Interview Rumänien: Die Müllsortierer von Cluj
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29. August 2016, 13:24 Uhr
Rumänien will bis 2017 EU-konforme Mülldeponien errichten. Noch sieht die Praxis anders aus: Der unsortierte Hausmüll wird auf improvisierte Halden abgeworfen. Die Stadt Cluj-Napoca setzt auf Roma, die die Abfälle trennen sollen. Der Anthropologe Adrian Dohotaru hat selbst auf der Halde gearbeitet, um die prekären Arbeitsbedingungen öffentlich zu machen. Wir haben mit ihm über seine ungewöhnliche Aktion gesprochen und darüber, warum Rumänien zu den EU-Schlusslichtern bei der Mülltrennung gehört.
Sie haben sich voriges Jahr drei Tage lang als Müllsortierer auf der Deponie Pata Rat von Cluj-Napoca verdingt. Wie hat es dort gerochen?
Es lag ein absoluter stechender Geruch in der Luft. Als ich in einem Müllberg aus Plastik- und Essensresten stand, inmitten von benutzten Windeln, von Farb- und Chemieabfällen kehrte sich mein Magen um. Mein Glück war damals, dass durch eine Erkältung meine Nase verstopft war. Das hat mich gerettet. Es herrschen auf der Müllkippe äußerst fragwürdige Arbeitsbedingungen. Man glaubt sich in Lateinamerika oder in Indien, aber nicht in einem EU-Mitgliedsstaat.
Unter welchen Bedingungen arbeiten die Roma auf der Deponie?
Das Bürgermeisteramt von Cluj-Napoca heuert neben einem festangestellten Entsorgungsteam täglich rund 50 bis 80 Roma als Tagelöhner zur Mülltrennung an. Die Müllkippe funktioniert nach neoliberalen Prinzipien. Der Staat stiehlt sich für meine Begriffe aus jeglicher sozialen Verantwortung.
Die Tagelöhner haben keinen regulären Arbeitsvertrag, geschweige denn eine Krankenversicherung. Nach einem harten Acht-Stunden-Tag lebt ein Großteil der Roma in unmittelbarer Nähe der Deponie, teils in improvisierten Verschlägen aus Holz, Presspappe und Kunststoffplatten, oft ohne Wasser, Strom und Kanalisation. Einige der Tagelöhner können sich also nicht einmal nach dem Tag auf der Müllhalde waschen.
Auf der Deponie landen täglich rund 300 Tonnen Hausmüll von Cluj-Napoca. Wie wird der Müll sortiert?
Alles geschieht per Hand und im Akkord. Sortiert wird nach Plastikflaschen, Pappkartons, Dosen. Wer schnell arbeitet, sammelt pro Tag bis 100 Kilogramm Plastikflaschen. Können Sie sich vorstellen, wie viele unzählige Flaschen das sind? Dieses mühsame Tageswerk wird von der Stadtverwaltung mit gut 40 Lei belohnt, umgerechnet rund zehn Euro. Das Bürgermeisteramt verkauft die sortierten Abfälle schließlich weiter an Recyclingfirmen.
Wie viel Kilogramm Müll haben Sie pro Tag sortiert?
Ich konnte mit dem schnellen Arbeitsrhythmus der Roma gar nicht mithalten, obwohl ich gut durchtrainiert bin. Bei meinem Tempo hätte ich so wenig verdient, dass ich, bildlich gesprochen, verhungert wäre.
In den drei Tagen habe ich aber auch erlebt, dass die Halde nicht nur Arbeitsplatz ist. Kinder suchen nach Essbaren, schlürfen die Reste von Energiedrinks. In den Abfällen werden Schweine gehalten, die sich durch alle möglichen Reste wühlen. Gern erzählen sich die Tagelöhner Legenden: Dass in der Vergangenheit auch schon mal ein Bündel Geld auf der Müllkippe gefunden worden sei. Das sind Mythen. Realität ist: Reich wird man als Tagelöhner auf Halde nicht.