Auf einer verzerrten Deutschlandkarte stehen kleine lila Miniaturmenschen.
Viele Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen bis heute. Bildrechte: MDR/unsplash | Collage: Fabian Frenzel

35 Jahre Mauerfall Wo Ost und West immer noch auseinanderklaffen – und wo nicht

03. Oktober 2024, 05:00 Uhr

Irgendwann gleichen sich die Lebensverhältnisse an: Das war das Versprechen, als vor 35 Jahren Ost- und Westdeutschland zusammenfanden. Es hat sich nur zum Teil erfüllt. Eingefärbte Deutschlandkarten zeigen, bei welchen Merkmalen die ehemalige innerdeutsche Grenze nach wie vor existiert – vom Gehaltsniveau bis zur Lebenszufriedenheit.

Schriftzug "MDR DATA"
Bildrechte: MDR/Paul Senftleben

Seit einigen Wochen steht ein Buch des Soziologen Steffen Mau auf der Spiegel-Bestsellerliste, es trägt den Titel "Ungleich vereint". Auf dem Cover sind die Umrisse einiger Bundesländer zu sehen, die neuen Bundesländer sind dunkelgrün eingefärbt, die alten Bundesländer hellgrün. 

Titel und Cover lassen eine zentrale These des Buchs schon erahnen: Ost und West sind zwar vereint, aber trotzdem unterschiedlich. In einigen Bereichen haben sich Ost- und Westdeutschland angeglichen, in anderen Bereichen existieren nach wie vor große Unterschiede. Bei den meisten ökonomischen Kennzahlen liegt der Westen vorne, in Sachen Kinderbetreuungsquote und Gleichstellung ist der Osten fortschrittlicher. Das einstige Versprechen, dass die Lebensverhältnisse sich angleichen, hat sich 35 Jahre nach dem Mauerfall nur zum Teil erfüllt.

Anlässlich des Jubiläums am 9. November hat MDR SACHSEN-ANHALT die Mediatheks-Serie und den Podcast "Generation Grenzenlos" produziert. Junge Menschen sprechen darin über die Klischees und Vorurteile, die Ost- und Westdeutschland nach wie vor prägen. Identität, berufliche Chancen, Lebenszufriedenheit – das sind einige Themen von Serie und Podcast.

Zu diesen Themen gibt es auch Zahlen und Statistiken. MDR Data hat eine Auswahl an Karten zusammengestellt, die zeigen, wo Ost und West immer noch auseinanderklaffen – und wo nicht.

1. Im Osten sind viele der Meinung: Anderswo ist das Leben besser

Die Bundesregierung erstellt jährlich einen Gleichwertigkeitsbericht, der anhand von Messzahlen und Umfragen untersucht, inwieweit sich Regionen ähneln und unterscheiden. Dazu werden unter anderem Menschen in ganz Deutschland danach gefragt, ob es sich in ihrer Region besser, schlechter oder genauso gut lebt wie in anderen Regionen Deutschlands. 

In nur wenigen ostdeutschen Kreisen empfinden die Menschen ihre Region als besonders lebenswert im Vergleich zu anderen Regionen. Dazu zählen unter anderem Jena und Weimar. In fast allen ostdeutschen Regionen sind überdurchschnittlich viele Befragte jedoch der Meinung, dass die Lebensverhältnisse anderswo besser sind.

Der Eindruck, dass das Leben woanders in Deutschland besser ist, ist in Ostdeutschland immer noch stark verankert. Nicht ohne Grund: "Egal welche sozioökonomischen Zahlen man nimmt, man sieht immer noch die Unterschiede", sagt Daniel Kubiak, Soziologe an der Humboldt-Universität Berlin und Experte im Podcast "Generation Grenzenlos".

Dazu muss man nur, wie oben, auf einer Karte alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte nach bestimmten Werten wie Einkommen, Jugendarbeitslosigkeit oder Betreuungsquote einfärben – und schon wird die ehemalige innerdeutsche Grenze sichtbar.

