Faktencheck Nach Gysi-Aussage: Ist Morales-Zwischenlandung mit der in Belarus vergleichbar?

26. Mai 2021, 05:00 Uhr

Nach der erzwungenen Zwischenlandung eines Passagierflugzeugs in Belarus vergleicht Gregor Gysi den Fall mit einer erzwungenen Landung von Boliviens Ex-Präsident Evo Morales. Aber sind die Fälle überhaupt vergleichbar?

Die erzwungene Zwischenlandung eines Passagierflugzeugs in Belarus sorgt für Aufregung: Mithilfe einer vermeintlichen Bombenwarnung wurde das zivile Flugzeug zur Landung genötigt. Eine Bombe wurde nicht gefunden, dafür aber ein Regierungskritiker festgenommen. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi, bezeichnete den Vorfall als "Akt der Luftpiraterie" und kritisierte einen Bruch des Völkerrechts.

Edward Snowden
Der Whistelblower Edward Snowden. Bildrechte: imago/Kyodo News

Allerdings betonte er auch, dass er die Kritik des Westens für wenig glaubwürdig halte: "Dass jetzt die USA und alle so schimpfen und jetzt von Völkerrechtsbruch sprechen, ist natürlich nicht besonders glaubwürdig. Denn die Ersten, die das gemacht haben, das waren die USA, als sie gezwungen haben, das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien zu landen. Und zwar, weil sie glaubten, Snowden sei an Bord, den sie dort festnehmen wollten. Also der Westen liefert immer das Beispiel und der Osten zieht nach."

Faktencheck von Gysis Aussage

Der damalige bolivianische Staatspräsident Evo Morales war 2013 zu Besuch in Russland. Vor seiner Rückreise kamen Gerüchte auf: Der von den USA gesuchte Whistleblower Edward Snowden sei an Bord der Präsidentenmaschine. Snowden hielt sich zu diesem Zeitpunkt im Transitbereich eines Moskauer Flughafens auf.

Das bolivianische Staatsflugzeug musste schließlich den Rückflug nach La Paz unterbrechen und in Wien zwischenlanden. Denn Frankreich, Spanien und Portugal hatten ihren Luftraum gesperrt, erzählt Stephan Hobe. Der Professor ist Direktor des Instituts für Luftrecht, Weltraumrecht und Cyberrecht an der Universität zu Köln: "Und das ist ein bisschen widersprüchlich: Einige sagen, auch die Maschine ist durchsucht worden nach Snowden. Andere sagen, Präsident Morales habe das damals nicht zugelassen."

Unterschiede zwischen beiden Fällen

Fakt ist: Evo Morales hat mehrere Stunden in Wien festgesessen, bis die drei Länder ihn haben passieren lassen. Dieser Vorfall ist für Stephan Hobe aber nicht mit dem aktuellen Fall vergleichbar. Ein Unterschied: Es gab keine mutmaßliche Täuschung durch eine Bombendrohung.

Außerdem handelte es sich damals nicht um ein ziviles Passagierflugzeug, betont Luft- und Völkerrechtsexpertin Elisabeth Hoffberger-Pippan von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Da muss man dann sagen, dass die Freiheit der Luftfahrt prinzipiell nicht bei Staatsflugzeugen gilt. Die brauchen immer eine Genehmigung, das ist in jedem Fall der Unterschied. Aber selbst da würde ich sagen, wenn ich die Genehmigung nur aus dem Grund zurückziehe und dann jemanden beispielsweise zur Landung bewege oder zur Landung zwinge, nur um jemanden, der sich an Bord befindet, festzunehmen, würde ich dahinter dann eventuell auch einen Rechtsmissbrauch sehen."

Dennoch seien die Fälle nicht direkt vergleichbar, da es im aktuellen Fall wirklich eine Festnahme gegeben habe, die auch ein Menschenrechtsverstoß sei. Hätte aber Edward Snowden im Flugzeug von Evo Morales gesessen und wäre festgenommen worden, dann wäre das in ihren Augen ebenfalls problematisch gewesen.

Nur bedingt vergleichbar

Dass die Reaktion von EU und USA jetzt besonders stark ausfalle, hinterlasse jedenfalls keinen ganz schlanken Fuß, ergänzt Elisabeth Hoffberger-Pippan. "Es ist jedenfalls generell von einer Tendenz auszugehen, dass hier wirklich die zivile Luftfahrt auch missbraucht wird, um beispielsweise Menschen zu einer Landung zu bewegen. Und das ist natürlich etwas, was jedenfalls zu beanstanden ist."

Auch Luftrechtsprofessor Stephan Hobe betont, dass es ein schwerer Rechtsverstoß ist, ein ziviles Flugzeug ohne triftigen Grund zur Landung zu zwingen. Sollte die Zwischenlandung in Belarus tatsächlich mithilfe von Täuschung und Drohung erzwungen worden sein, hält er die heftige Reaktion des Westens für legitim: "Was hier passiert ist, bedeutet doch, dass man sich möglicherweise auch als ziviler Passagier nicht mehr drauf verlassen kann, dass man da auch landet, wo man hin möchte. Und dass natürlich da der Grund dessen – der lange Arm von Lukaschenko sich überall hinbewegt, ist eine doch besorgniserregende Tatsache. Also ich kann da keine Doppelzüngigkeit erkennen, muss ich ganz ehrlich sagen."

Einig sind sich die Fachleute jedenfalls, dass sich die beiden Fälle nur bedingt miteinander vergleichen lassen – schon allein, weil für die zivile Luftfahrt seit Jahrzehnten ganz eigene Regeln gelten.

Quelle: MDR / Kristin Kielon

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 26. Mai 2021 | 06:00 Uhr

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