhalter lebt und arbeitet seit Jahren in Prag und leitet das größte Immobilien-Suchportal des Landes. Kürzlich hat er das Unternehmen mit einem deutschen Mitbewerber zusammengeführt – als gleichberechtigter Partner, nicht als Junior aus dem Osten. Für ihn ist der Standort Prag längst mehr als nur eine pragmatische Entscheidung.
"Vor zehn oder fünfzehn Jahren war das noch anders", erzählt Meyer. "Damals schauten die Tschechen noch bewundernd nach Deutschland. Heute hat sich das geändert." Gerade bei Digitalisierung und Online-Diensten sieht er Tschechien weit voraus. "Wenn meine deutschen Kollegen sehen, wie selbstverständlich hier Behördengänge online erledigt werden, Verträge digital unterschrieben werden und die Kommunikation mit Ämtern über elektronische Postfächer läuft, dann kriegen sie große Augen", sagt er. "Tschechien ist da locker zehn Jahre weiter."
Geringe Lohnunterschiede, hohe Dynamik
Noch vor wenigen Jahren war die Entscheidung für Prag auch eine Frage der Kosten. Heute ist die Lage anders: In der IT-Branche sind die Lohnunterschiede zwischen Deutschland und Tschechien nahezu verschwunden. Stattdessen überzeugen andere Faktoren: gut ausgebildete Arbeitskräfte, eine flexible Mentalität und ein innovatives Umfeld.
Beispiel Deutsche Börse AG: Der Konzern beschäftigt rund 1.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Prag, fast die Hälfte davon in der IT. Prag ist die zweitgrößte Niederlassung nach dem Hauptsitz Frankfurt. Viele zentrale Aufgaben, von der Softwareentwicklung bis hin zur Abwicklung von Finanztransaktionen, laufen inzwischen über Tschechien. "Ich nehme den Prager Standort als sehr dynamisch wahr", sagt Mareike Sich, die den Bereich für die Deutsche Börse verantwortet. "Wir haben ein junges Durchschnittsalter. Man merkt diesen unternehmerischen Spirit, diese Aufbruchstimmung."
Standortfaktoren: Wachstum und neue Herausforderungen
Auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen tragen zur Attraktivität bei. Mit einer Arbeitslosenquote von nur 2,7 Prozent herrscht in Tschechien de facto Vollbeschäftigung – eine der niedrigsten Quoten in Europa. Nach einer Phase hoher Inflation wächst die Wirtschaft wieder moderat, für 2025 wird ein Plus von etwa 2,3 Prozent erwartet. Prag allein steuert mehr als ein Viertel zum gesamten tschechischen Bruttoinlandsprodukt bei. Die boomende IT- und Business-Service-Branche beschäftigt inzwischen rund 175.000 Menschen im Land, und jedes Jahr entstehen etwa 10.000 neue Stellen. Fast 43 Prozent der Beschäftigten in dieser Branche kommen aus dem Ausland – ein deutlicher Beleg für die internationale Strahlkraft Prags.
Laut einer aktuellen Umfrage der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) belegt die Tschechische Republik inzwischen Platz zwei bei der Attraktivität für deutsche Investoren in Mitteleuropa – hinter Polen. Besonders positiv bewerten Unternehmen die EU-Mitgliedschaft, die Qualität der Telekommunikation und die Verfügbarkeit lokaler Zulieferer. Gleichzeitig wird jedoch die Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften zunehmend kritisch gesehen. Im Vergleich zu früheren Jahren hat sich die Wahrnehmung der Arbeitnehmerqualifikation verschlechtert – ein neues Problem für einen Markt, der vom Innovationspotenzial lebt.
Flexibler Arbeitsmarkt
Immer mehr IT-Unternehmen werben in Tschechien um Fachkräfte. Viele Aufgaben werden inzwischen von KI übernommen, das stellt Arbeitskräfte frei. Für den Arbeitsmarkt sei das aber nur eine leichte Entspannung, erklärt Hendrik Meyer: "Im IT-Bereich brauchen die Leute hier keine starke Gewerkschaft und keine komplizierten rechtlichen Regelungen. Die Nachfrage nach Spezialisten ist so groß, dass die Firmen um die besten Köpfe kämpfen müssen." Der Arbeitsmarkt regele vieles selbst – schnell, flexibel und auf Augenhöhe.
Für Touristen bleibt Tschechien das Land der alten Brücken, der verwinkelten Gassen und der historischen Plätze. Doch für Unternehmer und Investoren hat sich das Land längst zu einem wichtigen und dynamischen Standort für die digitale Zukunft gewandelt – eine Transformation, die nur von dem Fachkräftemangel auf dem leergefegten tschechischen Arbeitsmarkt gebremst wird.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR extra | 01. Mai 2025 | 17:30 Uhr