Kommunalwahl 2024 Nahverkehr, Ärztemangel, klamme Kasse: Herausforderungen im Erzgebirge
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Grüne Wiesen im Sommer, verschneite Wälder im Winter, dazu der Duft von Weihrauchkerzen bei einem Bummel durch die Geschäfte der "Männelmacher". Das Erzgebirge lockt als Tourismusregion Gäste aus ganz Deutschland, vor allem mit dem Auto. Vor Ort kommt man mit Bus oder Bahn nicht überall hin. Eine der Herausforderungen, die der neue Kreistag auf der Agenda hat. Doch es gibt noch weitere.
Mit Glockengebimmel gibt Landrat Rico Anton das Zeichen, dass der Kreistag beginnt. Es ist die letzte Sitzung vor der Kommunalwahl, zahlreiche Themen stehen auf der Tagesordnung. Doch beim Blick auf die Finanzen wird klar, dass es für die Kreisräte nicht einfacher wird, Dinge umsetzen und das Erzgebirge fit für die Zukunft zu machen.
Nach der Kreisreform 2008 war die Haushaltslage im Erzgebirgskreis lange gut und stabil, doch vor ein paar Jahren hätte sich das geändert, sagt Sylvio Kraus, Fraktionsvorsitzender von CDU und FDP. "Maßgeblich durch Bundesentscheidungen, die vor allem im Sozialbereich bei uns durchschlagen. Und letztendlich einen Haushaltsausgleich kaum noch möglich machen, beziehungsweise gar nicht mehr möglich machen."
Ein ausgeglichener Haushalt ist nicht mehr möglich.
Besonders im Bereich der Pflege und beim Thema Migration müsse der bevölkerungsreichste Landkreis Sachsens hohe Mehrausgaben aufbringen. Aber auch Vorschusszahlungen im Familienbereich, bei dem der Landkreis in Vorleistung geht und die Rückfinanzierung im Regelfall nicht garantiert ist, seien ein Problem, so Sylvio Krause, der gleichzeitig auch Bürgermeister von Amtsberg ist.
Menschen im Erzgebirge fühlen sich abgehängt
Der Landkreis besteht aus 59 Kommunen, knapp die Hälfte davon besitzt das Stadtrecht. Doch um sich im Erzgebirgskreis fortzubewegen, sind viele auf das Auto angewiesen. Das liegt daran, dass der öffentliche Nahverkehr nur unzureichend ausgebaut ist. In die Kleinstadt Elterlein beispielsweise würden am Wochenende kaum Busse fahren, nach Steinbach bei Jöhstadt gibt es nur unter der Woche ÖPNV.
Auch für Thomas Kunzmann von den Freien Wählern ist das ein großes Problem. "Wir haben zwar Einfluss auf den ÖPNV, aber auch dort sind ja die Kosten nicht gedeckt. Das heißt, Linien werden ausgedünnt und wenn sie Linien ausdünnen, ist der Bedarf nicht mehr da." Und wenn sich die Einwohner nicht darauf verlassen könnten, dass der Bus in 14 Tagen wieder fährt, dann würden sie ein Auto kaufen und das auch nutzen, so Kunzmann: "Die Verlässlichkeit zu sagen, ich schicke mein Kind jetzt mit dem Bus irgendwo hin zum Verein oder so, das ist schon schwierig." Thomas Kunzmann, Bürgermeister von Lauter-Bernsbach, sagt, er sehe den Bedarf. Auch eine bessere Anbindung an die Bahn wünsche er sich.
Es muss das Stadt-Land-Gefälle angegangen werden.
Das größte Problem für ihn sei jedoch der demografische Wandel, denn das bedeute insgesamt weniger Betriebe, weniger Einnahmen, weniger öffentlicher Nahverkehr und weniger Ärzte.
Medizinische Unterversorgung droht
Besonders im Bereich der medizinischen Versorgung steht der Kreis vor großen Herausforderungen. Damit die vier kommunalen Kliniken erhalten bleiben können, mussten sie fusionieren. Jetzt gilt es, den Status Quo zu erhalten. Schwieriger hingegen ist die Situation der hausärztlichen Versorgung. Einigen Kommunen, wie in Niederdorf bei Stollberg, gelingt es durch viel Engagement, Hausärzte anlocken. Dort räumte der Bürgermeister sein Büro und ließ für rund 600.000 Euro eine Arztpraxis in den Verwaltungsräumen errichten. Mit Erfolg.
Oder in Schneeberg: Dort kaufte die Stadt das Bergarbeiterkrankenhaus aus der Insolvenzmasse und vermietet es jetzt an die Poliklinik gGmbH Chemnitz, die dort ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) errichtet hat. "Meiner Meinung nach muss der Numerus Clausus fallen und es müssen mehr Ärzte ausgebildet werden", sagt Thomas Dietze, Fraktionsvorsitzender der AfD.
Meiner Meinung nach muss der Numerus Clausus fallen und es müssen mehr Ärzte ausgebildet werden.
Mehr als die Hälfte der Ärzte im Erzgebirgskreis seien 60 Jahre und älter, so Dietz, der für die AfD im Bundestag sitzt und ordentliches Mitglied im Gesundheitsausschuss ist. Und diese würden über die nächsten Jahre in Rente gehen. "Es dauert über zehn Jahre, bis so ein Arzt vom Studium zum Assistenzarzt wird. Da muss jetzt schleunigst was gemacht werden." Die Kommunen könnten nur entsprechende Rahmenbedingungen schaffen für die Mediziner, so wie in Niederdorf oder Schneeberg. Frank Dahms von den Linken fasst die Situation im Erzgebirgskreis so zusammen: "Wir haben vor rund 30 Jahren alles neu gemacht, jetzt fahren wir auf Verschleiß. Viele Sachen haben ihre Haltbarkeitsdauer überschritten."
Ein besseres Miteinander
Dahms vertritt die Meinung, es müsste wieder verstärkt in Infrastruktur investiert werden, damit der Landkreis fit für die Zukunft wird. Doch auch die Menschen sollten wieder mehr miteinander reden und zuhören. Sein Wunsch: "Dass der Hass und Neid wieder zurückgedrängt werden. Dazu muss der Wille auf beiden Seiten da sein."
Den Haushalt solide aufzustellen, wird in den kommenden Jahren sicher ein Kraftakt. Wer diese zukünftigen Herausforderungen im Erzgebirgskreis meistern muss, wird sich nach der Kommunalwahl am 9. Juni zeigen.
Zahlen, Daten und Fakten zum Erzgebirgskreis
Sitz des Kreistags: Annaberg-Buchholz
Kommunen: 59 (davon 27 Städte und 32 Gemeinden)
Fläche: 1.828 km²
Einwohner gesamt: 327.739 (Stand: 30.06.2023)
Nicht-EU-Ausländer: 8.725 (2,66 Prozent)
Durchschnittsalter: 51,2
Arbeitslosenquote: 4,4
Pro-Kopf-Einkommen: 22.088 Euro
Quelle: Erzgebirgskreis | Statistisches Landesamt
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 29. April 2024 | 19:00 Uhr