Fakt ist! aus Erfurt Arbeitslosigkeit soll steigen: Wie passt das mit dem Fachkräftemangel zusammen?

12. November 2024, 01:32 Uhr

Laut Prognose sollen 2025 in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Arbeitslosenzahlen wieder steigen. Woran liegt das und wie passt das zusammen mit dem allseits beklagten Fachkräftemangel? Diese und andere Fragen diskutierten die Gäste am Montag bei "Fakt ist!" aus Erfurt.

Ganz verschwunden war sie nie: die Arbeitslosigkeit. Aber sie war lange Zeit eher so etwas wie ein Einzel-Schicksal. Jetzt aber ändert sich die wirtschaftliche Lage und aus Einzel-Schicksalen droht ein längst überwunden geglaubtes, gesellschaftliches Phänomen zu werden.

Zumindest ist die Angst davor wieder da. Aber wie passt das zusammen, wenn einerseits der Fachkräftemangel beklagt wird, andererseits zunehmend Menschen eine Arbeit suchen?

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Markus Behrens, ist Chef der Bundesagentur für Arbeit Sachsen-Anhalt-Thüringen.

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"Es matcht einfach nicht", sagt Markus Behrens, Chef der Bundesagentur für Arbeit Sachsen-Anhalt und Thüringen. Den 67.000 Arbeitslosen stehen 15.000 offene Stellen gegenüber. Aber, so Behrens, "das Thema ist die Qualifikation". 60 bis 62 Prozent der Arbeitssuchenden sind Behrens zufolge Helfer, ein Drittel sind ältere Arbeitslose (55 Jahre oder älter) und vielen fehlt eine abgeschlossene Ausbildung. Das passe dann eben nicht zu den Anforderungen in den Betrieben.

Flexibel, gut ausgebildet und trotzdem arbeitslos

Wenn man allerdings die Geschichte von Marc Stichert hört, klingt das ganz anders. Er hat sich in unserer MDRfragt-Community gemeldet. Stichert ist Diplom-Ingenieur für Feinwerktechnik. Er spricht Französisch und Englisch, hat in verschiedenen Branchen gearbeitet. Als Projektleiter und als Fertigungsleiter unter anderem.

Schon die Einladung war ja mehr eine Vorladung. Und weil ich meinen Reisepass dabeihatte statt des Personalausweises, wurde mir erstmal das Arbeitslosengeld gestrichen.

Marc Stichert Diplom-Ingenieur

Er bezeichnet sich selbst als sehr flexibel, hat sich beworben "von Kiel bis hinter München", wie er sagt. Inzwischen überlegt er auszuwandern, weil auch seine Erfahrungen mit der Arbeitsagentur keine guten waren. "Schon die Einladung war ja mehr eine Vorladung. Und weil ich meinen Reisepass dabeihatte statt des Personalausweises, wurde mir erstmal das Arbeitslosengeld gestrichen." Als er dann ein aus seiner Sicht völlig unpassendes Stellenangebot bekam, habe die Mitarbeiterin zugegeben, nicht einmal seinen Lebenslauf gelesen zu haben.

Diese Erzählung ärgerte Agenturchef Markus Behrens sehr. Er will sich um den Fall jetzt gerne selber kümmern.

Betriebsrat als Gast in der Sendung

Einer, der sich jetzt bereits kümmert, ist Stefan Mogk. Er ist Betriebsrat bei Schuler-Pressen in Erfurt. Er hat sozusagen gerade die Streikweste ausgezogen, denn bei Schuler ist derzeit Arbeitskampf angesagt.

130 Leute sollen in Erfurt entlassen werden. "Wir sind halt Metaller, teilweise schon in zweiter oder dritter Generation, wir können nicht einfach in der Logistik arbeiten", sagt er. Aber die Angst vor dem Jobverlust ist groß, denn alle haben Verpflichtungen. Wer Familie hat, will nicht zu weit weg arbeiten - wer ein Haus gekauft hat, muss die Kreditraten bezahlen. "Auch eine Firma mit 38-Stunden-Woche und Tarifbindung findet man in Thüringen so schnell nicht."

Das kann Markus Behrens von der Arbeitsagentur nur bestätigen. "90 Prozent der Unternehmen in Thüringen haben eben keine Tarifbindung. Und da ist man dann beim Verdienst schnell bei 80 Prozent des Westniveaus."