2. Im Westen sind die Gehälter höher, aber der Osten holt immer noch auf

Geht es um gleichwertige Lebensverhältnisse, geht es oft auch ums Geld. Bei diesem Thema klafft nach wie vor eine große Lücke zwischen Ost und West. Eine Auswertung von MDR Data zeigt beispielsweise, dass in den westdeutschen Bundesländern pro Einwohner rund neunmal so viel steuerpflichtiges Vermögen vererbt und verschenkt wird wie in den ostdeutschen Bundesländern. Und auch das Gehaltsniveau ist im Westen höher als im Osten.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit liegt der Median des monatlichen Bruttoentgelts in den westdeutschen Bundesländern bei 3.900 Euro im Monat. Das heißt: Wer sozialversicherungspflichtig vollzeitbeschäftigt ist und inklusive aller Boni und Zuschläge auf mehr als 3.900 Euro brutto kommt, verdient überdurchschnittlich gut. Wer unter 3.900 Euro landet, verdient unterdurchschnittlich gut. In den ostdeutschen Bundesländern liegt dieser Median-Wert bei 3.329 Euro.

Färbt man die Deutschlandkarte nach dem Gehaltsniveau ein, leuchten die Kreise östlich der ehemaligen innerdeutschen Grenze hellblau, westlich davon dunkelblau. Je dunkler das Blau, desto höher das Gehaltsniveau.

"Es ist nicht so, dass die Ostdeutschen bewusst benachteiligt werden", sagt Soziologe Kubiak. "Es ist total logisch, dass eine Gesellschaft, die 40 Jahre Kapitalismus voraus hat, auch 40 Jahre mehr Zeit hatte, Vermögen zu produzieren." Die entscheidende Frage sei, ob man es hinbekomme, dass in weiteren 40 Jahren auch im Osten viel Vermögen vererbt werden könne.

Die Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen auch, dass der Osten immer noch aufholt. In fast allen ostdeutschen Regionen ist das Gehaltsniveau seit 2014 überdurchschnittlich stark gestiegen. Vor zehn Jahren lag der Bruttomedianverdienst im Osten noch ein Viertel beziehungsweise 800 Euro niedriger als im Westen, heute beträgt der Unterschied nur noch ein Siebtel bzw. weniger als 600 Euro.

Besonders groß war der Zuwachs in den ländlichen Kreisen im Berliner Speckgürtel. Hier verdienen Vollzeitbeschäftigte – nicht inflationsbereinigt – im Schnitt rund die Hälfte mehr als vor zehn Jahren. In Bezug auf das Gehalt ist die Annäherung zwischen Ost und West also noch nicht abgeschlossen.

3. Die beruflichen Perspektiven sind für junge Menschen im Westen oft besser

In vielen ländlichen Regionen in Ostdeutschland ist die Bevölkerung vergleichsweise alt. Das liegt auch daran, dass viele junge Menschen ihre Heimat verlassen, um im Westen oder in Großstädten wie Leipzig und Berlin zu studieren und zu arbeiten.

Wie unterschiedlich die Möglichkeiten für junge Menschen sind, zeigt sich bei der Jugendarbeitslosigkeit. Im Süden und im Westen Deutschlands liegt der Anteil der arbeitslosen 15- bis 24-Jährigen in den meisten Kreisen bei unter 5 Prozent, im Osten liegt er meist darüber. Am höchsten ist die Jugendarbeitslosigkeit nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in der Uckermark in Brandenburg (13,4 Prozent) und im Altenburger Land in Thüringen (12,9 Prozent).

"Wenn ich an eine gute Uni will, wenn ich einen guten Job in einem Management eines Großunternehmens will, dann muss ich halt auch einfach weggehen", sagt Soziologe Kubiak. Selbst im Osten sind viele Führungspositionen von Westdeutschen besetzt. Gehen oder bleiben – das sei in Ostdeutschland eine relevante Frage. "Und bleiben bedeutet eben auch, sich zu entscheiden, bestimmte Jobs, bestimmte Chancen nicht annehmen zu können."

