Serie I Starke Frauen Man kann es ja nicht verfallen lassen - Denkmalschützerin Susann Schmidt
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17. November 2018, 09:19 Uhr
100 Jahre Frauenwahlrecht - Tag für Tag zeigt unsere Serie über starke Frauen in Thüringen, dass das weit mehr als ein Kapitel im Geschichtsbuch ist. Wie aus einer Erzieherin eine Gutsherrin wird und mit welchen Problemen sie kämpfen muss, gerade, weil sie eine Frau ist, erzählt Susann Schmidt aus Endschütz.
Die Behauptung, dass jedes Haus seinen Herren, oder wie in diesem Fall seine Herrin, braucht, trifft wohl selten so zu als bei Susann Schmidt und ihrem Rittergut in Endschütz.
Sie sagt, das Gut "lag auf ihrem Weg". Liebe auf den ersten Blick sozusagen. 2002 zog sie dort ein. Und was keiner so richtig erwartet hätte nach einem Winter mit kaputten Öfen: Sie blieb. Kaufte 2003 sogar das ganze Gut.
Bis dahin hatte es zehn Jahre leer gestanden. Und wo viele andere die Löcher in den Dächern, die kaputten Öfen, die statischen Schäden durch nachträgliche Umbauten oder die verschmorte Elektrik und 70 Jahre Sanierungsrückstau gesehen hätten, schwärmt Susann Schmidt vom verwunschenen Garten. Traurig und einsam kam das Haus ihr vor. Also musste sie bleiben. "Ich denke, ich habe hier meinen Platz gefunden. Es hat sich einfach richtig angefühlt." Die Geraerin liebt Häuser mit Geschichte, mit Seele. Sie braucht die ganz spezielle Ruhe, den Frieden, der hier herrscht.
Eine Frau? Die Gemeinde war verwirrt
Wie viel diese Entscheidung allerdings mit Politik zu tun hat, hätte sie nie geahnt. Die Gemeinde war zunächst irritiert. "Weil ich eine Frau bin, haben sie mir das nicht zugetraut. Das hat auch was mit Macht zu tun", vermutet Susann Schmidt. Vorher gaben immer Männer den Ton an auf dem Rittergut.
Diese historische Gutsanlage, bestehend aus dem zwischen 1830 und 1840 im klassizistischen Stil errichtete Herrenhaus, Wirtschaftsgebäuden und Park gehört zu den wichtigen Zeugnissen ländlicher Siedlungsgeschichte Ostthüringens.
Trotzdem wollte die Gemeinde es nie unter Denkmalschutz stellen lassen. Susann Schmidt hat das 2004 veranlasst. Damit hat sie sich offenbar nicht nur Freunde gemacht. Es gab sogar einen Rechtsstreit um die Grundsteuer, die ja bei Denkmalen erlassen werden kann. Genau gesagt um 838,93 Euro.
Denkmalschutz in Privatbesitz erfährt grundsätzlich wenig Anerkennung, bedauert Susann Schmidt. Dabei sollte es eigentlich ein gesellschaftliches Thema sein. Sie hat auf dem Gut deshalb auch ein kleines Heimatmuseum eingerichtet. Schließlich sollen die Kinder nicht nur aus Büchern und dem Internet etwas über ihre Vergangenheit lernen. Trotzdem gewann die Gemeinde vor Gericht.
Keiner ließ sich blicken
Und auch, als Susann Schmidt in den Jahren 2007 und 2015 der Denkmalschutzpreis des Landkreises Greiz verliehen wurde, waren die Politiker aus Endschütz nicht dabei. Das kränkt die engagierte Gutsherrin natürlich schon.
Doch Susann Schmidt lässt sich davon und von der Vielzahl der anstehenden Aufgaben nicht unterkriegen. Dabei ist sie eigentlich Erzieherin und muss sich hier vieles selbst aneignen. Improvisationsvermögen und trotzige Zuversicht bestimmen die ersten Monate. Bald zeigen sich erste Erfolge. Susann Schmidt sucht und findet aktive Mitstreiter. Der Verein "Rittergut Endschütz e.V." gründet sich im Jahr 2004.
"Man lebt in einem Denkmal immer auf einer Baustelle, es ist immer ein Kraftakt. Ich entdecke das Schöne in alten Dingen und integriere es behutsam in das Ensemble", beschreibt Susann ihr Leben auf dem Gut. Diesen Sinn fürs Detail, für das Schöne, kann man überall auf dem Hof entdecken. Man findet eine kleine Terrasse, eine Streuobstwiese, einen Springbrunnen, einen kleinen Teich und viele lauschige Plätze, die Fotografen und Urlauber anlocken, um hier die Ruhe zu genießen.
In einem Seitengebäude werden Wohnungen vermietet, der Verein organisiert Veranstaltungen und auf dem Gelände des Gutes finden traditionelle Märkte statt. In der Laudatio zum Denkmalpreis heißt es: "Es gibt wenige vergleichbare Kulturdenkmale, wo das Original so kompromisslos erhalten und präsentiert wird. Das Denkmal wird im klassischen Sinn gelebt". Und das geht laut Susann Schmidt auch nicht anders: "Man hört den Herzschlag des Hauses nur, wenn man auf der Baustelle schläft."
Urlaub? Seit 16 Jahren nicht mehr
Ihr Leben hier bezeichnet sie gern als 15 Jahre Praktikum auf dem Rittergut. Viel gelernt hat sie, auch, sich gegen Vorurteile durchzusetzen. Wie oft haben Handwerker nach ihrem Mann gefragt, obwohl Susann Schmidt sie beauftragt hatte. "Ich will hier nicht nur Kaffee kochen. Ich will alles begreifen, was getan wird." Als Denkmalpflegerin mit Leib und Seele muss sie wissen, wo es klemmt. Mit falscher Restaurierung kann man großen Schaden anrichten. Deshalb braucht vieles auch Zeit.
Und auch wenn Freunde und Familie anfangs geschockt waren, besuchen sie inzwischen oft das Rittergut, das langsam aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Susann Schmidt hat ihr Leben radikal verändert. Der Tagesablauf passt sich quasi dem Haus an. Man muss morgens erstmal aufstehen und heizen. Und durch die vollen, anstrengenden Tage ist man eben auch früh müde. Doch der Minimalismus, die enge Verbindung zum Wetter und zur Natur geben der couragierten Frau auch ihre Energie, ihre Kraft und ihren Optimismus.
Wenn sie einen Wunsch frei hätte, wäre sie gern mal eine Woche als Gast auf dem Rittergut. Zum Urlaub machen. Denn den hatte sie seit 16 Jahren nicht mehr.
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR Kultur spezial | 09. November 2018 | 08:05 Uhr