Ein grauhaariger Mann mit einem Handy am Ohr
Heute kann der Weimarer Arzt selber nicht fassen, dass er auf die Betrüger hereingefallen ist. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Betrug am Telefon Thüringen: Mehr als 400 Schockanrufe pro Monat - Zahlen gehen einfach nicht zurück

21. Januar 2024, 06:00 Uhr

Der Trick, mit dem Schock am Telefon Geld zu ergaunern, funktioniert in immer neuen Varianten. Trotz Prävention und vieler Berichte zum Thema fallen immer wieder Menschen auf die Betrüger herein. Im Gespräch mit einem Opfer suchen wir die Gründe dafür.

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Immer wieder gibt es Meldungen über Menschen, die mit sogenannten Schockanrufen um sehr hohe Geldbeträge betrogen worden sind. Wenn man davon liest, kann man sich oft nicht vorstellen, warum Menschen darauf hereinfallen. Doch der Trick, mit dem Schock am Telefon Geld zu ergaunern, funktioniert in immer neuen Varianten. Die Zahlen gehen nicht zurück. Und tatsächlich kann es jeden treffen, wie der Fall eines Weimarer Arztes zeigt.

Emotionaler und psychischer Druck

"Ich weiß es noch wie heute. Es war im November, an einem Freitagmorgen. Ich saß am Schreibtisch und plötzlich klingelt das Telefon, es meldete sich eine Dame von der Kriminalpolizei. Sie wollte mir mitteilen, dass meine Tochter einen Unfall in Jena hatte. Die habe eine Frau überfahren, die Frau hatte einen Kinderwagen und das kleine Kind sei schwer verletzt. Ich müsste jetzt etwas unternehmen für unsere Tochter, die sei absolut verzweifelt."

Wie solche Anrufe ablaufen, hat die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes mit Schauspielern nachgestellt.

Ein Mann mit einem Telefon in der Hand 15 min
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15 min

Wie solche Anrufe ablaufen, hat die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes mit Schauspielern nachgestellt.

MDR FERNSEHEN Fr 19.01.2024 16:42Uhr 14:31 min

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/weimar/audio-schockanruf-nachgestellt100.html

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So war es auch bei dem Arzt aus Weimar: "Dann hat sie mich verbunden und ich kann heute noch Stein und Bein schwören, dass es die Stimme meiner Tochter war. Sie war sehr aufgeregt und hat gesagt, dass sie unsere Hilfe braucht wegen des Unfalls. Und ich dachte sofort an die blöde Kreuzung am Arbeitsamt in Jena. Dort kann es schon mal passieren, dass man etwas übersieht."

Verschiedene Tätergruppen variieren die Geschichten

Patrick Martin ist Sprecher der Landespolizeidirektion und er bestätigt, dass genau das das Erfolgsmodell dieser Betrüger ist. Emotionalen Druck aufzubauen, indem Verwandte ins Spiel gebracht werden: "Entweder hatten die einen Unfall oder sie haben einen verursacht, oder sie sind wegen einer dubiosen Straftat jetzt in Haft."

Manchmal müssten auch angeblich Krankenhausgebühren sofort bezahlt werden, um eine Transplantation vorzunehmen. "Die Geschichten sind da sehr vielfältig und sie scheinen auch von den verschiedenen Tätergruppen unterschiedlich benutzt zu werden", so Martin.

Die Zahlen in Thüringen liegen laut Martin konstant bei durchschnittlich etwa 400 Fällen pro Monat. "Hin und wieder geht es auch hoch bis 500." Obwohl inzwischen viel zur Prävention getan wird, gibt es laut Martin absolut keinen Rückgang dieser Fälle. Eine Anfrage zur Schadenshöhe und zur Altersverteilung der Opfer hat das Landeskriminalamt nicht beantwortet.

Der Pressesprecher der LPD Erfurt, Patrick Martin) 6 min
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6 min

Patrick Martin ist Sprecher der Thüringer Landespolizeidirektion. Für ihn ist Prävention besonders wichtig, weil die Telefonbetrüger extrem selten geschnappt werden.

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Zurück zur Geschichte des Arztes: "Jedenfalls hat meine Tochter geweint und erzählt, dass sie jetzt von Jena nach Gera zur Polizeidirektion gebracht wurde. Dann hat sich die erste Frau wieder gemeldet und hat gesagt, ich könnte eine Kaution hinterlegen. Aber das wurde mir die Staatsanwältin genau erklären und zu der hat sie mich verbunden."

Genaue Recherche in der Region

Nicht nur die Namen der Angehörigen, deren Wohnorte und Gewohnheiten würden laut Polizei akribisch recherchiert, auch die Namen der angeblich beteiligten Personen. Die Namen der Staatsanwältinnen stimmen ebenso wie die Adressen der Behörden.

Patrick Martin: "Das ist ein hoch arbeitsteiliges Vorgehen. Der wertvollste in dieser Kette ist der Anrufer. Der sitzt typischerweise nicht in Deutschland, so dass man seiner so gut wie nicht habhaft werden kann, weil er einfach das wertvollste Glied in dieser Kette darstellt." Der muss laut Martin nicht nur perfekt Deutsch sprechen, sondern auch dafür sorgen, dass die Leute nicht misstrauisch werden.

