
Forschungsfreiheit Klimadaten in Gefahr: US-Plattformen vor Abschaltung
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17. April 2025, 10:32 Uhr
Da die US-Regierung plant, mehrere Seiten mit kritischen Umweltdaten vom Netz zu nehmen, haben sich deutsche Forschungsinstitute zusammengeschlossen, um diese Daten für die Allgemeinheit zu sichern - ein Wettlauf gegen die Zeit.
Im Klimazustandsbericht für Europa steht es seit wenigen Tagen schwarz auf weiß: der Kontinent ist immer stärker von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Um besser mit diesen Auswirkungen klarzukommen, sind Forschungseinrichtungen auf Umweltdaten angewiesen, die weltweit eingeholt werden.
Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig berichtet MDR INVESTIGATIV nun von eingeschränktem Zugriff auf Satelliten- und Ozeanbeobachtungsdaten aus den USA. "Für unsere Forschung sind diese Informationen kritisch, da es nicht immer europäische Alternativen gibt", sagt Katrin Böhning-Gaese, wissenschaftliche Geschäftsführerin des UFZ.
Hintergrund sind tiefgreifende Umstrukturierungen in US-Behörden, die zentrale Plattformen für Umwelt- und Klimadaten bereitstellen. Mehrere US-Datenbestände sind derzeit gefährdet und könnten in den USA bald vom Netz genommen werden, weswegen mehrere deutsche Forschungseinrichtungen diese Daten retten wollen.
Fehlende Daten: Konkrete Gefahr für den Menschen
Die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) hat laut Böhning-Gaese sogar schon angefragt, ob europäische Partner zentrale Datenbanken zur toxikologischen Bewertung von Chemikalien übernehmen könnten, die Testdaten von Millionen chemischer Substanzen beinhalten. "Wenn die Giftigkeit von Chemikalien nicht mehr bekannt ist, ist die Gesundheit der Menschen lokal und global gefährdet", erklärt sie. Die entsprechenden Datenbanken seien inzwischen vom UFZ gesichert worden. Eine MDR-Anfrage an die EPA blieb inhaltlich unbeantwortet. Man teilte lediglich mit, grundsätzlich weiter verpflichtet zu sein, Daten öffentlich zugänglich zu machen.
Erste Plattformen sollen in Kürze abgeschaltet werden, wie das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven MDR INVESTIGATIV bestätigt. "Einige Daten sind bereits nicht mehr zugänglich oder sollen im Mai vom Netz genommen werden – etwa die Shoreline / Coastline Resources Seite der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten", so AWI-Pressesprecher Roland Koch. Die Daten der Plattform fließen in die Forschung zu den Folgen des globalen Klimawandels ein, insbesondere zu Veränderungen des Meeresspiegels.
"Die Daten der NOAA dienen beispielsweise auch einem besseren Verständnis von El Niño/La Niña-Ereignissen, von Tornados, Hurrikanen oder der Ausbreitung von Luftschadstoffen. Wenn solche Daten dauerhaft fehlen, verlieren Frühwarnsysteme, Küstenschutzmaßnahmen und internationale Klimamodelle an Präzision", warnt Koch.
"Löcher auf der Karte" – drohende Lücken in globalen Messnetzen
Fällt ein Partner wie die NOAA aus, entstehen buchstäblich "Löcher auf der Karte", erläutert Wolfgang zu Castell, Direktor des Department Geoinformationen am GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam. Gemeint sind Lücken in globalen Messnetzen zur Erdbeobachtung, auf die Klimamodelle und Frühwarnsysteme angewiesen sind. Besonders folgenreich ist dies, weil Daten international arbeitsteilig verarbeitet werden. Sensoren in Ozeanen liefern Rohdaten, die anschließend von unterschiedlichen Partnern aufbereitet werden. Bricht ein Glied dieser Kette weg, droht ein bleibender Schaden.
Deutsche Forschungseinrichtungen reagieren mit Datensicherung
Um einem Datenverlust zuvorzukommen, erstellen mehrere deutsche Forschungseinrichtungen Sicherungskopien besonders gefährdeter US-Datenbestände. Die Helmholtz-Zentren für Umweltforschung (UFZ), Ozeanforschung (GEOMAR), Geoforschung (GFZ), Polar- und Meeresforschung (AWI) sowie das Deutsche Klimarechenzentrum koordinieren derzeit gemeinsame technische Lösungen – bisher im Umfang von mehreren hundert Terabyte. Doch der Bedarf könnte schnell weiter steigen.
"Wir retten vor allem die Daten, bei denen US-Kollegen uns konkret um Hilfe gebeten haben", so AWI-Sprecher Koch. Dabei gehe es nicht allein ums Speichern, sondern auch d arum, dass diese Daten weiterhin nutzbar bleiben – insbesondere, wenn wichtige Verarbeitungsschritte bislang ausschließlich in den USA durchgeführt wurden.
Gespräche mit der NOAA laufen bereits, berichtet das AWI. Viele US-Partner seien jedoch derzeit stark verunsichert, einige Kontakte bereits abgebrochen. Erste Datenübernahmen in das Forschungsdatenarchiv PANGAEA laufen aktuell. Ähnliche Anfragen bestätigt auch das GFZ, bislang jedoch in kleinerem Umfang zu geowissenschaftlichen Datendiensten.