Wir müssen die Leute heute nicht mehr in die alten Bundesländer schicken, es gibt genug Arbeit in Thüringen.

Markus Behrens Bundesagentur für Arbeit Sachsen-Anhalt und Thüringen

Wenn dann jemand arbeitslos werde und einen Einkommensverlust von einem Drittel hinnehmen müsse, sei das im Portemonnaie deutlich zu spüren. Auch, wenn man in dieser Zeit eine Weiterbildung besucht, könne das finanziell schwierig sein.

Etwas sei aber positiv zu bewerten: "Wir müssen die Leute heute nicht mehr in die alten Bundesländer schicken, es gibt genug Arbeit in Thüringen." Auf den ÖPNV dürfe man dabei allerdings nicht bauen, als Pendler brauche man schon ein Auto, erst recht bei Schichtarbeit.

Industriearbeitsplätze in Thüringen erhalten

Mario Voigt, Landes- und Fraktionsvorsitzender der CDU Thüringen, will Ministerpräsident werden und steckt gerade in den Koalitionsverhandlungen. In Thüringen müsse man um jeden Industriearbeitsplatz kämpfen, sagt er. Das gelinge nur durch den Abbau von Bürokratie und Senkung der Energiekosten.

Stefan Mogk von Schuler-Pressen widerspricht Voigt. Die Energiepreise seien nicht das Problem: "Schuler-Pressen schreibt schwarze Zahlen, der Mutterkonzern findet nur, dass hier zu wenig Gewinn gemacht wird. Investitionen gibt es derzeit nur in China."

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Wenn Mario Voigt, der CDU-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Ministerpräsident werden sollte, dann will er keine staatlich finanzierten Qualifizierungs-Programme.

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Wie aber umgehen mit dem Strukturwandel? Mario Voigt will kein Gegeneinander. Gewerkschaften, Kammern und Arbeitgeberverbände müssten zusammen an einem Tisch sitzen und regelmäßig reden. "Aber nicht nur einmal im Jahr", sagt Voigt. Quartalsweise müsse das schon passieren und jeweils mit konkreten Themensetzungen.

Wir müssen Instrumente haben, um die Menschen mitzunehmen. Die Finanzierung der Qualifizierungsprogramme für Arbeitnehmer muss geklärt werden.

Renate Sternatz Vizechefin DGB Hessen-Thüringen

"Die Thüringer Wirtschaft braucht Unterstützung bei der Bewältigung der Wandlungsprozesse", wendet die Vizechefin des DGB Hessen-Thüringen Renate Sternatz ein. Es sei schon richtig, die Probleme gemeinsam anzugehen, aber die Betriebe, die ins Strudeln kommen, bräuchten auch Sicherheit im Wandel.

"Wir müssen Instrumente haben, um die Menschen mitzunehmen. Die Finanzierung der Qualifizierungsprogramme für Arbeitnehmer muss geklärt werden." So fordert sie ein "Transformations-Kurzarbeitergeld" flankiert von einem entsprechenden Landesprogramm.

Und, das habe die Erfahrung aus den 90er-Jahren gezeigt, so Sternatz: Man dürfe nicht einfach Geld an Unternehmen ausreichen. "Da braucht es Bedingungen." Die Menschen in Thüringen wollen einen Job und ein gutes Einkommen. Die Zeiten von "Hauptsache, ich habe überhaupt einen Job" seien vorbei.

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Der Vizechefin des DGB Hessen-Thüringen Renate Sternatz ist wichtig, dass die Finanzierung der Qualifizierungsprogramme für Arbeitnehmer geklärt wird. So fordert sie ein "Transformations-Kurzarbeitergeld".

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Mario Voigt erinnert aber auch daran, dass Thüringen ein erfolgreiches Wirtschaftsland ist. "Kein Raumschiff dockt an der Internationalen Raumstation an ohne Technologie aus Thüringen." Für ihn ist die Kultur der Arbeit ein wichtiges Thema. So sollten Überstunden steuerfrei gestellt werden. "Derjenige, der arbeitet, muss mehr in der Tasche haben."

Sternatz: Land sollte Weiterbildung unterstützen

Renate Sternatz hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Beschäftigten großes Interesse haben an Qualifizierung. "Je mehr sie an Veränderungen im Betrieb beteiligt sind umso mehr."

