Analyse Harvard schlägt zurück: Der Kampf der US-Eliteuniversität gegen Trump
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20. April 2025, 05:00 Uhr
US-Präsident Donald Trump hat bereits mehreren Universitäten die Mittel gestrichen oder es zumindest angedroht. Betroffen ist auch die Eliteuni Harvard, doch beugen will sie sich den autoritären Forderungen Trumps nicht. Das Ziel des Präsidenten sei die Zerschlagung einer Institution – aus Angst vor "linksextremer Indoktrination", analysiert der US-Experte des MDR, Klaus Brinkbäumer.
- Trump fordert von der Havard Universität autoritäres Vorgehen, vor allem gegen ausländische Studierende.
- Havard verweigert jegliche Umsetzung der Forderungen der US-Regierung.
- Das Vorgehen der Republikaner geschieht unter dem Deckmantel des "Kampfes gegen Antisemitismus".
- Erste Absolventen wollen ihre alte Uni mit Spenden unterstützen.
Es war ein später Freitagabend Anfang April, als in Cambridge an der nordamerikanischen Ostküste, der Heimat der Universität Harvard, ein Brief eintraf. Fünf Seiten waren es, unterschrieben von Beamten dreier Bundesbehörden, höflich im Ton, doch inhaltlich eine Kriegserklärung. Innerhalb der Regierung Trump war der Brief noch gar nicht abgestimmt und beschlossen, verfrüht wurde er gesendet.
Und wie das so ist, wenn Kriegserklärungen erst einmal übermittelt sind: Seither ist Harvard eine andere Uni als zuvor, seither sind die USA, schon wieder, ein verändertes Land.
Trump will, dass Havard mehr Kontrolle über Studenten hat
Die Regierung von Donald Trump stellte in diesem Schreiben Forderungen, die nicht wie Verwaltungsvorschriften klangen, sondern wie das Ultimatum eines autoritären Regimes. Harvard müsse seine Fakultäten entmachten, müsse internationale Studierende strenger überprüfen, müsse Programme zu Diversität und Inklusion sofort einstellen sowie regelmäßig über ideologische Ausgewogenheit berichten.
Warum diese Attacke? Warum attackiert eine Regierung, die sich vorgenommen hat, Amerika wieder großartig zu machen, die fraglos beste Universität des Landes und die womöglich beste der Welt? Warum ausgerechnet jene Uni, von der Amerikas kompetenteste Medizinerinnen, Ökonomen, Juristinnen, Politologen stammen?
Die Universität wird weder ihre Unabhängigkeit noch ihre verfassungsmäßigen Rechte aufgeben.
Über das Wochenende hinweg diskutierte die Führungsmannschaft von Harvard über die richtige Strategie. Dann, nach drei Tagen, kam die Antwort aus Cambridge in Washington an. Es war eine öffentliche Antwort und es war eine kategorische Antwort. Und sie mündete in einen Satz, der sich seither in die Debatten um Freiheit und Autonomie im Amerika Donald Trumps eingebrannt hat.
"Die Universität wird weder ihre Unabhängigkeit noch ihre verfassungsmäßigen Rechte aufgeben." Harvard also, wenigstens Harvard, kapitulierte nicht. Es war das, was Medien gern einen "historischen Moment" nennen; zu oft wird dieser Begriff verwendet und meist auch zu früh. Diesmal stimmte er, denn es war ein historischer Moment nicht nur für Harvard, nicht nur für das gesamte amerikanische Hochschulsystem, sondern für die gesamte Gesellschaft der USA und für die Wahrnehmung der neuen Regierung.
Seit seinem Amtsantritt am 20. Januar hat Präsident Trump das Verhältnis von Regierung und Universitäten neu vermessen. Er sieht ja keine symbiotische und bestens funktionierende Partnerschaft zum Vorteil der stärksten Nation der Welt, sondern er sieht sich selbst als Feldherrn und Amerikas Unis als Befehlsempfänger.
Gehorsam gegen Geld
Gehorsam gegen Geld, so soll es aus Trumps Sicht sein, und wer nicht pariert, wird finanziell ausgehungert, öffentlich denunziert, rechtlich verfolgt. Columbia hatte es zuerst getroffen, dann Princeton, dann Penn. Jetzt also Harvard, die reichste Universität der Welt, mit einem Stiftungskapital von mehr als 50 Milliarden Dollar, Dutzenden von Nobelpreisträgern, Kliniken, Labors und Forschungsprojekten von globaler Bedeutung. Harvard bekommt jedes Jahr Milliarden aus Bundesmitteln, für Forschung, Studienprogramme, medizinische Versorgungsprojekte.
