Bärenwald Kosovo: Wo gequälte Bären Zuflucht finden
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14. Oktober 2024, 18:19 Uhr
Als "Restaurant-Bär" fristeten noch bis vor Kurzem über ein Dutzend Braunbären im Kosovo ihr Dasein. Eine Attraktion für die Kundschaft in Gaststätten sollten sie sein und lebten in viel zu kleinen Käfigen. Im Bärenwald nahe Pristina begann für sie ein neues Leben. Mittlerweile pilgern zehntausende Besucher zu ihnen.
Alles begann mit Bärin Kassandra, die vor einem Restaurant im Süden des Kosovo in einem Käfig gehalten wurde. Als der Besitzer das Restaurant aufgab, blieb die Bärin zurück. "Sie war mehr misshandelt als gefüttert worden bis wir sie gerettet haben", erinnert sich Afrim Mahmuti, Leiter des Bärenwaldes. "Kassandra ist typisch für die Schicksale der Bären hier im Park", erklärt er. Der Mann mit dem grauen Bürstenhaarschnitt war die treibende Kraft dahinter, aus den 16 Hektar Wald eine Zufluchtsstätte für "Restaurant-Bären" wie Kassandra zu machen – den Bärenwald. Sie einfach auszuwildern war keine Möglichkeit, da Bären, die schon als Jungtiere gefangen wurden, nie gelernt hatten zu jagen und zu überleben.
Das Gelände liegt am Rand des Naherholungsgebietes Germiapark bei Pristina. Dort ist es bergig und man hat einen guten Blick auf den Badovcesee. Um das Bärengehege herum und durch es hindurch führt ein 1,5 Kilometer langer Rundweg. Er ist so angelegt, dass große und kleine Besucher die Bären auf jeden Fall zu Gesicht bekommen. Scheu sind sie ohnehin nicht und mit ihrem Gewicht von bis zu 350 kg auch nicht leicht zu übersehen. Die Aussicht im Bärenwald können zurzeit 18 Bären genießen, von denen jeder sein ganz eigenes Schicksal hat. Drei der Bären stammen aus dem benachbarten Albanien, alle anderen wurden im Kosovo gerettet.
Verbot macht Zufluchtsort notwendig
Die Initialzündung für diesen Zufluchtsort gab ein Gesetz aus dem Jahr 2010, das im Kosovo die private Haltung von Braunbären verbot. Im Kosovo und den angrenzenden Ländern wurden sie vor allem vor Restaurants zur Schau gestellt, um Besucher anzulocken. Dort lebten die Wildtiere in viel zu kleinen Käfigen, also keineswegs artgerecht. Schon im Mittelalter hielten die Menschen Braunbären in Burggräben, später zogen auch wandernde Schausteller mit Bären als Attraktionen umher.
Nachdem die Bärenhaltung im Kosovo verboten wurde, stellte sich die Frage: Wohin mit den Tieren? Die Stadt Pristina stellte für den Bärenwald 16 Hektar Land für 99 Jahre kostenlos zur Verfügung. Dort konnte die Tierschutzorganisation "Vier Pfoten", die ihren Hauptsitz in Österreich hat, ein neues Zuhause für die Bären entstehen lassen. "Mit dem Notfall Kassandra wurde der Park am 16. März 2013 offiziell eröffnet", erzählt Gründer Afrim Mahmuti. Dann musste alles ganz schnell gehen.
Tierpfleger – ein neuer Beruf im Kosovo
Um das Wohl der Bären kümmern sich heute vom Tierpfleger bis zur Verwaltungsangestellten 39 Menschen, darunter auch zwei Pädagogen. Die meisten Mitarbeiter kommen aus der Nachbarschaft und mussten zunächst ausgebildet werden, da es im Kosovo keine Tierpfleger-Ausbildung gibt. "Das war eine sehr dynamische Periode der Entwicklung, weil wir einen hohen Standard für die Tierhaltung erreichen mussten und gleichzeitig die Leute erst einmal ausbilden mussten", erinnert sich Afrim Mahmuti.
Für die Anlagen im Bärenpark ist heute Albana Hoti verantwortlich: "Glücklicherweise ist der Park so bergig", sagt sie. "Die Fläche ähnelt so dem Lebensraum der Bären in freier Wildbahn, es gibt außerdem Bäume und genug Schatten." Um es den Tieren gerade im Sommer angenehm zu machen, haben die Mitarbeiter in jedem Gehege Wasserbassins und Höhlen angelegt. "Die Bären baden gerne, aber sie lieben es offensichtlich auch, ihre eigenen Höhlen zu bauen", stellt Albana Hoti fest.
