Bootsport in Tschechien
Paddeln ist in Tschechien bei Groß und Klein ein sehr beliebtes Hobby. Bildrechte: Bretislav Sevcik

Beliebter Volkssport Tschechien legalisiert Alkohol beim Paddeln – steigt die Zahl der Unfälle?

28. März 2023, 12:06 Uhr

Sobald es in Tschechien wärmer wird, drängt es viele Menschen aufs Wasser: Paddeln ist in Tschechien eine Art Volkssport. Viele kosten dabei das Gefühl der Freiheit und den Kontakt mit der Natur aus – doch immer mehr Tschechen genießen beim Paddeln noch etwas anderes: Alkohol. Und der Gesetzgeber hat das soeben legalisiert: "Bootsführer" dürfen sich künftig bis zu 0,5 Promille erlauben. Experten und Verbände schlagen Alarm – sie befürchten mehr Unfälle auf dem Wasser.

Die Prager Journalistin Helena Truchlá
Bildrechte: Helena Truchlá | MDR

Auf den Gipfeln der tschechischen Berge liegt noch Schnee, aber in den Tälern werden mit den ersten Sonnenstrahlen die ersten Boote zu Wasser gelassen: Kanus, Kajaks, Rafts. Jedes Jahr gehen 750.000 Tschechinnen und Tschechen "aufs Wasser".

"Ich kann mir einen Urlaub ohne das Boot nicht vorstellen", ist oft zu hören – und das nicht nur von jungen Menschen. Der fünfzigjährige Jan Moláček aus Prag zum Beispiel sagt, er macht Wassersport "nicht so oft" – und meint damit drei bis viermal im Jahr, einmal davon eine ganze Woche lang.

Das Bootfahren nach tschechischer Art ist ein bestimmter Lebensstil. Die Paddler verbringen ihre Zeit gemeinsam in der Natur, spielen am Lagerfeuer Gitarre, singen, kochen und schlafen "in der Wildnis" unter freiem Himmel – eine Auszeit, die sie oft mit dem Wort "Chill" beschreiben.

Bootsport in Tschechien
Eingeschworene Gemeinschaft: Vielen Tschechen macht das Paddeln in der Gruppe einfach mehr Spaß. Bildrechte: Tereza Domanská

Tschechien: kein Meer, viele Wasserratten...

Die passionierte Bootsfahrerin Sarah K. ist gleichzeitig auch Soziologin und daher daran gewöhnt, die Welt um sich herum zu beobachten und zu analysieren. Sie sieht zwei Hauptgruppen von Paddlern in Tschechien: Die "Sportler", die schon im Frühjahr "aufs Wasser" gehen und sogar ins Ausland reisen – hauptsächlich nach Österreich, in die Slowakei oder nach Italien. Für sie steht die sportliche Herausforderung im Mittelpunkt. "Und dann gibt es Leute, die hauptsächlich zum Entspannen aufs Wasser gehen. Es ist eine besondere Form der Entspannung in einem Land, das keine Meeresküste hat", sagt Sarah. Diese Entspannung ist für viele untrennbar mit Alkoholkonsum verbunden.

... und immer mehr Alkohol beim Paddeln

Das Verpflegungsangebot entlang der Flüsse hat sich mittlerweile an diese Nachfrage angepasst. So sind etwa auf der Moldau zahlreiche schwimmende Bars entstanden. Dort kann man direkt von seinem Paddelboot aus ein hochprozentiges Getränk kaufen, zum Beispiel einen Mojito. Tschechische Rettungskräfte beklagen schon seit Jahren einen Zusammenhang zwischen diesen Bars und der zunehmenden Zahl von betrunkenen Bootsfahrern.

Aber das gilt nicht nur für die Moldau. "Ich habe auf der Ploučnice, einem der technisch anspruchsvollsten Flüsse, Begegnungen mit völlig betrunkenen Besatzungen erlebt und halte das für ausgesprochen gefährlich," sagt Jan Wirnitzer, ein klassischer Freizeitpaddler.

