Im Brockhaus ist das Wort Krieg markiert. 7 min
Im Interview erklärt der Dresdner Linguist Dominik Hetjens, wie der Angriff auf die Ukraine unsere Alltagssprache beeinflusst. Bildrechte: IMAGO / Steinach

Interview Wie der Krieg in der Ukraine unsere Sprache prägt

07. Juni 2024, 16:12 Uhr

Redewendungen wie "das ist nicht kriegsentscheidend" und "im Eifer des Gefechts" sind Kriegsmetaphern, die uns im Alltag leicht über die Lippen gehen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine spielt Krieg in unserer Sprache eine noch größere Rolle als zuvor. Linguist Dominik Hetjens von der TU Dresden hat mit MDR KULTUR darüber gesprochen, wie Krieg Sprache beeinflusst.

MDR KULTUR: Herr Hetjens, wo stehen wir sprachlich über zwei Jahre nach Beginn des Krieges in der Ukraine?

Dominik Hetjens: Das ist wirklich eine interessante Frage, beispielsweise beim Wort "Krieg". In Zeitungen hat sich zum Beispiel verändert, wie häufig bestimmte Wörter benutzt werden, und "Krieg" macht da eine rasante Entwicklung. 2022 sprechen wir ganz viel über Krieg: Ungefähr sechsmal so viel wie vorher ist es in Zeitungen zu beobachten. Dann geht es runter und halbiert sich ungefähr, ist aber immer noch auf dem dreifachen Level im Vergleich zu vor dem Invasionskrieg Russlands in der Ukraine. Das heißt, wir reden jetzt ungefähr dreimal so viel in Zeitungen über Krieg – oder zumindest kommt das Wort dreimal so häufig vor, was wir als Indikator nehmen können.

"Das ist nicht kriegsentscheidend", "ich habe einen Anschlag auf dich vor", "im Eifer des Gefechtes" – das sind Formulierungen, die uns im Alltag gedankenlos über die Lippen gehen. Zeigt das eine Art mentale Dauerbereitschaft oder sind das sprachliche Reste einer Vergangenheit, die wir glaubten, hinter uns gelassen zu haben?

Ich glaube, das muss man im Einzelfall entscheiden. Es gibt auf der einen Seite die Dinge, die ausreichend konventionalisiert sind, also die bei uns so gespeichert sind, dass sie gar nichts anderes mehr bedeuten. Zum Beispiel "bei der Stange halten" – das ist im Ursprung auch eine Militär-Metapher. Die kommt daher, dass man sich um das Banner, und das war eben an der Stange befestigt, auf dem Schlachtfeld geschart hat. Wenn ich das heute verwende, denkt niemand an Militär.

Dominik Hetjens
Dominik Hetjens forscht an der TU Dresden unter anderem zu Sprache und Krieg Bildrechte: Dominik Hetjens

Stimmt, da denkt man sogar eher an Ballett.

Genau. Und auf der anderen Seite haben wir Formulierungen, bei denen uns der Kriegsbezug noch bewusst ist. Ich fand ganz interessant, dass mir nach Ausbruch des Kriegs immer wieder gesagt wurde, dass den Leuten wieder auffällt, wenn sie Dinge wie "Bombenstimmung" sagen. Wenn uns das auffällt, ist das ein Zeichen dafür, dass wir darüber nachdenken dürfen, ob das etwas ist, was wir weiterhin verwenden wollen und ob wir damit auch in dem Moment, in dem wir es benutzen, das ausdrücken, was wir ausdrücken möchten. Wir müssen aber nicht die komplette Sprache umbauen.

Man kann aber auch darüber nachdenken, ob wir vielleicht in der Vergangenheit ein bisschen zu viel verklärt haben. Während des Krieges in Afghanistan war zum Beispiel häufig die Rede von bewaffneten Friedenseinsätzen. Das Wort Krieg wurde hier tunlichst vermieden. Da haben wir uns doch auch etwas vorgemacht, oder?

Ja, vielleicht. Vielleicht haben wir die Dinge da aufgrund unserer spezifischen Geschichte nicht beim Namen genannt. Deshalb war es damals auch wie eine kleine Sensation, als der damalige Verteidigungsminister die Geschehnisse in Afghanistan "Krieg" genannt hat.

Jetzt gibt Deutschland zu, an einem Kriegseinsatz beteiligt zu sein. Wir merken, dass es notwendig ist, auf diese Art darüber zu sprechen. Es gibt ja jetzt auch ein neues Ehrenzeichen der Bundeswehr, das genau zu diesem Zweck eingeführt wurde: Weil wir wieder die Notwendigkeit haben, darüber zu sprechen und auch die Dinge beim Namen zu nennen. Wie man das bewertet, dass die Dinge jetzt so sind, ist dann eine andere politische Frage oder moralische Frage.

Quelle: MDR KULTUR (Thomas Bille)
Redaktionelle Bearbeitung: sa

Weitere Interviews zum Krieg in der Ukraine

Logo MDR 7 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
7 min

Ziele in Russland dürfen jetzt mit deutschen Waffen angegriffen werden. Historiker Herfried Münkler spricht im Interview mit MDR KULTUR unter anderem über die These, dass Deutschland kriegstüchtig werden müsse.

MDR KULTUR - Das Radio Mo 03.06.2024 08:45Uhr 07:10 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/herfried-muenkler-ukraine-waffenlieferung-audio-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio
Harald Welzer 7 min
Bildrechte: IMAGO
7 min

Soziologe Harald Welzer steht Waffenlieferungen in der Ukraine kritisch gegenüber. Im Interview spricht er über die aktuellen Entscheidungen der deutschen Außenpolitik im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine.

MDR KULTUR - Das Radio Mi 05.06.2024 08:48Uhr 06:55 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/harald-welzer-bewaffnterer-friede-audio-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio
Logo MDR 8 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
8 min

Der Publizist und Jurist Heribert Prantl vertritt die These, dass die Gesellschaft nicht kriegstüchtig, sondern friedenstüchtig sein muss. Im Interview mit MDR KULTUR erklärt er seine Haltung.

MDR KULTUR - Das Radio Mi 12.06.2024 08:10Uhr 08:18 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/heribert-prantl-bewaffneter-friede-audio-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 07. Juni 2024 | 07:10 Uhr

Mehr aus der Region Dresden

Mehr aus Sachsen

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen
Was nun? Nach den geplatzten Sondierungen sind in Sachsen fast so viele MDRfragt-Mitglieder für Neuwahlen - wie für eine Minderheitsregierung. Bildrechte: picture alliance/dpa | Robert Michael