Exil Ausgespielt in Thüringen: Kyiv Symphony Orchestra verlässt Gera
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22. Juni 2024, 03:00 Uhr
Als die Ukraine 2022 überfallen wurde und der Krieg begann, befand sich das Kyiv Symphony Orchestra auf Tournee. Gera hat die Musiker damals aufgenommen, stellte Wohn- und Probenräume zur Verfügung. Nach einer Euphorie zu Beginn hat sich Ernücherung eingestellt. Jetzt verlässt das Orchester Thüringen und zieht weiter nach Monheim am Rhein. Wie kam es dazu?
- Zerstochene Autoreifen und Unklarheiten bei Arbeits- und Gagenverträgen: In Gera und im Kyiv Symphony Orchestra herrscht Ernüchterung.
- Neuanfang in Monheim am Rhein: Die Musiker freuen sich über befristete Verträge und vollen Konzertkalender.
- Monheimer Bürgermeister Zimmermann: Deutschland hat eine Verantwortung für das ukrainische Orchester.
Das Kyiv Symphony Orchestra verlässt Gera. Nach mehr als zwei Jahren packen 130 Ukrainerinnen und Ukrainer die Koffer und ziehen nach Monheim am Rhein. Die Stadt im Kreis Mettmann liegt zwischen Düsseldorf und Köln. Ab jetzt findet das Kyiv Symphony Orchestra hier ein neues Zuhause.
Der Monheimer Bürgermeister Daniel Zimmermann freut sich auf die Gäste. Natürlich hoffe man, dass der Krieg in der Ukraine irgendwann vorbei sei – bis dahin habe Deutschland, nicht nur die Stadt Monheim, eine Verantwortung: Man müsse dafür sorgen, dass dieses Orchester sich nicht auflösen muss.
Wir – genauso wie die Musikerinnen und Musiker – hoffen natürlich, dass der Krieg in der Ukraine irgendwann wieder vorbei ist und das Orchester dann auch wieder in Kiew spielen kann. Aber für die Zeit bis dahin hat Deutschland, nicht nur die Stadt Monheim, eine Verantwortung, dafür zu sorgen, dass dieses Orchester sich nicht auflösen muss.
Nicht nur zerstochene Autoreifen: Ernüchterung in Gera
Vor mehr als zwei Jahren war das Orchester spontan in Gera gestrandet, nachdem sie während einer Tournee vom Kriegsausbruch überrascht worden waren. Gera erklärte sich damals bereit, Wohnungen und Proberäume zur Verfügung zu stellen und alle Musiker und Musikerinnen und deren Familien aufzunehmen. Doch aus der anfänglichen Freude und Euphorie wurde schnell Ernüchterung – vermutlich auf beiden Seiten. Mit Anschuldigungen hält man sich zurück, doch etwas Missstimmung schwingt nun trotzdem auf beiden Seiten mit. Von Seiten der Stadt heißt es hinter vorgehaltener Hand, man sei in die jetzige Situation nicht eingebunden gewesen.
Manch ein Auto mit ukrainischem Kennzeichen hatte zerstochene Reifen, erzählten Orchestermitglieder. Zudem gab es Kontrollen der Behörden mit Blick auf Arbeits- und Gagenverträge, auch der Dirigenten. Das alles führte zu der Entscheidung, nach einem neuen Ort Ausschau zu halten – möglichst ohne eigenes Orchester. Eigentlich wollte man nach Wolfsburg gehen, von dort gab es bereits ein Angebot. Doch wegen der Querelen und überregionalen negativen Schlagzeilen wurde daraus nichts.
Ukrainische Musiker mit befristeter Freistellung von der Kriegsfront
Das Orchester freut sich auf den Neuanfang in Monheim und ist begeistert von den Bedingungen, erzählt Oleksandra Zaitseva, Musikerin, Managerin und Sprecherin des Orchesters. Erstmals bekämen sie nun befristete Verträge und seien nicht mehr auf Jobcenter und Sozialhilfe angewiesen. Für drei Jahre gelten die Verträge, befristet zunächst auf ein Jahr. So lange gewährt die Ukraine ihren männlichen Musikern die Freistellung vom jetzigen Kriegsgeschehen an der Front zu Hause. Dann werde neu entschieden. Bis dahin wollen die ukrainischen Gäste ein sinfonisches Programm bieten und viele Angebote für Kinder und Jugendliche.
Das Kyiv Symphony Orchestra auf Konzertreise
In Monheim wird momentan eine große moderne Halle gebaut. (Anmerkung der Redaktion: Eine alte Shell-Fassabfüllanlage an der Rheinpromenade verwandelt sich in die hochmoderne, multifunktionale Kulturraffinerie K714.) Für Oleksandra Zaitseva ist das ein Zeichen dafür, wie sehr sich die Region für die Kultur engagiert. Dem Orchester werden in der Stadt viele Probe- und Auftrittsmöglichkeiten bereitgestellt.
Mit Blick auf kommende Konzerte gebe es eine wahre Aufbruchsstimmung. Zaitseva berichtet von Gastspielen im Rahmen des Schleswig-Holstein-Festivals im August, von Konzerten in der kommenden Saison in Berlin, Wolfsburg oder in der Tonhalle Düsseldorf. Auch in Weimar werden sie gastieren – dann mit der renommierten ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv, mit der sie vor kurzem bereits in Wien aufgetreten sind.
Ein Orchester zwischen den Stühlen und prekäre Finanzen
In Monheim am Rhein hofft Bürgermeister Zimmermann derweil, dass das Grundeinkommen für alle Musikerinnen und Musiker mit Unterstützung dann hoffentlich auch mit Landes- und Bundesmitteln abgesichert werde. Doch zunächst wolle man als Stadt einen Beitrag leisten. Dass dieses Orchester wirklich zwischen allen Stühlen sitzt, sei klar. Auf der einen Seite gebe es die Abhängigkeit von der Ukraine und die Befreiung vom Kriegsdienst, auf der anderen Seite sei da die prekäre Finanzsituation.
"Ich glaube, dass wir jetzt eine gute Lösung gefunden haben, indem alle Musikerinnen und Musiker erst einmal fest bei unserer Monheimer Kulturwerke GmbH, einer städtischen Tochtergesellschaft, nach Tarif angestellt werden, damit eine Arbeitsgrundlage da ist", führt Zimmermann aus. Damit dieses Orchester wieder proben kann und von Monheim aus auch Konzertreisen unternehmen kann.
Für die Musikerinnen und Musiker ist jetzt erst einmal eine kurze Sommerpause, die sie für den Umzug oder kurze Reisen in die Ukraine nutzen. Denn viele haben Freunde und Familie in der alten Heimat, pendeln zwischen den Städten. Von manch einem Orchestermitglied kämpfen die Kinder seit zwei Jahren im Krieg, und die Botschaften über Smartphone gehören zum Alltag – bis jetzt in Gera und nun in Monheim am Rhein.
Quelle: MDR KULTUR (Blanka Weber)
Redaktionelle Bearbeitung: jb
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. Juni 2024 | 08:45 Uhr