Roma-Architektur Ein Palast nur fürs Prestige
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03. April 2019, 06:46 Uhr
Die einen sagen, sie seien Kitsch, die anderen halten sie für exotisch. Ein Hingucker sind die rumänischen "Zigeunerpaläste" allemal. Den Bauherren geht es bei ihren Häusern nicht um Wohnraum, sondern um Prestige. Ein Interview mit dem rumäniendeutschen Architekten Rudolf Gräf. Er meint, die Häuser seien ein Phänomen, das seinesgleichen sucht in Europa.
Heute im Osten: Wenn man Ihr Buch liest, stolpert man zunächst über den Begriff "Zigeunerpalast". Wie kommen Sie auf dieses Wort?
Rudolf Gräf: Die Roma, die solche Häuser besitzen, bezeichnen sie allesamt selbst als "Zigeunerpalast". Doch nach westlichem Verständnis sind viele dieser Bauten gar keine Paläste. Sie sind zum Großteil aus billigen Materialien gebaut oder besitzen lediglich Elemente, die auf einen Palast hindeuten.
Diese Bauten machen seit Jahren in Rumänien Schlagzeilen, auch weil sie dem Bild von der Roma-Minderheit so gar nicht entsprechen. Die meisten Roma darben in Slums oder in miesen Barackensiedlungen. Wer von ihnen kann sich hingegen einen Palast leisten?
Es ist nur eine verschwindend kleine Minderheit der Roma. Die meisten Häuser gehören Roma, die einst Kupferschmiede waren - im Rumänischen Kalderasch genannt. Sie haben einen ausgeprägten Unternehmergeist und nach der Wende begonnen, ihren Unterhalt im Altmetall-Handel zu verdienen. Viele der Häuser sind nach westlichem Verständnis keine Paläste, auch wenn die Besitzer sie allesamt als "Zigeunerpaläste" bezeichnen. Jedoch ist ein Großteil aus billigen Materialien gebaut oder besitzt lediglich Elemente, die auf einen Palast hindeuten. Man sollte auch nicht vergessen, hinter einem solchen Bau stecken eine Menge Leute, eine ganze Großfamilie, die ihn finanziert hat.
Der Drang nach Eigentum wirkt ungewöhnlich für Roma, die lange Zeit ein nomadisches Volk waren...
Ja, gerade die Kupferschmiede sind eine Roma-Gruppe, die teilweise erst in den 1960er-Jahren sesshaft wurde. Sie lebten in Wohnwagen, begannen später Häuser zu bauen, in oft räumlich abgetrennten sogenannten Zigeunersiedlungen in ländlichen oder urbanen Orten. Ich vermute, dass diese Gruppe eine Legitimation für ihr neues Leben wollte. Sie haben das Artefakt "Haus" aus der Kultur der Mehrheitsbevölkerung übernommen, ihm aber eine abgewandelte Rolle zugesprochen. Die neuen Häuser nutzen sie weniger als Wohnraum, sondern vielmehr als Prestigeobjekt. Sie sollen die Familie repräsentieren.
Wen sollen denn die Paläste beeindrucken?
Einerseits will man innerhalb der eigenen Roma-Gruppe ein Zeichen setzen, dass man ein gewisses Prestige erreicht hat, Respekt verdient und auch die schicksalhafte Fügung hatte, ein solches Haus bauen zu können. Andererseits sind die Häuser ein wichtiges Element, um neue Familienallianzen zu schmieden. Um in eine gute Familie einzuheiraten, muss man schon etwas vorweisen können. Oft erhält der Sohn ein solches Haus als Mitgift, die Gattin bringt die Möbel, Porzellanfiguren oder Wandteppiche mit ein. Familienhäuser sind ja auch in unserer Kultur ein Zeichen für soziales Prestige und in der Vergangenheit hatten sie alle auch eine gute Stube, in die die Gäste geführt wurden. Bei den Kalderasch ist die gute Stube ein ganzes Haus, in dem man Gäste empfängt und die wichtigsten Familienanlässe begeht - von der Geburt, über die Hochzeit bis zur Aufbahrung der Toten.
Wo leben die Eigentümer, wenn nicht im eigenen Palast?
Ihr Leben spielt sich viel im Freien und in der Sommerküche ab, im Winter lebt man teilweise auch in garagenähnlichen Räumen des Palastes. Bei meinen Recherchen 2003/2004 habe ich auch Roma getroffen, die neben ihrem neuen Haus noch immer in einem Zelt gelebt haben. Die neuen Häuser sind Ausdruck einer neuen Lebensart - Symbol für den Übergang von der nomadischen zur sesshaften Lebensweise und gleichzeitig Symbol für die Traditionen der Kalderasch, die sie sich trotz Wandels bis heute bewahrt haben. Viele der neuen Häuser verfügen über keine Toilette - ein Zeichen dafür, dass der profane, von sogenannten unreinen Elementen geprägte Alltag in den Prestige- und Festräumen nichts zu suchen hat.