Europäische Kapazitäten könnten bald an Grenzen stoßen
Um schnell reagieren zu können, organisieren sich die Helmholtz-Zentren derzeit in einer "Koalition der Willigen", wie Wolfgang zu Castell erläutert. Ziel sei es, Speicherkapazitäten, Fachwissen und Schnittstellen gemeinsam zu koordinieren – bevor zentrale Daten unwiderruflich verloren gehen.
Gleichzeitig warnen AWI und GFZ vor einer möglichen Überlastung: Sollte die Zahl der Datenübernahmen stark steigen, könnten die derzeitigen IT-Kapazitäten schnell an ihre Grenzen stoßen. Viele der betroffenen Daten durchlaufen mehrstufige Verarbeitungsprozesse, an denen internationale Partner beteiligt sind. Für einige dieser Prozesse gibt es bislang keine europäischen Alternativen. Wenn entsprechende Dienste in den USA wegbrechen, müsse Europa rasch in der Lage sein, diese Aufgaben eigenständig aufzufangen.
Trump plant umfassende Kürzungen in der Klimaforschung
Hintergrund der aktuellen Entwicklung ist ein geplanter Umbau der US-Klimabehörde NOAA. Nach Informationen der US-Nachrichtenplattform Politico will die Trump-Regierung zentrale Forschungseinheiten wie das „Office of Oceanic and Atmospheric Research“ auflösen. Diese Behörde spielt eine zentrale Rolle in der weltweiten Umwelt- und Klimaforschung. Sie liefert Messdaten und koordiniert internationale Programme – etwa zur Erfassung von Meeresströmungen oder Extremwetterwarnungen.
Schon während der ersten Trump-Amtszeit 2016 hatten Forschende vor möglichen Datenverlusten gewarnt. Damals gründeten sich Initiativen wie "Data Refuge", um öffentlich zugängliche Daten vor politisch motivierten Löschungen zu schützen. Die jetzige Entwicklung gehe jedoch weit darüber hinaus: Fachleute berichten von systematischen Einschränkungen zentraler Datenflüsse, gezielten Zugriffsbeschränkungen und drastischen Budgetkürzungen mit massiven Folgen für Forschung und internationale Kooperationen.
Ein deutscher Forscher, der nicht genannt werden will, beschreibt dem MDR den Eindruck, dass die Trump-Regierung diesmal deutlich vorbereiteter, schneller und gezielter gegen die Wissenschaft vorgehe. "Das betrifft ganz massiv die Bereiche Umwelt, Gesundheit und Klima – findet aber überall statt."
Schweigen aus Sorge um US-Partner
Eine große deutsche Forschungseinrichtung spricht von tiefer Verunsicherung. Offen äußern möchte man sich aber nicht – aus Sorge, US-Partner in Schwierigkeiten zu bringen. Nach MDR-Informationen habe man in den USA erlebt, dass kritische Aussagen ernste Konsequenzen nach sich ziehen könnten.
Diese Zurückhaltung ist verbreitet. Forschungseinrichtungen wie Max-Planck, Leibniz und Fraunhofer halten sich gegenüber dem MDR ebenfalls bedeckt. Intern laufen jedoch intensive Abstimmungen. US-Behörden sollen teilweise aktiv den Austausch mit Europa einschränken. NOAA-Mitarbeitende etwa dürfen keine Metadaten mehr zu Schiffsexpeditionen weitergeben, was die gemeinsame internationale Forschung erheblich erschwert.
Einer beschreibt die Situation so: "Es herrscht breite Verunsicherung, dass wenn sie den Kopf zu weit rausschrecken, der Rasenmäher erst recht kommt". Auch deshalb sei der Austausch mit europäischen Partnern häufig informell, vertraulich und nur über gesicherte Kanäle möglich.
Weniger Abhängigkeiten, mehr Souveränität
Zugleich stellt die Lage auch europäische Forschungseinrichtungen vor neue Fragen. Die Helmholtz-Gemeinschaft sowie die Fraunhofer-Gesellschaft bestätigen, dass das Bundesforschungsministerium die Allianz der Wissenschaftsorganisationen gebeten hat, mögliche Abhängigkeiten der deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft von US-amerikanischen Daten und Datenbanken zu eruieren. Eine entsprechende Prüfung ist angelaufen – Ergebnisse stehen noch aus.
Der Ausfall zentraler US-Infrastrukturen stellt Europas Forschung vor eine strategische Grundsatzfrage: Wie groß darf die Abhängigkeit von internationalen Partnern sein, wenn deren Verlässlichkeit schwindet? Und wie souverän muss Europa werden, um seine wissenschaftliche Handlungsfähigkeit zu sichern?
Auch die Fraunhofer-Gesellschaft hält die aktuelle Lage für bedenklich: "Vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Entwicklungen erscheint es zumindest kritisch, dass die Verantwortung für viele Datensysteme und -banken nicht in Europa bzw. Deutschland liegt, sondern diese international verortet sind."
Wolfgang zu Castell bringt es so auf den Punkt: "Ich glaube nicht, dass wir in ein paar Jahren einfach zur alten Normalität zurückkehren. Die Zusammenarbeit mit den USA wird sich verändern – nicht, weil wir das wollen, sondern weil wir jetzt Erfahrungen machen. Wir sollten vorbereitet sein, wenn Partner ausfallen, und dafür sorgen, dass wir unsere Forschung auch unabhängig fortführen können. Dafür braucht es mehr digitale Souveränität – auch in Europa."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 17. April 2025 | 06:00 Uhr