Der Berg Bürgenstock mit dem Bürgenstock Resort ist über dem Vierwaldstättersee zu sehen.
Auf dem Bürgenstock oberhalb des Vierwaldstaetter Sees soll die von der Schweiz ausgerichtete Ukraine-Friedenskonferenz abgehalten werden. Bildrechte: picture alliance/dpa/KEYSTONE | Michael Buholzer

Russland-Ukraine-Krieg Was die Ukraine-Friedenskonferenz ohne Russland bringen soll

14. Juni 2024, 05:00 Uhr

Am 15./16. Juni richtet die Schweiz eine Friedenskonferenz für die Ukraine aus. Ausgangspunkt soll die sogenannte Friedensformel des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sein. Konkret geht es erst einmal um: atomare Sicherheit, Lebensmittelsicherheit sowie Gefangenenaustausch und Rückkehr der Deportierten. Ostblogger Denis Trubetskoy (Kiew) im Gespräch über die ukrainischen Erwartungen an die Konferenz.

Russland ist bei der Friedenskonferenz in der Schweiz nicht dabei, aber irgendwann kommt man nicht umhin, sich an einen Tisch zu setzen – ist Russland bereit für Verhandlungen und einen Friedensschluss?

Denis Trubetskoy: Das wird von einigen Akteuren im Westen so interpretiert, tatsächlich ist es aber das Gegenteil von Friedensbereitschaft. Denn die zuletzt gestellten Forderungen Russlands lauteten etwa, dass die ukrainischen Streitkräfte auf 85.000 Soldaten reduziert werden sollen und die Ukraine keine Waffen besitzen dürfe, die mehr als 40 Kilometer Reichweite haben. De facto würde es sich dabei um eine Entmilitarisierung der Ukraine handeln, die sich bei einem neuerlichen russischen Angriff nicht verteidigen könnte.

Theoretisch denkbar wäre ein grober Plan für einen Waffenstillstand ohne solche inakzeptablen Bedingungen, der von neutralen Ländern unterstützt wird und dabei auch festschreibt, wer diesen Waffenstillstand kontrollieren könnte. Ein solcher Plan würde aber in absehbarer Zeit kein Ende der Kämpfe bringen. Dafür müsste die Ukraine Russland vorerst auf dem Schlachtfeld stoppen – und am besten an einigen Frontabschnitten zumindest etwas zurückdrängen. Die Ukraine wird allerdings erst 2025 von der erhöhten Munitionsproduktion im Westen profitieren können. Vorher sind militärische Erfolge der ukrainischen Streitkräfte kaum möglich. Die Existenz eines Plans für einen Waffenstillstand würde aber langfristig Druck auf Moskau ausüben und wäre deshalb hilfreich.

Denis Trubetskoy - Porträt Junger Mann
Ostblogger Denis Trubetskoy aus Kiew (2020) Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Was kann also der derzeitige Friedensgipfel, bei dem die Kriegspartei Russland nicht dabei sein wird, denn überhaupt bewirken? Wozu ist der gut?

Zunächst einmal wäre es falsch, die Friedensformel von Präsident Selenskyj, die den Ausgangspunkt der Gespräche in der Schweiz bildet, als wirkliche Grundlage für zukünftige Verhandlungen mit Russland über das Ende der aktuellen Kampfhandlungen zu betrachten. Dass Moskau dem freiwilligen Rückzug aus allen ukrainischen Gebieten und etlichen anderen Punkten der Friedensformel zustimmt, liegt außerhalb des Vorstellbaren.

Vielmehr handelt es sich um die Formulierung des strategischen, durch das Völkerrecht gedeckten Maximalziels Kiews: Die Ukraine sagt, dass sie die Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität anstreben wird, auch über den aktuellen Krieg hinaus und auch mit diplomatischen und politischen Mitteln. Je mehr Länder dieses Ziel unterstützen, desto besser für die Ukraine. Die Umsetzung dieses Ziels könnte aber sehr lange dauern, man denke nur an die deutsche Wiedervereinigung, auch wenn Vergleiche dieser Art nie zu 100 Prozent funktionieren.

Dadurch, dass vier der zehn Punkte der Formel eher mit globalen Fragen zu tun haben, ist die Formel zudem der Versuch Kiews, eine Debatte über die Regeln der internationalen Sicherheit für die Zeit nach diesem Krieg anzustoßen. Damit will die Ukraine so viele Länder wie möglich zur Teilnahme bewegen, die den Krieg eher nicht durch die ukrainische Brille sehen.

Und wie erfolgreich ist die Ukraine damit, ihre Perspektive auf den Krieg zu vermitteln?

Das wird man erst nach dem Gipfel wirklich einschätzen können. Denn die vollständige Liste der Teilnehmerländer wird laut der Gastgeberin Schweiz erst am Vorabend des ersten Gipfeltages bekanntgegeben. Bisher spricht die Schweiz von Zusagen aus etwa 90 Ländern, rund die Hälfte davon soll durch Staats- und Regierungschefs vertreten sein.