Dann gibt es vor Ort das Team von Abholern. Das sind zwei bis drei Personen, die sich im regionalen Umfeld des Angerufenen bewegen müssen. "Wenn wir einmal einen Fall mit Telefon-Trickbetrug in einer Region haben, ploppen meistens noch ganz viele weitere auf. Das zeigt, dass man über diese Callcenter versucht, eine Vielzahl von Personen anzurufen", erklärt Patrick Martin.

Ob die Recherchen in den gleichen Callcentern erfolgen, kann die Polizei allerdings nicht sagen. Auch zu deren Größe gibt es kaum Erkenntnisse.   

Stress soll Misstrauen und Nachdenken verhindern

Auch die Staatsanwältin, mit der der Weimarer Arzt angeblich verbunden wurde, gibt es wirklich. "Die hat dann erzählt, dass meine Tochter im Gefängnis sei und da auch bleiben würde. Außer, ich würde 70.000 Euro hinterlegen. Ich hatte aber kein Geld zu Hause und habe auch keine 70.000 Euro, das sagte ich ihr.

Aber die ganze Zeit ging mir durch den Kopf, was das jetzt alles bedeutet. Ich machte mir Sorgen um meine Tochter, dass ein solcher Unfall ja ihr ganzes Leben verändert. Wir haben einen sehr, sehr engen Familienzusammenhalt, da war klar, dass wir helfen müssen.

Blaulicht und der Schriftzug "Unfall" leuchtet auf dem Dach von zwei Streifenwagen der Polizei.
Es ist schwer, klar zu denken, wenn das eigene Kind in einen Unfall verwickelt wurde. Bildrechte: picture alliance / Daniel Bockwoldt | Daniel Bockwoldt

Die Frauen haben mich am Telefon weiter emotional und moralisch extrem unter Druck gesetzt. Und dann sagten sie, ich solle dann jetzt zur Sparkasse gehen und das Geld abheben, dann würde man mir weitere Instruktionen geben.

Ich war natürlich immer noch völlig von der Rolle. Damals wusste ich ja nicht, dass es eine Verbrecherbande war und es hat sich auch nicht so angefühlt. Ich bin dann also zur Sparkasse gegangen und habe 20.000 Euro abgehoben. Die Angestellte dort kenne ich schon viele Jahre und die fragte mich auch, warum ich so viel Geld brauche."

Bankmitarbeiter können wichtige Rolle spielen

Gerade die Mitarbeitenden in Banken und Sparkassen sind ein wichtiger Teil der Prävention der Polizei. Sie werden nicht nur sensibilisiert, sondern oft auch geschult, um bei größeren Abhebungen mit den Kunden ins Gespräch zu kommen und den Betrug zu stoppen.

Zwei Hände Halten einen Geldstapel.
Bei größeren Summen, die abgehoben werden, sollten die Banken durchaus nachfragen, sagt die Polizei. Bildrechte: IMAGO / photothek

Aber auch darauf sind die Täter inzwischen vorbereitet, wie der betroffene Arzt erzählt: "Auch für diesen Fall war ich instruiert worden. Ich sollte sagen, dass ich das für ein Auto brauche, das ich kaufen will. Am Telefon wurde mir dann gesagt, weil ich so lange gebraucht hätte, wäre die Staatsanwältin in Jena jetzt nicht mehr da und ich müsste nach Gera fahren zur Staatsanwaltschaft, um das Geld zu hinterlegen."

Opfer werden immer in Bewegung gehalten

"Ich habe mich also ins Auto gesetzt und bin nach Gera gefahren. Die ganze Zeit ging mir im Kopf herum, was wir jetzt machen, wenn in der Familie jemand jemanden totgefahren hat. Es ist ein schrecklicher Gedanke, ich war nicht in der Lage, rational zu denken.

Auf jeden Fall wollte ich selbst mit der Staatsanwältin in Gera reden. Aber die war nicht mehr da. Ich sollte das Geld bei einem Notar hinterlegen. Per Telefon haben die mich bis zu seiner Kanzlei geführt. Dort kam ein Mann aus dem Haus, der sagte, der Notar habe jetzt Klienten, ich solle ihm das Geld übergeben. Langsam kam mir das schon komisch vor, ich wollte aber auf der Straße auch keinen Eklat verursachen."

Aufklärungsquote laut Polizei sehr gering

Die sogenannten Abholer sind laut Polizei das schwächste Glied der Kette. Denn selbst wenn sie gefasst werden können, berufen sie sich laut Patrick Martin oft darauf, einfach nur beauftragt zu sein, etwas abzuholen. "Man kommt über die Abholer nicht an die Auftraggeber heran. Man muss wirklich sagen, wer darauf reinfällt und Geld verloren hat, der ist das Geld auch los. Da besteht so gut wie keine Hoffnung."  