4. Bei einigen sozialen Themen hat der Osten die Nase vorne

Im Westen gibt es mehr Großunternehmen, höhere Gehälter, bessere berufliche Perspektiven – dafür ist der Osten bei einigen sozialen Themen fortschrittlicher. Zum Beispiel bei der Kinderbetreuung. In den ostdeutschen Bundesländern ist mehr als die Hälfte aller Kinder unter drei Jahren in Betreuung, im Westen ist es weniger als jedes dritte Kind.

Das ist historisch gewachsen: Denn bereits zu DDR-Zeiten war die Ganztagsbetreuung im Osten weit verbreitet. Im Westen blieben Mütter häufiger die ersten Jahre Zuhause. Das Muster setzt sich bis heute fort.

In Ostdeutschland ist die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Frauen höher, die Minijob-Quote unter den Erwerbstätigen niedriger und auch die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist kleiner als im Westen. Die Forscherin Michaela Fuchs vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nennt als Grund die gesellschaftliche und soziale Prägung im Osten. Sie sei "viel förderlicher für Frauen, um auch mit mehreren Kindern viele Wochenstunden oder sogar in Vollzeit zu arbeiten".

5. Im Osten sind die Menschen ähnlich zufrieden wie im Westen

Die Unterschiede zwischen Ost und West existieren in vielen Bereichen auch 35 Jahre nach dem Mauerfall. Sie sind messbar und auf Karten sichtbar. Deutschland ist – in Worten des Soziologen Steffen Mau – nach wie vor "ungleich vereint".

Fragt man die Menschen jedoch, wie zufrieden sie mit ihrer eigenen Lebenssituation sind, dann verwischt die klare Grenze. Aus dem Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung geht hervor, dass die Menschen in vielen ostdeutschen Regionen genauso zufrieden oder sogar zufriedener sind als im Westen – beispielsweise in der Uckermark, im Havelland, in Anhalt-Bitterfeld, in Potsdam und im Unstrut-Hainich-Kreis. Man kann also durchaus der Meinung sein, dass die Lebensverhältnisse anderswo besser sind (siehe Kapitel 1), obwohl man mit den Lebensverhältnissen bei sich zuhause zufrieden ist.

Das Grundgesetz verpflichtet die Politik dazu, in vielen Lebensbereichen für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu sorgen. Das werde auch in den nächsten Jahrzehnten eine Herausforderung bleiben, sagt Soziologe Kubiak im Podcast "Generation Grenzenlos": "Eine Herausforderung zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West, zwischen Süd und Nord, zwischen Arm und Reich."


Neue MDR-Serie: Generation Grenzenlos? Gen Z zwischen Ost und West

"Generation Grenzenlos?" zeigt die Vorurteile und Klischees über Ost und West, mit denen das Leben der Generation Z umgehen muss. Sieben Frauen und Männer im Alter von 21 bis 28 Jahren bieten – stellvertretend für die Generation Z – einen Einblick in die Denkweise und den Alltag einer Generation.

Folge 1: Aufwachsen in Ost und West

Es geht um noch bestehende Klischees zwischen Ost und West. Wie sieht es mit der Identität aus? Versteht sich die Gen Z noch als Ossi oder Wessi? Ist Gen Z im Osten anders aufgewachsen als im Westen?

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Folge 3 : Politisches Denken

Wie ist die politische Stimmung in Ostdeutschland? Rechtsextremismus ist immer noch ein Thema – aber was kann man ändern? Und wie soll die Zukunft aussehen: Teilung adé?

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Generation Grenzenlos? ist seit dem 30. September als MDR-Podcast und als Serie in der ARD-Mediathek verfügbar. Am 3. Oktober ist die Serie um 17:50 im MDR-Fernsehen zu sehen.

MDR (Leonhard Eckwert, David Wünschel)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 03. Oktober 2024 | 06:00 Uhr

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