Am Tag nach Harvards Absage ließ die Trump-Regierung 2,2 Milliarden dieser Mittel einfrieren. Weitere sieben Milliarden sollen folgen. Wieso tut Trump das? Es ergibt keinen Sinn für jene, die auf Daten blicken oder bei einer Regierung wie der amerikanischen eine präzise und langfristige Planung erwarten. Denn wer von Reindustrialisierung spricht, von künftiger Stärke und einem heraufziehenden goldenen Zeitalter, der braucht dafür eigentlich einen Staat, der Reformen organisieren und mit Tempo realisieren kann; und der braucht eine hochqualifizierte Arbeiterschaft. Wer "Make America Great Again" ruft und es ernst meint, darf oder dürfte nicht zuerst alle Fundamente und tragenden Säulen kaputtschlagen.
Trumps Wahlkampf richtete sich von Beginn gegen Bildungseliten
Es ergibt aber eine Menge Sinn auf einer anderen Ebene. Denn wer auf Populismus, Wählerbindung, Identitätspolitik blickt, versteht, was Trump da tut. Der Präsident hat Wahlkampf gegen vermeintliche Eliten geführt, gegen Medien, Bildungsinstitutionen, den Staat. "Polarisierung hat viele Facetten, aber eine wesentliche ist, dass jene Männer, die keinen Collegeabschluss haben, inzwischen Trumps Republikaner wählen, während Menschen, die einen Abschluss haben, mit großer Mehrheit Demokraten wählen", sagt Jay Wallace, Philosophie-Professor im kalifornischen Berkeley, im Gespräch mit MDR AKTUELL. Diese neue Spaltung der USA bewirkt die wütenden Attacken auf Wissenschaft und Forschung, auf Medienhäuser und, mit maximaler Wucht, auf Harvard.
Attacke unter Vorwand des Schutzes vor Antisemitismus
Und was ist der Vorwand? Antisemitismus, sagt die Regierung, sie wolle jüdische Studierende schützen. Es wäre eine hehre Absicht, wenn es nicht so offensichtlich scheinheilig wäre. Die rechten Schlägertrupps, die am 6. Januar 2021 auf Aufforderung Trumps hin das Kapitol stürmen, dürfen so antisemitisch sein, wie sie nur wollen. Trumps williger Gehilfe Elon Musk darf mit Hitler-Gruß posieren. Auf Musks Plattform "X" dürfen täglich tausende antisemitischer Tweets geteilt und vervielfacht werden – Trump stört's nicht und Musk befördert's.
Die Mittel, mit denen Trump und sein Justizapparat angeblich jüdischen Studentinnen und Studenten helfen wollen, zielen ja auch auf das gesamte Ökosystem universitärer Autonomie: kritische Studiengänge, linke Professorinnen, ausländische Studierende, auf all das also, was früher in der Trumpwelt "liberale Elite" hieß und heute Staatsfeind ist.
US-Gelehrte sehen Freiheit der Lehre in Gefahr
Und ja, all das verändert Amerika. Die Philosophin K.T. Falvey von der University of California in Santa Barbara sagt MDR AKTUELL, sie sorge sich inzwischen auf zwei Ebenen: Weil Unis wie ihre und damit die Bildung an und für sich angegriffen würden und weil Menschen auf der Straße sich ermächtigt fühlten und Beleidigungen und Drohungen aussprächen. Falvey ist transsexuell.
Was Harvard da abverlangt wurde, sei "McCarthyismus in hundertfacher Vergrößerung", sagt Lawrence Summers, ehemaliger Harvard-Präsident und ehemaliger Finanzminister. Der Begriff McCarthyismus stammt aus der Zeit des fanatischen Kommunistenjägers Joe McCarthy. Steven Pinker, Harvard-Psychologe, spricht von einem direkten Angriff auf die Grundlage jeglicher Wissenschaft: die Freiheit der Lehre. Juristen, die Harvard beraten, schreiben: "Harvard ist nicht bereit, Forderungen nachzukommen, die über die rechtlichen Befugnisse dieser oder einer anderen Regierung hinausgehen."
Tatsächlich erinnert vieles an autoritäre Regime: die Forderung nach ideologischer Gleichschaltung, nach Listen, nach Gesinnungsprüfungen, nach dem Einsatz externer Prüfer zur Überwachung der Lehrinhalte. Die Zähmung, eher sogar die Zerschlagung einer Institution ist das Ziel, die seit Jahrzehnten als intellektuelle Bastion des Liberalismus gilt – in den Augen Trumps eben gerade darum ein Hort linksextremer Indoktrination.
