Ein Mann steht auf einem Platz. Er hält ein Fahrrad in den Händen und trägt einen Fahrradhelm.
Rechts wählen aus Protest? Fred Winkler denkt, dass die Menschen ihr Kreuz bei Frenck gesetzt haben, um der Politik eine "Abreibung" zu verpassen. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Neuer Landrat gewählt Stimmung nach Stichwahl in Hildburghausen: Zwischen Erleichterung, Politikverdruss und Unzufriedenheit

12. Juni 2024, 08:05 Uhr

Mit großer Mehrheit hat der Freie-Wähler-Kandidat Sven Gregor die Stichwahl um den Landratsposten im Kreis Hildburghausen gegen den Rechtsextremisten Tommy Frenck gewonnen. Wir haben Passanten und Zivilgesellschaft zur Stichwahl befragt. Es zeigt sich: Die Ergebnisse sind für viele erleichternd und erschreckend zugleich. Allgemeine Unzufriedenheit und Politikverdruss sind stark spürbar. Der neue Landrat, die Kirchgemeinde sowie ein Bündnis für Demokratie wollen die Problemlagen angehen.

Nicht überrascht vom Ergebnis zeigt sich der scheidende Landrat Thomas Müller (CDU): "Tommy Frenck hat seine Grundklientel im ersten Wahlgang abgeräumt, was für mich schon erstaunlich hoch war. Mich hat das nicht überrascht." Von den Wählerstimmen, die im ersten Wahlgang auf Dirk Lindner von der CDU und die parteilose Kristin Obst entfallen waren, hätten sich etwa 20 Prozent für Frenck und die Mehrheit für Gregor entschieden.

Trotz klarer Niederlage konnte der bundesweit bekannte Neonazi im Vergleich zum ersten Wahlgang rund 2.000 Stimmen dazugewinnen. Für Müller spiegelt sich in dem Ergebnis auch die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik wider.

Die Menschen würden Entscheidungen und getroffene Gesetze nicht mehr nachvollziehen können. Am Ende würde es auf die Kommune und die Kommunalpolitik zurückfallen. "Da differenziert niemand mehr. Erklär mal den Leuten, wieso du nichts damit zu tun hast. Da müssen wir mehr aufpassen. Alle, die gewillt sind, nicht nur über die Demokratie zu reden, sondern auch darüber nachzudenken, warum das so ist", zieht Müller als Fazit.

Ich bin froh und dankbar darüber, dass ein demokratischer Kandidat von der Mehrheit der Menschen in unserer Region gewählt worden ist.

Pfarrer Andreas Wucher

Auch wenn Sven Gregor nach seinem Sieg erleichtert sei, mache ihn das Ergebnis doch nachdenklich, so der 48-Jährige. "Ich werde das für mich erstmal nicht abhaken und werde auch mit anderen demokratischen Parteien darüber reden, wie wir damit umgehen und zukünftig ganz einfach auch Wege finden, um dem rechten Lager Wählerinnen und Wähler abzunehmen", kündigt der langjährige Eisfelder Bürgermeister an. 

Ein Banner mit der Aufschrift "Herz statt Hetze" hängt am Glockenturm der Christuskirche in Hildbugrhausen.
Seit gut einer Woche ist an der Christuskirche in Hildbugrhausen "Herz statt Hetze" zu lesen. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM)  dieses Motto zum Wahljahr beschlossen. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

"Herz statt Hetze"

"Herz statt Hetze" prangt an drei Seiten auf dem Turm der Christuskirche unweit des Marktplatzes in Hildburghausen. Kurz vor der Stichwahl hatte sich die Kirchengemeinde für dieses klare Statement entschlossen und die Banner aufgehängt. "Ich bin froh und dankbar darüber, dass ein demokratischer Kandidat von der Mehrheit der Menschen in unserer Region gewählt worden ist", sagt Pfarrer Andreas Wucher am Tag nach der Wahl.

Gleichzeitig sei er zutiefst erschüttert darüber, dass sich so viele für einen nicht-demokratischen Kandidaten und bekennenden Neonazi entschieden hätten. War es aus Protest und Unzufriedenheit? - Die Situation überfordert. "Ich bin an der Stelle auch ein bisschen ratlos, wie man mit diesem Ergebnis umgehen soll", so Wucher.

Der neue Landrat habe Gespräche angekündigt, die Kirchengemeinde als Teil der Zivilgesellschaft wolle an diesen Prozessen teilnehmen und sich dabei verstärkt einbringen. Wichtig sei, den Ursachen auf den Grund zu gehen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und in den Dialog zu treten: "Das wird nach wie vor schwierig. Ich weiß auch, dass manche Menschen nicht mehr erreichbar sind."

Ein Mann mit Brille steht vor einem Busch.
Pfarrer Andreas Wucher ist froh, dass ein demokratischer Kandidat von der Mehrheit der Menschen in unserer Region gewählt worden ist. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Forderungen an neuen Landrat

Dass ein demokratischer Kandidat die Wahl gewonnen hat, beruhigt auch das Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra, wie Sprecher Thomas Jakob mitteilt. Dennoch sei der Stimmzuwachs von Frenck kein gutes Zeichen für die Region und müsse alarmieren.

Er habe es geschafft, das Wählerspektrum der AfD anzusprechen. Das zeige auch das Ergebnis der Europawahl. Warum sich die Wählerinnen und Wähler dafür entschieden haben, sollte noch mal in Ruhe ausgewertet werden. Es müsse jedoch deutlich ausgesprochen werden, dass die wachsenden rechtsextremen Einstellungen im Kreis das Hauptproblem seien.