Wenn man aber während der Qualifizierung nur 60 Prozent des Einkommens bekomme, sollte das Land etwas drauflegen. Da es in Thüringen viele Betriebe mit niedrigem Einkommen gebe und deutliche Einkommensunterschiede zum Westen (bis zu 23 Prozent), sei sonst die Finanzierbarkeit einer Familie infrage gestellt.

Mario Voigt ist sich bewusst, sagt er, dass sich Thüringen in der Qualifizierung engagieren muss. Eine zusätzliche Ebene allerdings sieht er nicht. "Dafür haben wir ja die Bundesanstalt für Arbeit."

Nicht mal eine Handvoll davon in Prozenten ausgedrückt, entziehen sich uns. Alle anderen wollen arbeiten.

Markus Behrens Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen

Gerade in Thüringen werden 2025 die Arbeitslosenzahlen steigen, so lautet die Prognose eben dieser Bundesagentur. Aber eins war Markus Behrens noch wichtig zu sagen über die 71.000 Arbeitslosen, die da prognostiziert sind: "Nicht mal eine Handvoll davon, in Prozenten ausgedrückt, entziehen sich uns. Alle anderen wollen arbeiten."

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Bildung und Löhne beherrschten die Diskussion. Uborner kritisierte, dass es kein leistungsfähiges Bildungswesen gebe: "Die Begabten kommen irgenwie durch und werden gute Arbeitskräfte, die weniger Begabten werden nach diesem Schuldebakel einen anspruchsvollen Job nicht ausfüllen können." Auch Lumberjack sah die Schulbildung als "tiefere Wurzel" der Probleme: "Die Polytechnische Oberschule [der DDR] war perfekt als Basis, auch der autoritäre Unterricht ist positiv, sich in ein leistungsorientiertes Team bzw. Unternehmen zu integrieren." Ralf G forderte, Qualifizierungsmaßnahmen, die bisher nicht gut liefen, möglichst in Zusammenarbeit mit den küpnftigen Arbeitgebern zu gestalten. Außerdem kritisierte er, dass das Bundeswirtschaftsministerium das Vertrauen der Unternehmer in den Wirtschaftsstandort zerstört habe. Aus Sicht von Harka2 liegt der Fachkräftemangel an der Bezahlung: Betriebe seien nur zu "Hunger- oder Mindestlöhnen bereit" und Tarifbindung gebe es nicht. Seinem Fazit "Welcher junger flexibler Arbeitssuchende ist blöd genug, sich unter Wert zu verkaufen?" widersprach aber Lumberjack, dass es diese Fachkräfte einfach nicht gebe. Er verwies außerdem darauf, dass der Faktor Arbeitskosten bei Produkten mit internationaler Konkurrenz eine wichtige Rolle spiele. C.T. sah bei diesem Punkt die Soziale Marktwirtschaft international als nicht mehr konkurrenzfähig. "Fachkraft" sei auch nicht automatisch vom formalen Bildungsabschluss abhängig: "Natürlich gibt es auch weniger qualifizierte Fachkräfte für den Niedriglohnsektor, die sehr gute und wichtige Arbeit verrichten. Die haben dann aber das Problem, dass ihre Vergütung durch mehr Bewerber gedrückt wird." Nochjemand kritisierte, dass Ältere über 55 abgewertet würden sowie Stellenanzeigen, die gewissermaßen 25-jährige eierlegende Wollmilchsäue forderten, was tomkey zumindest für IT-Branche nicht so sah. Zwischen Lumberjack und MalNachdenken gab es einen intensiven Austausch über die im Alltag nötigen Fähigkeitslevel, vor allem bei Neueingestellten. Wie Harka2 und faultier ("Gerade die CDU und SPD haben den Osten zum Billiglohnland gemacht und jammern jetzt, dass nicht genügend Doofe da sind für den Mindestlohn zu arbeiten") machte auch Peter Pan das Etikett "Billiglohnland" für die Thüringer Situation verantwortlich. Es habe Fachkräfte vergrault. "[...] lese ich jeden Tag massenhaft Jobangebote, an jedem Betrieb, an dem ich vorbei komme, an jedem Einkaufsmarkt, an jeder Tankstelle. Es scheint also doch wohl noch genügend Jobs zu geben." Wie auch faultier forderte er „vernünftige Löhne“, ohne die niemand käme.

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MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 11. November 2024 | 22:10 Uhr

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