Selbst wenn es bei 90 Staaten bleibt, wäre der Gipfel recht groß, was Kiew als Erfolg für sich verbuchen könnte. Dass es zunächst nur um drei Punkte der Formel gehen und das Abschlussstatement wohl recht allgemein bleiben wird, war ursprünglich wohl nicht im Sinne er ukrainischen Staatsspitze. Aber der Gipfel hat das Potential, der Anfang eines neuen, großen Prozesses zu sein, der neue diplomatische Türen aufstoßen könnte.

China wird nicht an der Konferenz teilnehmen, hat aber enge Verbindungen zu den Ländern des globalen Südens, wie etwa Südafrika oder Brasilien. Welche Auswirkungen hat es auf diese Staaten, dass China nicht dabei ist?

Die Ukraine hat sich um die Teilnahme Chinas intensiv bemüht, aber es hat sich früh abgezeichnet, dass Peking auf keinen Fall mit ranghohen Vertretern dabei sein würde. Dass China jetzt komplett abgesagt hat, ist keine Überraschung: Zwar sieht Peking Russlands Krieg gegen die Ukraine an sich wohl skeptisch und mag an einem umfassenden Sieg Russlands nicht interessiert sein. Dennoch teilt China die russische Sicht auf die Gründe für den Krieg.

Der Führung in Kiew sind zwei Dinge durchaus bewusst: Die Haltung Chinas wird sich kaum ändern und China wäre auch nicht an einem ukrainischen Sieg interessiert, weil das aus Pekings Sicht auch ein Sieg der USA wäre. Offenbar hat aber China in den letzten Wochen und Monaten intensiv daran gearbeitet, Länder des globalen Südens von der Teilnahme am Friedensgipfel abzuraten oder darauf hingewirkt, dass sie zumindest weniger hochrangige Vertreter schicken. Präsident Selenskyj hat darauf offensichtlich verärgert und recht emotional reagiert. Wie erfolgreich China damit aber tatsächlich war, bleibt abzuwarten.

Sollte etwa Saudi-Arabien, das bei bisherigen Gefangenenaustauschen eine wichtige Vermittlerrolle gespielt hat, wie von Medienberichten angedeutet, dem Gipfel fernbleiben, wäre das für die Ukraine enttäuschend. Denn gerade Staaten wie Saudi-Arabien oder etwa die Türkei, die sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland relativ gute Beziehungen unterhalten, könnten bei Hintergrundgesprächen in der Schweiz eine bedeutende Rolle spielen.

Präsident Selenskyj (Ukraine) und Kronprinz Mohammed bin Salman (Saudi-Arabien)
Präsident Selenskyj im Gespräch mit Mohammed bin Salman, Kronprinz und Ministerpräsident von Saudi-Arabien (Februar 2024). Das Land könnte eine wichtige Rolle bei Verhandlungen mit Russland spielen. Bildrechte: IMAGO / Bestimage

Was weiß man denn über Themen für Gespräche abseits der offiziellen Agenda?

Es ist fast ausgeschlossen, dass es am Ende der aktuellen Kampfhandlungen eine prinzipielle Einigung zu territorialen Fragen gibt. Die Ukraine wird ihre besetzten Gebiete niemals als russisch anerkennen. Russland hat diese aber bereits als eigenes Staatsgebiet in seine Verfassung eingeschrieben und wird sie nicht freiwillig abgeben. Hier existiert kein Raum für einen Kompromiss.

Ein Waffenstillstand ohne Vorbedingungen ist jedoch irgendwann in fernerer Zukunft nicht ausgeschlossen. Aktuell sieht sich Russland allerdings in der Position militärischer Stärke - und so signalisiert Wladimir Putin mit seinen Verweisen auf die Istanbuler Verhandlungen von Ende März 2022 sowie auf einen angeblich auf 15. April 2022 datierten Entwurf eines Vertrages, unter welchen Bedingungen er im Moment für einen Waffenstillstand bereit wäre – und die sind für die Ukraine, wie bereits geschildert, inakzeptabel.

Wie nimmt die ukrainische Gesellschaft den anstehenden Friedensgipfel wahr?

Der Juni ist für Präsident Selenskyj außenpolitisch turbulent. Von allen seiner Besuche, sei es die Teilnahme am Jubiläum des D-Days in der Normandie, an der Wiederaufbaukonfernz in Berlin oder am G7-Gipfel, zieht der Friedensgipfel bei den Menschen in der Ukraine mit Abstand die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Von überhöhten Hoffnungen zu sprechen wäre aber übertrieben. Die Ukrainer, die gerade wieder mit massiven Stromausfällen zu kämpfen haben, wissen, dass das Wichtigste im Moment weiterhin auf dem Schlachtfeld passiert und konzentrieren sich vor allem darauf. Ihnen ist klar, dass sich das Fenster für Frieden in diesem Jahr nicht öffnen wird.

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MDR (usc/baz)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 04. Juni 2024 | 10:13 Uhr

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