Kommunalwahl in Hildburghausen Warum haben Menschen den Neonazi Tommy Frenck gewählt?
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28. Mai 2024, 15:30 Uhr
Bei der Landratswahl in Hildburghausen hat es der bundesweit bekannte Neonazi Tommy Frenck in die Stichwahl geschafft. MDR THÜRINGEN hat vor Ort Reaktionen darauf gesammelt, dass jeder vierte Wähler für Frenck gestimmt hat.
Ein Besuch in Themar am Tag nach der Kommunalwahl. In der Stadt, die neben dem kleinen Örtchen Kloster Veßra liegt, wo Tommy Frenck seine Gaststätte betreibt, hat der bundesweit bekannte Neonazi besonders gut abgeschnitten. Insgesamt kam Frenck dort auf 31,5 Prozent. Auf den ganzen Landkreis bezogen konnte er 24,9 Prozent erringen. Am 9. Juni tritt er damit gegen den Kandidaten der Freien Wähler, Sven Gregor, an.
Die Kontaktaufnahme mit Passanten bringt in der Region unterschiedliche Erfahrungen hervor: Manche wollen gar nicht über die Wahl reden, andere nur anonym. Und nur einige wenige sind damit einverstanden, dass ihr Name später öffentlich zu lesen ist. Vorweg bemerkt: Von denen, die sich auf ein Gespräch einlassen, sagt niemand frei heraus, dass er oder sie selbst Frenck gewählt hat.
Zwischen bereits "befürchtet" und "überrascht"
Er sei überrascht worden - sagt ein älterer Mann, der angibt, im Sportverein aktiv zu sein. Er könne das Ergebnis weder nachvollziehen, noch kenne er Menschen, die für Frenck gestimmt hätten. "Ich bezweifle, dass Frenck für das Amt des Landrats qualifiziert wäre", fügt der 70-Jährige außerdem hinzu. Von Anderen hört man dagegen: "Ich hatte ein solches Ergebnis schon befürchtet." Der Zuspruch zu Frenck, der für das "Bündnis Zukunft Hildburghausen" im Kreistag sitzt, sei in den vergangenen Jahren merklich gewachsen.
Tommy Frenck Frenck gilt als zentrale Figur in der Neonazi-Szene. Er ist Mitbegründer des Bündnisses Zukunft Hildburghausen (BZH), für das er seit 2009 im Kreistag sitzt und dessen Fraktionsvorsitzender er ist. Frenck führt in Kloster Veßra eine Gaststätte und einen Online-Versandhandel. Darüber vertreibt er Artikel wie Schlagstöcke, Messer, Kleidung und Fahnen. Viele der Produkte tragen rechtsextreme Codes. Zudem hat er mehrere große Rechtsrock-Konzerte organisiert, zu denen teils Rechtsextremisten aus anderen Ländern anreisten. Im Herbst vergangenen Jahres wurde bekannt, dass gegen Frenck eine Klage wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 141.000 Euro läuft.
Wie erklären sich die Menschen den Erfolg von Tommy Frenck?
Eine Meinung, die viele auf der Straße vertreten, lautet: Frenck profitiert vom Frust der Menschen. Hauptsächlich Frust über die Politik der Bundesregierung. So nimmt es zum Beispiel der 74-jährige Reparaturschlosser Erich Rückert aus Römhild wahr: "Die wollen der Regierung einen Schuss vor den Bug geben." Für den 42-jährigen Martin Müller, der in Römhild ebenfalls mit sich sprechen ließ, ist Frencks Stimmenzuwachs ein Zeichen dafür, wie sich rechtsradikales Gedankengut in der Gesellschaft verfestigt hat. Auch er sieht die Schuld vor allem bei der Politik selbst.
Eine Frau spricht davon, dass sie kaum von ihrer Rente leben könne. Ein ganzes Leben lang arbeiten und dann arm sein - diese Situation habe bei ihr zu Politikverdrossenheit geführt. Zweimal ist auch die Ausgrenzung Frencks Thema, er sei nicht wie die anderen Kandidaten zu Wahlforen eingeladen worden. Für die Passanten eine Strategie, die offenbar nach hinten losgegangen sei.
Zuwachs für Frenck als Ausdruck von Protest?