Eine riskante Gesetzesänderung

Lange Zeit galten solche Fälle als Kavaliersdelikt: Es gab zwar eine Null-Promille-Regel für Bootsführer, sie wurde aber kaum durchgesetzt. "Niemand hat mich jemals auf dem Wasser kontrolliert", berichtet Freizeitpaddler Jan Moláček. Seit März 2023 sind die Regeln milder: Der Bootsführer darf sich völlig legal bis zu 0,5 Promille Alkohol gönnen.

Jan Ptáček vom Verband für Wassertourismus und -sport hält diese Lockerung allerdings für keine gute Idee. "Ich kann mir nicht vorstellen, was mit einer 0,5-Promille-Grenze passieren wird, wenn ich sehe, wie es mit der Nulltoleranz war. Ein halbes Promille entspricht etwa zwei Bieren, aber auf eine Dame kann das eine ganz andere Wirkung haben als auf einen stämmigen Mann", sagt Ptáček.

Derzeit ist die Zahl der Bootsunfälle auf tschechischen Flüssen stabil, das zeigt die jährliche Unfallstatistik des Wassersportverbandes. Im Jahr 2022 gab es insgesamt neun Bootsunfälle, zu denen die Feuerwehr ausrücken musste. Fünf tschechische Bootsfahrer ertranken – allerdings drei von ihnen im Ausland. Aber: "Die Tatsache, dass es darunter einen tödlichen Unfall unter Alkoholeinfluss gab, beweist, dass wir mit Alkohol auf dem Wasser sehr vorsichtig sein sollten", so Verbandssprecher Ptáček.

Das Hauptproblem sei zwar nicht die 0,5-Promille-Grenze, die zum Beispiel auch in Deutschland gilt, sondern die Tatsache, dass es für andere Besatzungsmitglieder in Tschechien überhaupt keinen Grenzwert gibt. Das ist in Deutschland anders: Ab 0,5 Promille darf man offiziell nicht mehr paddeln, egal ob als Bootsführer oder "nur" als Besatzungsmitglied.

Zu viel Alkohol – zu wenig Vorsicht

Auch der Trainer und Guide für Wildwassertouren Jan Mrkos sieht die Lockerung der Regeln kritisch: "Menschen, die auf dem Wasser Alkohol trinken, sind potenzielle Opfer eines tragischen Gesamtsystems, in dem sie sich an den Gedanken gewöhnt haben, es sei in Ordnung zu trinken, aber die Risiken unterschätzen und gefährliche Stellen oft nicht erkennen," sagt der 33-Jährige. Er hat einen persönlichen, traurigen Grund, vorsichtig zu sein: Einer der Guides seines Vereins ist letztes Jahr bei einer Wildwassertour ertrunken.

Tomáš Ř., Betreiber eines Wassersport-Camps in Litovel am Fluss Morava, gibt sich dagegen gemäßigt. "Ich denke, dass es auch in Deutschland Flüsse gibt, die ruhig sind und an denen man zwei oder drei Bier trinken kann. Und dann gibt es Bäche in den Alpen, wo man nüchtern sein muss", sagt er. Die Grenze ist für ihn der Schwierigkeitsgrad Wildwasser 2 oder in anderen Klassifzierungen Kategorie II – also Flüsse mit einer raschen, unregelmäßigen Strömung. Allerdings fallen die meisten tschechischen Flüsse in diese Kategorie.

Bootsport in Tschechien
Wasser, Natur, Stille – für viele tschechische Paddler ist ihr Sport Ausdruck eines Lebensgefühls. Bildrechte: Bretislav Sevcik

Wie jedes Jahr möchte Freizeitpaddler Jan Moláček noch vor dem Sommer seinen ersten Ausflug auf Wasser machen. Dabei wird er wie immer ein oder zwei Bier trinken. "Für mich ist das Entspannung pur. Ich sitze einfach im Boot und paddle. Morgens frühstückt man, packt sein Zelt zusammen, und das Programm für den ganzen Tag steht fest", sagt er. Und auch für ihn spielt das Gefühl, das mit dieser typisch tschechischen Freizeitaktivität einhergeht, eine sehr große Rolle: Chill.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | NACHRICHTEN | 17. Juni 2022 | 13:00 Uhr

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