Harvard-Konter ist bisher einzigartig
Dass Harvard sich zur Wehr setzt, ist spektakulär. Monatelang hatte sich die Universität eher still verhalten. Der Harvard-Präsident Alan Garber hatte Lobbyisten engagiert, moderat formuliert, Kompromisse geprüft. Die eigenen Professoren fürchteten bereits, Harvard werde wie Columbia kapitulieren. Dann kamen der Brief der Regierung und Harvards Antwort.
Es geht längst nicht mehr nur um Harvard, es geht um die Architektur der amerikanischen Demokratie. Trumps Regierung benutzt das Instrumentarium dieses Rechtsstaats, um die Freiheiten zu untergraben, die sie zu verteidigen vorgibt. Die Titel VI und IX – einst formuliert, um gegen Rassismus und Sexismus vorgehen zu können – werden mittlerweile so gedehnt, dass selbst die durch den ersten Verfassungszusatz geschützte freie Rede kriminalisiert werden kann.
Wer bei einer Graduierungsfeier ein Palästinensertuch trägt, riskiert Visa-Entzug. Wer Israels Regierung kritisiert, kann zum Antisemiten erklärt werden. Wer sich für queere Rechte einsetzt, muss um Forschungsgelder bangen. Universitäten sollen Andersdenkende melden. Das Weiße Haus will entscheiden, wer forschen darf. Und worüber.
Unis arbeiten laut Trump-Regierung an linksradikaler Umerziehung
"Warum", fragt Vizepräsident J.D. Vance, "sollen amerikanische Steuerzahler Institutionen finanzieren, die ihre eigenen Werte verachten?" In dieser Erzählung ist die Universität nicht länger Ort der Aufklärung, sondern Heimat linksradikaler Umerziehung, eine Fabrik zur Herstellung von Genderideologie, migrantischen Opfermythen, liberalen Dogmen.
Donald Trump lebt von dieser Polarisierung. Diese zweite Amtszeit ist geprägt von Rache und von dem, was er "Rückeroberung" nennt – von Kultur, Institutionen, Deutung.
Tuberkuloseforscherin verliert Mitarbeiterinnen aus Palästina
Für Menschen wie Sarah Fortune ist das keine Theorie. Sie ist Ärztin und Tuberkuloseforscherin an der Harvards School of Public Health, verantwortlich für ein Millionenprojekt zu multiresistenter TBC. Ihre Arbeit wurde vergangene Woche gestoppt, kein Geld mehr, kein Zugang zum Labor. Drei ihrer Mitarbeiterinnen, Palästinenserinnen, haben ihre Visa verloren. "Ich verliere nicht nur Geld", sagt Fortune. "Ich verliere Menschen, Talente, Hoffnung. Früher habe ich gesagt: Politik hat mit meiner Arbeit nichts zu tun. Jetzt weiß ich: Politik ist alles."
Es fühlt sich an, als würden wir langsam ertrinken.
In Versammlungen und vertraulichen Treffen bereiten sich Fakultäten auf Kürzungen vor. Die medizinische Fakultät kündigte Einsparungen an. Die Public-Health-School will Büros räumen, Stellen streichen, Programme schließen. "Es fühlt sich an, als würden wir langsam ertrinken", sagt Steve Gortmaker, Leiter eines Präventionszentrums.
Alumni spenden für Harvard
Und doch: Da regt sich etwas. Samuel Graham-Felsen, jüdischer Harvard-Absolvent und bislang erklärter Spendenverweigerer, überwies 108 Dollar und sagt: "Je mehr Trump Harvard bestraft, desto mehr werde ich spenden." Dutzende Alumni taten es ihm gleich, angeblich auch Barack Obama und Bernie Sanders. Harvard, oft als nicht von dieser Welt verspottet, wird in diesen Tagen zum Symbol der Selbstbehauptung.
Steven Levitsky, Politologe und Co-Autor des Bestsellers "How Democracies Die", hatte sich nach Trumps Wiederwahl zurückgezogen. Dann las er den Antwortbrief seiner Uni an das Weiße Haus. Levitsky dachte: Jetzt ist der Moment. In seiner Vorlesung über moderne Diktaturen zitierte er den Text. Die Studentinnen und Studenten applaudierten. Steven Levitsky sagt: "Wenn wir zurückschlagen wollen, dann jetzt. Denn der Angriff auf die Universitäten ist nur der Anfang."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 20. April 2025 | 08:00 Uhr