Sein aufkeimendes Mistrauen hat dem Weimarer Arzt am Ende eine Menge Geld gespart, wenn auch nicht alles: "Ich habe ihm erstmal nur etwa 8.000 Euro gegeben und damit ist er ins Haus gegangen. Dann riefen die mich aber wieder an und sagten, dass wir 20.000 vereinbart hatten. Ich solle dem Mann jetzt auch den Rest geben, sie würden ihn nochmal rausschicken.

Als er wieder bei mir war, habe ich aber gesagt, ich wolle jetzt mit dem Notar oder der Staatsanwältin sprechen. Dann habe ich mich ins Auto gesetzt und bin losgefahren. An einer Tankstelle in Gera habe ich dann gehalten und die Frau an der Kasse um ihr Handy gebeten.

Denn auf meinem Handy haben die ja die ganze Zeit angerufen. Vielleicht haben sie es auch überwacht? Ich glaube auch, dass die mich die ganze Zeit beobachtet haben. Also, an der Tankstelle habe ich dann meine Tochter angerufen und die hat gesagt, dass es ihr gutgeht. Sie war entsetzt, dass ich solchen Betrügern zum Opfer gefallen bin.  

Direkt danach habe ich die Polizei angerufen, die kamen sofort und wussten schon, worum sich es drehte. Aber auch wenn alles sofort aufgenommen wurde und die sich super um mich gekümmert haben – das Geld ist verlustig. Das habe ich auch nicht wiederbekommen."

Polizei setzt auf Prävention

Weil trotz aller Bemühungen der Polizei die Zahl der Fälle, in denen die Betrüger erfolgreich sind, nicht zurückgeht, zielt die Prävention derzeit vor allem auf die Familien ab, sagt Patrick Martin.

Kinder und Enkel sollen mit dem Thema konfrontiert werden, um ihre Eltern und Großeltern zu sensibilisieren. Die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes stellt auf ihrer Website Info-Pakete zur Verfügung, auch zur Verbreitung in den Sozialen Medien.

Zum Aufklappen: Das rät die Polizei bei Schockanrufen

  • Seien Sie misstrauisch, wenn sich Anrufer am Telefon nicht selber mit Namen melden. Raten Sie nicht, wer anruft, sondern fordern Sie Anrufer grundsätzlich dazu auf, ihren Namen selbst zu nennen.
  • Seien Sie misstrauisch, wenn sich Personen am Telefon als Verwandte oder Bekannte ausgeben, die Sie als solche nicht erkennen. Erfragen Sie beim Anrufer Dinge, die nur der richtige Verwandte/Bekannte wissen kann.
  • Geben Sie keine Details zu Ihren familiären und finanziellen Verhältnissen preis.
  • Lassen Sie sich nicht drängen und unter Druck setzen. Nehmen Sie sich Zeit, um die Angaben des Anrufers zu überprüfen. Rufen Sie die jeweilige Person unter der Ihnen bekannten Nummer an und lassen Sie sich den Sachverhalt bestätigen.
  • Wenn ein Anrufer Geld oder andere Wertsachen von Ihnen fordert: Besprechen Sie dies mit Familienangehörigen oder anderen Ihnen nahe stehende Personen.
  • Übergeben Sie niemals Geld oder Wertsachen wie Schmuck an unbekannte Personen, auch nicht an die Polizei.
  • Kommt Ihnen ein Anruf verdächtig vor, informieren Sie unverzüglich die Polizei unter der Nummer 110.
  • Sind Sie bereits Opfer eines Betrugs geworden, zeigen Sie die Tat unbedingt bei der Polizei an. Dies kann der Polizei helfen, Zusammenhänge zu erkennen, andere Personen entsprechend zu sensibilisieren und die Täter zu überführen.
  • Lassen Sie Ihren Vornamen im Telefonbuch abkürzen (aus Herta Schmidt wird beispielsweise H. Schmidt) oder lassen Sie den Vornamen ganz weg. Zum Ändern eines Telefonbucheintrags können Sie sich an Ihren Telefonanbieter wenden.
  • Bewahren Sie Ihre Wertsachen, z.B. höhere Geldbeträge und andere Wertgegenstände nicht zuhause auf, sondern auf der Bank oder im Bankschließfach.

Auch der Arzt aus Weimar würde künftig anders reagieren, sagt er. "Ich denke immer wieder darüber nach, warum ich darauf hereingefallen bin. Aber der Schock, das Warten, die Spannung – man reagiert dann irrational. Und die haben mich ja die ganze Zeit am Telefon gehalten.

Klar hätte ich mit einem anderen Telefon direkt meine Tochter anrufen sollen. Aber auf diese Idee kommt man nicht, wenn man so unter Druck gesetzt wird. Es wird ja auch permanent Stress aufgebaut. Alles muss ganz schnell gehen. Man kommt gar nicht zum Nachdenken. Eigentlich hätte ich sofort auflegen müssen und die Polizei anrufen. Wenn mein Kind wirklich einen Unfall verursacht hätte, müsste das ja dort bekannt sein. Aber hinterher ist man immer klüger."

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MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 17. Januar 2024 | 11:30 Uhr

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