Investoren aus Osteuropa Polen übernehmen deutsche Firmen
Hauptinhalt
28. Februar 2020, 18:52 Uhr
Als die polnische Airlines LOT im Januar den Kauf des deutschen Ferienfliegers Condor verkündete, war der Jubel in Polen groß – und ebenso groß war das Erstaunen in Deutschland. Denn bislang war man hierzulande gewohnt, dass deutsche Firmen in Osteuropa auf "Einkaufstour" gehen. Dabei ist der umgekehrte Weg längst nichts Ungewöhnliches mehr.
Zum Beipiel Staßfurt
Das Sodawerk Staßfurt ist eines der ältesten Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Seit fast 138 Jahren werden hier Soda, Backpulver und Natriumkarbonat hergestellt. Deutsche Industrietradition, könnte man meinen – doch seit 2007 gehört das Werk dem polnischen Chemiegiganten Ciech. Und seitdem geht es in Staßfurt aufwärts. Rund 100 Millionen Euro hat sich der polnische Mutterkonzern sein deutsches Werk bislang kosten lassen. Dieser Betrag beinhaltet nicht nur die Kaufsumme sondern auch Neuinvestitionen wie die neue Anlage zur Natron-Herstellung, die 2019 in Betrieb ging. Und dabei soll es nicht bleiben. Derzeit laufen in Staßfurt bereits die Bauarbeiten für ein neues Werk von Ciech, bestätigt Ciech-Sprecher Mirosław Kuk. Ab Ende 2020 sollen dort Speisesalz, Spülmaschinensalze und pharmazeutisches Salz produziert werden. Noch einmal rund 100 Millionen Euro will man investieren.
Polen hat jetzt genug Kapital
Solche Investitionen wären vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen, sagt die Pressesprecherin der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK), Katarzyna Soszka-Ogrodnik. In den Neunzigern habe ein regelrechter Kapitalhunger geherrscht, sagt sie dem MDR. Damals sei sehr viel deutsches Kapital nach Polen geflossen. Es sei eine Einbahnstraße gewesen. "Inzwischen hat sich das geändert. Polen ist reicher geworden und polnische Firmen haben oft selbst genügend Eigenkapital, um im Ausland zu investieren." Kein Wunder, die polnische Wirtschaft brummt seit Jahren.
Exakte Zahlen, wie viele deutsche Firmen von polnischen Unternehmen gekauft wurden, gebe es zwar nicht, sagt Soszka-Ogrodnik. "Wir merken das aber in unserer täglichen Arbeit, weil wir polnische Unternehmer beraten, die nach Deutschland expandieren wollen", sagt die AHK-Sprecherin. Auch einige Kennzahlen bestätigen den Trend. Zwar ist die Zahl der deutschen Firmen in Polen mit rund 5.000 nach wie vor hoch. Doch polnische Firmen in Deutschland sind längst keine Seltenheit mehr – nach Schätzungen der Industrie- und Handelskammer sind es etwa 1.000 bis 1.500.
Polnische Übernahmen
Polnische Übernahmen wie beim Sodawerk Staßfurt sind kein Einzelfall mehr. Der einstige VEB Chemiefaserwerk Guben zum Beispiel, in dem zu DDR-Zeiten die berühmte Dederon-Seide produziert wurde, gehört seit 2013 der polnischen Grupa Azoty S.A. Daheim ist der Konzern Marktführer in Sachen Kunststoff- und Kunstdüngerproduktion. In Deutschland besitzt er inzwischen sogar ein zweites Unternehmen, den westdeutschen Düngemittelhersteller Compo Expert GmbH aus Münster. Auf Expansionskurs befindet sich auch die polnische Nowy Styl Group, der bereits drei verschiedene Möbelhersteller in Deutschland gehören. Die Liste an Beispielen ließe sich fortsetzen.
Retter in der Not
Und immer wieder sind die polnischen Investoren Retter in der Not, die ihre deutschen Firmen vor dem Konkurs bewahren. So war es etwa beim Badewannenhersteller HOESCH Design GmbH aus Nordrhein-Westfalen, der 2005 von der polnischen Sanplast AG übernommen wurde und heute regelmäßig bei Designpreisen abräumt. Oder bei der ehemaligen Altmärker Kunststoff-Technik GmbH (AKT) aus Gardelegen in Sachsen-Anhalt – der Automobilzulieferer wurde 2011 vom polnischen Mitbewerber Boryszew gekauft.
Viele Vorteile in Deutschland
Wie Umfragen der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer belegen, schätzen die polnischen Unternehmen, die sich in Deutschland "einkaufen", vor allem die hiesige Infrastruktur, die effiziente Verwaltung und die gute Zahlungsmoral der deutschen Geschäftspartner. Positiv hervorgehoben wird auch, dass die deutsche Wirtschaftspolitik stabil und vorhersehbar ist. Das Hauptmotiv, sich in Deutschland "einzukaufen" ist für die polnischen Unternehmen aber der Zugang zum hiesigen Markt. "Oft ist es einfacher, einen deutschen Partner zu kaufen, der vielleicht gerade etwas angeschlagen ist, und seine Position, seine Marken sowie Vertriebsketten zu übernehmen, als all das mühsam von der Pieke auf aufzubauen", sagt AHK-Sprecherin Soszka-Ogrodnik.
Polen haben es drauf
Bei einigen polnischen Unternehmern, die sich in Deutschland engagieren, dürfte darüber hinaus noch etwas anderes eine Rolle spielen. Ähnlich wie die Ostdeutschen galten sie lange als "Schüler", die erst noch lernen müssen, wie die Marktwirtschaft funktioniert. Inzwischen sind viele von ihnen zu echten Global Playern geworden.
So auch Marek Piechocki, Mitbegründer der polnischen Modekette Reserved, die seit einigen Jahren nach Deutschland expandiert und inzwischen 19 große Filialen hier unterhält, darunter in Berlin und Leipzig. Der polnische Millionär sagte der Zeitung "Rzeczpospolita", Geld sei dabei nicht die entscheidende Antriebskraft – er wolle vielmehr zeigen, dass die Polen es genauso können wie Westeuropäer.
"Oft werden wir von der Außenwelt als diejenigen hinter dem Eisernen Vorhang wahrgenommen, die immer noch nicht so viel drauf haben und immer noch zurückgeblieben sind", sagte er dem Blatt. Viele Deutsche hätten sich sehr gewundert, als sie hörten, dass seine Holding weltweit 1.700 Filialen besitze. "Ich mache das auch, um der Welt zu zeigen, dass wir Polen nicht schlechter sind als unsere Mitbewerber in Westeuropa."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 28. Februar 2020 | 17:45 Uhr