Ein 56-jähriger Mann, der gerade mit seinem Hund spazieren geht, drückt seine Meinung so aus: "Der Staat macht vieles verkehrt. Ständig wird über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden." Eine Aussage, denen andere beipflichten. Wie Politik in den vergangenen Jahren gemacht wurde, habe die Menschen in die Arme von Rechtsradikalen wie Tommy Frenck getrieben. Immer wieder fällt der Begriff Protestwahl. Eine Argumentation, die sonst oft im Kontext der AfD auftaucht. In Hildburghausen gab es bei der Landratswahl bekanntermaßen keinen AfD-Kandidaten. Ob Frencks starkes Ergebnis (auch im Vergleich zur Landratswahl im Jahr 2018 - damals wählten ihn etwa 17 Prozent) damit zusammenhängt, bleibt Spekulation.
"Wahlentscheidung nicht bis zum Ende durchgedacht"
Neben der Argumentation, es handle sich um eine Protestwahl, gibt es auch Passanten, die sich frustriert und verärgert über ihre Mitbürger zeigen. Es gebe viele naive Menschen, die ihre Wahlentscheidung einfach nicht bis zum Schluss durchdenken würden. Eine Frau gibt an, Frenck habe zum Beispiel versprochen, Schulessen kostenlos zu machen. Das klinge in den Ohren mancher einfach zu schön, um der Idee und ihrer Umsetzbarkeit nicht glauben zu wollen.
"Hildburghausen ist nicht Robinson Crusoe"
Eine weitere Person, die damit einverstanden ist, ihren Namen später im Artikel zu lesen, heißt Monika Masur. Sie zeigte sich wütend über die von ihr erlebte Verharmlosung Frencks. Leute würden sagen: "Das ist der gute Kumpel von nebenan, der kocht doch so gut. Der ist doch so lieb und nett. Und der setzt sich für uns ein, damit es uns hier gut geht, in der Provinz." Dass Hildburghausen nicht Robinson Crusoe, ein Schiffsbrüchiger allein auf einer Insel sei, das hätten viele noch nicht verstanden: "Wir sind weltweit verbunden!", sagt sie und appelliert an ihre Mitbürger, selbst Initiative zu ergreifen.
"Man muss sich der Situation stellen"
Dank dieser Wahl habe Hildburghausen nun wieder deutschlandweit negativ Presse erhalten - ein Umstand, der Monika Masur aufregt. Auch wenn sie hinterherschiebt: "Ich suhle mich nicht in Enttäuschung. Sondern engagiere mich. Man muss sich dieser Situation stellen." Ihrer Meinung nach hätten vor der Wahl zu wenige Menschen Haltung gezeigt. Masur selbst ist Teil des "Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra", wie sie erzählt. Die Initiative will einen Gegenpunkt in der Region setzen, nachdem Frenck dort in der Vergangenheit mehrfach Rechtsrock-Konzerte organisiert hatte.
Stichwort Verharmlosung. Eine Verkäuferin, die anonym bleiben will, sagt zum Beispiel: "Frenck ist für mich erstmal ein Mensch, wie jeder andere." Sie kenne ihn nicht persönlich und wolle daher auch kein Urteil über ihn fällen. Jeder dürfe auch seine eigene Meinung haben. Dass Frenck ja nicht irgendeine Meinung hat, sondern vom Verfassungsschutz nachgewiesen verfassungsfeindliche Ansichten hat, dazu gab es dann nur: Achselzucken.
Frenck in Stichwahl um Landratsposten
Bei der Kommunalwahl am Sonntag hatte es Tommy Frenck in die Stichwahl um den Posten des Landrats geschafft. Der bundesweit bekannte Neonazi erhielt 24,9 Prozent der Stimmen und zog damit knapp am CDU-Kandidaten Dirk Lindner vorbei.
Frenck kandidiert für das Bündnis Zukunft Hildburghausen (BZH), das sich laut dem Verfassungsschutzbericht von 2022 zur "führenden neonazistischen Gruppierung im Landkreis Hildburghausen" entwickelt hatte. Sven Gregor von den Freien Wählern gilt allerdings als aussichtsreichster Kandidat für den Posten des Landrats. Er holte im ersten Wahldurchgang 42,4 Prozent der 34.619 Stimmen.
MDR (ost)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 27. Mai 2024 | 19:00 Uhr