Naturnahe Haltung nach Leben in winzigen Käfigen
Jedes Jahr gibt es außerdem 14-tägige Programme, bei denen bis zu 15 internationale Helfer im Bärenwald mit anpacken. Sie werden etwa von den Tierpflegern angeleitet, sich Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bären auszudenken. "Heute stellen wir mit unseren Helfern Eisbomben für die Bären her", erklärt Albana Hoti. "Dazu pflücken die Helfer Früchte von den Bäumen auf unserem Gelände und füllen diese in 10-Liter-Wasserbehälter, füllen sie mit Wasser auf und frieren sie dann ein." Im Bärenwald bemüht man sich mit sogenannten "Enrichments" darum, dass die Bären sich artgerecht beschäftigen: "Das sind Spiel- und Sportgeräte, die wir z.B. in Bäume hängen und mit Futter füllen, damit die Bären sich strecken müssen", erklärt Albana Hoti.
Das alles steht in scharfem Gegensatz zu den Bedingungen, unter denen die Bären vorher gelebt haben. So war Bärin Gjina in Albanien in einem winzigen Käfig vor einem Restaurant eingesperrt und die Besucher machten sich einen Spaß daraus, ihr Bier zu trinken zu geben. "So hat Gjina täglich etwa 20 Flaschen Bier zu trinken bekommen und war entsprechend verhaltensauffällig", berichtet Afrim Mahmuti. Trotz der Rehamaßnahmen merkt man Gjina auch heute noch Angstzustände an.
Auch Bär Pashuk war "Restaurant-Bär". Als Bärenjunges zu seinem Besitzer gekommen, legte der ihm eine Kette um den Hals. Als Pashuk heranwuchs, wurde die Kette zwar zu eng aber der Besitzer traute sich nicht mehr, sie zu lösen. Schließlich kann ein ausgewachsener Braunbär einen Menschen mit nur einem Prankenhieb oder Biss tödlich verletzen. Die Kette war jedoch für den Bären lebensgefährlich geworden. "Bei der Rettung von Pashuk war es höchste Zeit, der Bär drohte schon zu ersticken", erinnert sich Afrim Mahmuti.
Bärenrettung gelingt nicht immer
Wann immer Bären in den Bärenwald geholt wurden, war das Zusammenspiel der Organisation "Vier Pfoten" und der Behörden nötig. Dennoch verliefen die Rettungsaktionen nicht immer reibungslos. So wurden einmal zwei Bären getötet, ehe sie abgeholt werden konnten, mutmaßlich, um das begehrte Fell oder die Zähne noch auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Von zwei weiteren Bären in einem Restaurant am albanische Berg Tomorr tauchten noch 2022 in den sozialen Medien Fotos auf. Als dann die Rettung mit allen Behörden abgestimmt war, waren die Bären plötzlich 'verschwunden', der Käfig leer. Ihr Verbleib ist bis heute unbekannt.
Rückschläge, von denen Afrim Mahmuti sich nicht entmutigen lässt. "Restaurant-Bären" gibt es laut "Vier Pfoten" nicht mehr, weder im Kosovo noch in Albanien. Der Bärenwald bei Pristina dagegen hat sich inzwischen zum Besuchermagneten entwickelt. 2023 zählte man 50.000 zahlende Gäste und zusätzlich 12.000 Kinder und jugendliche Besucher. Mit den Eintrittsgeldern deckt der Bärenwald etwa 35 bis 40 Prozent seiner Kosten, der Rest finanziert sich über Spenden und die Organisation "Vier Pfoten".
Heute setzt das Team vom Bärenwald vor allem darauf, junge Menschen zu erreichen. Etwa mit dem Bildungsprogramm "Waldschule", mit einem Bären-Spielplatz oder einem Labyrinth, in dem man Fragen über Bären richtig beantworten muss, um den Weg heraus zu finden. Bärenwald-Pionier Afrim Mahmuti hofft, dass die kleinen Besucher so angespornt werden, die Natur zu schützen und damit auch die Bären in der Natur, wo sie eigentlich hingehören.
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 28. September 2024 | 07:22 Uhr