Viele Paläste haben eine teils verwegene und verspielte Architektur. Wovon haben sich die Bauherren inspirieren lassen?
Im ländlichen Süden und Osten Rumäniens hat man sich oft an der Nachbarschaft orientiert und entweder das Haus des reichsten Rumänen im Ort zum Modell genommen oder man hat sich an repräsentativen Bauten der letzten 150 Jahre orientiert, wie das Rathaus, der Kulturpalast oder die Post und sie visuell kopiert, oft ohne schriftlichen Entwurf eines Architekten. Bei den Palästen geht es um eine mehr oder weniger mündlich entwickelte Baukunst und genau das macht den Mehrwert aus, den diese Häuser der rumänischen Kulturlandschaft bringen.
Viele halten die Paläste für kitschig und protzig. Wie sehen Sie das?
Das soll jeder bewerten, wie er will. Für mich sind diese Häuser aber ein Kulturprodukt. In diesen exotischen Bauten stecken so viele Informationen zur Geschichte der Roma-Volksgruppe, zur Identität dieser Menschen, ihrer Lebensweise, dass ich sie nicht einfach als schlecht geratene Architektur abtun kann, wie das viele meiner Kollegen machen.
Sie haben sich von diesen Bauten beeindrucken lassen?
Für mich sind diese Häuser ein Phänomen, das in den vergangenen Jahrzehnten seinesgleichen in Europa sucht. Hier hat sich eine Baukultur und -ästhetik herausgebildet, die weder von einer Architekturschule entwickelt wurde, noch über theoretische Grundlagen verfügt und von einer Bevölkerungsgruppe entworfen wurde, die nur teils alphabetisiert ist und für die Bauen bis vor wenigen Jahrzehnten noch ein Fremdwort war. Einen lebendigeren Umgang mit Architektur wie man ihn bei den Roma-Bauten vorfinden kann, habe ich bisher nirgendwo anders erlebt. Eine starke Verwaltung, an der es in den 1990er-Jahren mangelte, hätte den Bau solcher Häuser übrigens verhindert: Es fehlten Bebauungspläne, es fehlten Baugenehmigungsunterlagen, es fehlten schriftliche Anträge von Seiten der Bauherren.
Roma in Rumänien Offiziell sind in Rumänien 537.000 Roma registriert - viele haben aber keinen festen Wohnsitz oder sind nicht gemeldet. Ihre tatsächliche Zahl wird auf 1,8 bis 2,5 Millionen Rumänen geschätzt: rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Roma sind eine ausgesprochen heterogene Gruppe, aus vielen Untergruppen bestehend, innerhalb derer auch sozial ausgeprägte Unterschiede bestehen.
Sie schreiben in Ihrer Studie, die Häuser der Roma stellen in manchen Ortschaften alles in den Schatten, was nach 1989 gebaut wurde. Weckt das Sozialneid in der rumänischen Bevölkerung?
Absolut. Viele Reaktionen auf die Bauinitiativen der Roma fallen negativ aus. Kritisch beäugt wird auch, wenn sie ihr traditionelles Zigeunerviertel verlassen und versuchen, sich dort anzusiedeln, wo sie eben nicht mehr nur die armen Zigeuner sind.
Welchen Wert haben die Häuser auf dem Immobilienmarkt?
Der ist kaum nennenswert. Es ist schwer, ein solches Haus zu verkaufen. Es würde kaum jemand in einem Viertel wohnen wollen, wo nur Roma leben. Auch ist die Ästhetik der Bauten dermaßen prägend, dass sich kaum jemand aus der Mehrheitsbevölkerung damit identifizieren könnte. Zudem glaube ich, dass die Bauphase der üppigen "Zigeunerpaläste" vorüber ist. Man wollte den neu gewonnen Wohlstand zur Schau stellen und die neue, relative Sesshaftigkeit. In Gesprächen haben mir viele Bauherren aber erzählt, dass sie heutzutage nicht mehr das gesamte Geld in ein Haus investieren würden. Man denkt inzwischen vielmehr an Immobilien, die eine Rendite abwerfen würden oder auch daran, das eigene Geld in die Bildung der Kinder zu investieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person Der 38-jährige Rudolf Gräf ist Architekt und Stadtplaner in der westrumänischen Stadt Timisoara und zugleich Vizepräsident der Rumänischen Architektenkammer. 2007 veröffentlichte er sein Buch "Zigeunerpaläste. Die Architektur der Roma". Über die "palatele tiganesti", die so genannten "Zigeunerpaläste", wie die Roma ihre Bauten selbst nennen, hatte Gräf mehrere Jahre geforscht und mit zahlreichen Beteiligten gesprochen. Auf das Thema kam er, weil es "über dieses so sichtbare Phänomen nur ein paar mit Vorurteilen belastete Zeitungsartikel gab".
Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: TV | 28.06.2017 | 17:45 Uhr