Zwei Jahre Krieg Wie sich die Arbeit ukrainischer Kulturschaffender verändert hat
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23. Februar 2024, 17:39 Uhr
Vor zwei Jahren überfiel Russland die Ukraine. Seither herrscht Krieg in Europa – mit Folgen auch für die Arbeit von Kulturschaffenden. Während der Angriff die Texte des in Lwiw lebenden Schriftstellers Juri Dorkot überschattet, ist das Schreiben für die seit Langem in Wien lebende Autorin Oksana Havryliv ein Zeichen des Widerstands. Bei den Musikerinnen und Musikern des Kyiv Symphony Orchestras, die in Gera Zuflucht fanden, macht sich trotz Auftritten und Konzertreisen allmählich Hoffnungslosigkeit breit.
- Der andauernde Ukraine-Krieg macht dem Ensemble des Kyiv Symphony Orchestra zunehmend zu schaffen – trotz Exils in Gera.
- Auch die Arbeit des ukrainisches Schriftstellers Juri Durkot hat sich durch den russischen Angriff verändert.
- Für die Autorin Oksana Havryliv ist das Schreiben ein Zeichen des Widerstands gegen Russland.
Dass der Krieg in der Ukraine so lange dauern würde, ahnte am 24. Februar 2022 niemand. Damals fand in den ersten Kriegstagen spontan ein Orchester aus Kiew Zuflucht in Gera. 90 Musiker und Musikerinnen zogen mit wenig Gepäck und ihren Instrumenten nach Thüringen. Das Kyiv Symphony Orchestra gibt es dort bis heute: Sie proben, sie reisen und geben Konzerte. Das sei nicht immer leicht, wie der Orchesterleiter Andrii Kuznietsov im Gespräch bei MDR KULTUR betonte: "Wenn wir spielen, spielen wir mit Schmerz im Herz".
Wenn wir spielen, spielen wir mit Schmerz im Herz.
Bei Konzertreisen und Auftritten des Orchesters in europäischen Häusern reise die Krise in der Ukraine immer mit. "Es ist wie eine Wunde und immer blutend – immer, jeden Tag", erklärte Kuznietsov weiter. Der Orchesterdirektor hat im Krieg einen Freund verloren. Während er in Deutschland lebt, sind seine beiden Söhne derzeit in der Ukraine – einer davon an der Front.
"Wir haben turbulente Zeiten und alles ist schlimmer, als wir es jemals für möglich gehalten hätten", betonte der Violinist Valeriy Sokolov bei MDR KULTUR. Er ist seit zwei Jahren Gastsolist für die Konzerte in Gera und in Altenburg. Er sei zwar dankbar, dass die Musikerinnen und Musiker des Kyiv Symphony Orchestras hier in Sicherheit seien. Aber er wünsche sich trotzdem vor allem eines: "etwas Licht am Ende des Tunnels."
Krieg bestimmt die Texte ukrainischer Schriftsteller
Auch für ukrainische Schriftstellerinnen und Schriftsteller ist der Krieg in der Ukraine omnipräsent. Seit dem russischen Überfall beschäftigen sie sich in Tagebüchern, Essays, Kolumnen und Gedichten mit dem Kriegsalltag. So auch der in Lwiw (deutsch: Lemberg) lebende Autor Juri Durkot. Bis heute führe er ein Kriegstagebuch, wie er im Gespräch bei MDR KULTUR erzählte: "Ich schreibe immer noch Texte für mein sogenanntes Tagebuch und bin mir auch im Klaren, dass man aus Lemberg nicht so schreiben kann, wie zum Beispiel aus Odessa - also aus den Städten, die direkt betroffen sind von diesem Krieg".
In Lwiw gäbe es "nur" Raketenangriffe, berichtete der Autor weiter. "Man lebt trotzdem mitten im Krieg, auch in einer Stadt im Hinterland". Aus seinem Kriegstagebuch hat Durkot im November 2022 bei einem deutsch-ukrainischen Autorentreffen in Weimar vorgelesen. Damals kamen rund 30 Schriftstellerinnen und Dolmetscher unter dem Motto "Eine Brücke aus Papier" zusammen, um sich kennenzulernen und gemeinsam zu lesen.
Durkots Auszug aus seinem Kriegstagebuch, den er in Weimar vortrug, handelte von einer Reise in einem völlig überfüllten Flüchtlingszug. Inzwischen lege der Autor den Fokus aber auch wieder auf kulturgeschichtliche und persönliche Themen, wie er bei MDR KULTUR erklärte. Dennoch überschatte der russische Angriff auf die Ukraine sämtliche seiner Texte. "Das einzige Problem bleibt: Nach wie vor haben fast alle mit dem Krieg zu tun", so Durkot.
Schreiben als Zeichen des Widerstands gegen Russland
Für die seit Langem in Wien lebende Sprachwissenschaftlerin Oksana Havryliv hat der Ukraine-Krieg bei der Entstehung ihres jüngsten Buchs über das Schimpfen eine wichtige Rolle gespielt. "Das Buch handelt nicht vom Krieg, aber das Thema Sprache und Krieg, beziehungsweise Schimpfwörter und aggressive Sprechakte im Krieg, werden schon behandelt", erklärte sie dem MDR. Den bereits unterschriebenen Buchvertrag wollte sie Ende Februar 2022 bei der Post einwerfen – doch dann brach der Krieg aus. "Da habe ich verstanden: Ich werde ein populärwissenschaftliches, ein unterhaltsames Buch unter diesen Bedingungen nicht schreiben können."
Die Arbeit am Buch wurde für mich zum Zeichen des Widerstandes und der Unbiegsamkeit vor Russland als Terrorstaat.
Im Anschluss hat die Autorin die Arbeit am Buch für ein halbes Jahr zur Seite gelegt. In der Zeit habe sie sehr beschäftigt, wie sprachliche Gewalt zu diesem Krieg geführt habe, erzählte Havryliv: "Ich meine hier sprachliche Gewalt in Form von Kreml-Propaganda, die jahrelang falsche Gerüchte und Lügen über die Ukrainer und Ukrainerinnen verbreitet hat und so den Weg für diesen schrecklichen Krieg geebnet hat".
Während des Krieges wurde die Sprachwissenschaftlerin immer wieder zu Konferenzen in der Ukraine eingeladen, die oft wegen Bombenalarms unterbrochen wurden. "Und dann habe ich mir gedacht, wenn deine Kolleginnen und Kollegen unter solchen Bedingungen arbeiten, dann kannst du sehr wohl als Zeichen des Protestes und des Widerstands anfangen, an deinem populärwissenschaftlichen Buch zu arbeiten." Das habe sie schließlich getan – inzwischen ist die Arbeit unter dem Titel "Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen" erschienen. Rückblickend sagte Havryliv dem MDR: "Die Arbeit am Buch wurde für mich zum Zeichen des Widerstandes und der Unbiegsamkeit vor Russland als Terrorstaat."
Quellen: MDR KULTUR (Thomas Bille, Blanka Weber), MDR SACHSEN (Stephan Bischof)
Redaktionelle Bearbeitung: vp
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. Februar 2024 | 07:10 Uhr