Es bräuchte einen politischen und zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss, der Strategien erarbeitet und das demokratische Miteinander stärkt. Jakob kündigte an, zusammen mit den Akteuren im Kreis in einem offenen Brief Forderungen an den neu gewählten Landrat zu stellen.

Unzufriedenheit auf der Straße deutlich zu spüren

Die Meinungen auf der Straße in Hildburghausen fallen unterschiedlich aus. Auch wenn viele froh über den Ausgang scheinen, ist Unmut zu spüren. Es sei eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera gewesen, antwortet ein älterer Mann mit Gehhilfe. Das Ergebnis sei aber immerhin besser als Frenck als Landrat, fügt er abschließend hinzu und will lieber anonym bleiben.

Frenck als Landrat? Ich bitte Sie. Er ist ja ein Neonazi und die will ich nicht.

Hans Jürgen Kühn

"Ich kenne das Ergebnis noch gar nicht. Aber man kann da hinstellen, wen man will", meint ein vorbeifahrender Radfahrer, der abwinkt und nicht weiter drauf eingehen will. Misstrauen in die Politik - bei der Befragung am Montag in der Innenstadt keine Seltenheit.

Ich denke, die wollten der Politik oder den anderen eine Abreibung verpassen.

Fred Winkler

Zwei Frauen Mitte 40 waren deshalb gar nicht erst wählen: "Die machen eh, was sie wollen. Wir arbeiten, verdienen kaum was und für uns kleinen Leute machen die eh nichts. Uns fragt ja keiner." Ein junger Mann mit einer Einkaufstüte in der Hand meint, dass für ihn die Wahl nicht gut ausgegangen sei. Auf die Frage, warum er sich für Frenck entschieden habe, steckt er sich seine Kopfhörer wieder ins Ohr und dreht sich um.

"Kennen die die Geschichte nicht?"

 "Ich denke, die wollten der Politik oder den anderen eine Abreibung verpassen", sagt Passant Fred Winkler, der gerade mit seinem Fahrrad unweit von der Christuskirche unterwegs ist. Für den 56-Jährigen seien die Wählerstimmen für Frenck erschreckend gewesen. Er vermutet, dass ein Großteil aus Protest diese Entscheidung getroffen habe, auch wenn Frenck ein bekennender Neonazi sei.

 "Frenck als Landrat? Ich bitte Sie. Er ist ja ein Neonazi und die will ich nicht", antwortet Passant Hans Jürgen Kühn auf die Frage, wie er das Ergebnis der Stichwahl bewertet. Der 70-Jährige sei froh über das Ergebnis.

Unzufrieden zeigt sich der ältere Mann über die generelle Entwicklung im Land: "Für mich steht Thüringen zu weit rechts. Die schlafen doch, die diese Leute wählen. Das brauchen wir nicht. Kennen die die Geschichte nicht?". Die Situation mit den Flüchtlingen sei zwar herausfordernd, aber keine Hilfe sei ja schließlich auch keine Option.

Ein älterer mann mit Brille steht in einer Straße in Hildburghausen.
Die Stimmen für Frenck kann Passant Hans Jürgen Kühn nicht nachvollziehen.  Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Gregor will Vertrauen in Politik stärken

Über 10.000 Menschen haben ihr Kreuz bei einem Rechtsextremisten gesetzt. "Ich glaube, wenn man sich das ernsthaft betrachtet, haben wir diesem Treiben schon viel zu lange zugeschaut, ohne wirklich tätig zu werden", sagt Gregor.

Die Aufgabe sei jetzt, das in den nächsten Jahren aufzuarbeiten. Aufklärung, politische Bildung, demokratische Prozesse und Willensbildung in Schulen und der Kommunalpolitik stärken - für Gregor sind das die ersten Schritte, um die Problemlagen anzugehen.

Ich glaube, wenn man sich das ernsthaft betrachtet, haben wir diesem Treiben schon viel zu lange zugeschaut, ohne wirklich tätig zu werden.

Sven Gregor

Auch die über 30 Prozent Nichtwähler nimmt er in den Blick und kündigt an, das in ihn gesetzte Vertrauen für alle zu rechtfertigen. Er wolle auch mit den demokratischen Parteien versuchen, eine Politik im Landkreis zu gestalten, die die Menschen "auch gerne annehmen".

Ab 1. Juli Wechsel im Amt

Ende Juni wird der scheidende Landrat Müller den Stab an Nachfolger Sven Gregor übergeben. Bis dahin ist sein Terminplan nach wie vor von früh bis spät gefüllt. Gespräche zu Regiomed und mit der Kämmerei, Sitzungen des Abfallzweckverbandes und der regionalen Planungsgemeinschaft - die Liste ist lang.

Eine der größten Aufgaben, die Müller an Gregor übergeben wird, ist die Insolvenz des Klinikverbundes Regiomed. Das Investorenverfahren läuft, der Kreis sei auf der Zielgeraden und nun müsse Gregor den Prozess weitergestalten.

Der scheidende Landrat des Kreises Hildburghausen, Thomas Müller, sitzt an einem Schreibtisch.
Der scheidende Landrat des Kreises Hildburghausen Thomas Müller. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Nach 30 Jahren legt Müller den Fulltime-Job als Landrat ab. Der Abschied wird für den 65-Jährigen kein leichter sein und vielleicht auch "etwas emotional", gibt er zu. Den Fokus will er jetzt vor allem auf Freunde und Familie legen, die Geschehnisse im Kreis aber natürlich weiter verfolgen.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 11. Juni 2024 | 18:30 Uhr

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