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Bundestagswahl 2025 | Migration Wenn Welten aufeinanderprallen: Wie die Kleinstadt Burg mit Migration umgeht
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12. Februar 2025, 05:00 Uhr
Burg sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen, wenn es um Migration ging. Wie ist die Stimmung dort kurz vor der Bundestagswahl? Über eine Kleinstadt zwischen dem Wunsch nach strikter Migrationspolitik und dem Engagement für Integration: Teil 5 der MDR-Reihe zur Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt.
- Nach dem Anschlag in Magdeburg und dem Attentat von Aschaffenburg bestimmt die Migrations-Debatte den Bundestagswahlkampf.
- In Sachsen-Anhalt sorgte Burg in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen, wenn es um Migration ging.
- Viele Menschen bemühen sich um Integration, aber auch rechte bis rechtsextreme Positionen sind weit verbreitet. Ein Stimmungsbild.
Lange muss Birgit Kiel nicht über die Schartauer Straße rollen. Nach wenigen Sekunden trifft die 63-Jährige ein bekanntes Gesicht. Ihr Rollstuhl stoppt vor dem Lebensmittelgeschäft von Mohamad Mimeh aus Syrien.
"Habibi", begrüßt die 63-Jährige den Ladenbesitzer. "Hallo, Birgit", sagt Mohamad. "Wie geht's?"
Es geht gut. Denn Birgit Kiel ist im Namen des Zusammenhalts unterwegs. Wieder einmal, wie so oft. Die ehrenamtliche Migrationshelferin verteilt Flyer entlang der Einkaufspassage im Zentrum der Kleinstadt. "Wähle Zusammenhalt!", unter diesem Motto steht die Wahlermutigungs-Party, die einen Tag vor der Bundestagswahl, also am 22. Februar, in Burg von verschiedenen Akteuren veranstaltet wird.
"Ich bringe meine Familie mit. Wir sind dabei", versichert Mohamad Mimeh. "Und ich hänge auch einen Flyer im Laden auf." Birgit Kiel lächelt und verabschiedet sich, so herzlich wie bei der Begrüßung mit einer Umarmung. Dann rollt sie weiter. Es gibt noch viel zu tun.
Migration: Burg immer wieder in den Schlagzeilen
Viel zu tun gibt es nicht nur an diesem Tag für Birgit Kiel, sondern in Burg generell. Etwa 24.000 Einwohner zählt die Kleinstadt im Jerichower Land, nordöstlich der Landeshauptstadt Magdeburg. Immer wieder sorgte Burg in der Vergangenheit vor allem wegen eines Themas für Schlagzeilen: Migration.
Im Sommer 2021 sorgte die geplante Bildung einer Klasse ausschließlich aus Kindern mit Migrationshintergrund für Empörung. An der Grundschule Burg-Süd sollte eine Klasse nur mit Kindern mit arabischer Muttersprache eröffnet werden. Ein Vater machte den Fall öffentlich und löste eine Rassismus-Debatte aus. Die umstrittene Klassenbildung wurde zurückgenommen.
Zwei Jahre später, im Juli 2023, wieder bundesweite Aufmerksamkeit: Die Stadt schickte einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Darin forderten die Stadträte dringende Änderungen bei der Flüchtlingspolitik. Es wurde erklärt, wie überfordert die Stadt mit den steigenden Zahlen von Migranten und Asylbewerbern sei. Ein Hilferuf der Kommune, unterzeichnet auch von Bürgermeister Philipp Stark (parteilos).
Wieder eine Klasse nur mit Migranten?
Nun, im Februar 2025, kurz vor der Bundestagswahl, mitten in der Migrations-Debatte, gibt sich Stark bei einem Spaziergang durch die Stadt entspannt. Eine Reaktion auf den Brandbrief habe es bis heute nicht gegeben, erzählt der Bürgermeister, aufgestellt von der SPD. Trotzdem: "Wir haben eine Diskussion angestoßen, die auf sachlicher Ebene wichtig war, um darüber zu sprechen, welche Herausforderungen es für uns als Kommune gibt", sagt Stark.
Die Unterbringung von Flüchtlingen war eine solche Herausforderung. Die Lage habe sich aufgrund einer neuen Unterkunft des Landkreises etwas entspannt, erzählt der Bürgermeister. Angespannt sei die Situation weiterhin, was die Schulen und Kitas anbelangt. Lehrer und Erzieher würden an ihre Grenzen stoßen – vor allem, weil die Kinder mit Migrationshintergrund oft sehr schlecht oder gar nicht Deutsch sprechen würden. "Wir hatten damals beispielsweise an der Grundschule Burg-Süd einen Migrationsanteil von 50 Prozent", erzählt Stark. "Wir haben dann die Schulbezirke geändert, damit sich die Schüler verteilen."
Und dann überrascht Philipp Stark im Gespräch mit einem Plan, den es so ähnlich bereits gab: "2021 war die erste Idee schon einmal, eine Ankunftsklasse einzuführen in der Grundschule Burg-Süd. Das wurde wieder rückgängig gemacht, weil man das aus Eltern-Sicht nicht gut fand." Bundesweite Schlagzeilen, Rassismus-Vorwürfe, doch: "Jetzt sind wir in der Diskussion auf Landesebene und mit dem Bildungsministerium, dass es solche Eingangsklassen gibt", sagt Stark. "Nicht, um jemanden auszuschließen, sondern, damit sich die Kinder schneller integrieren können. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Baustein."
Der Nazi und der Migrant in einem Boot
Eine sachliche Diskussion wünscht sich Philipp Stark, auch und vor allem bezüglich der Migration. "Wir müssen schauen, wie man Lösungen herbeiführt", sagt der Bürgermeister. Ehrenamtliche, die Migranten die deutsche Sprache vermitteln, wären ein möglicher Teil der Lösung, sagt er.
Doch auch Stark nimmt wahr, dass die Meinungen in Burg gespalten sind. "Es gibt Menschen, die subjektive Angst wahrnehmen, gerade Frauen", sagt er. "Das müssen wir entkräften. Es gibt aber auch viele Menschen, die Migranten dabei unterstützen, sich ein Leben aufzubauen und die Gesellschaft zu unterstützen."
Birgit Kiel ist eine von ihnen. Seit 2015 integriert sich die 63-Jährige bereits ehrenamtlich in der Integration von Migrantinnen und Migranten. Einen von zahlreichen Mitstreitern hat sie in Gordon Bothur gefunden. Der Streetworker weiß um die Welten, die in der Kleinstadt aufeinanderprallen: zum einen die Migration, zum anderen weit verbreitete rechte bis rechtsextreme Positionen. Die AfD gewann die Kommunalwahl im vergangenen Jahr mit 34,2 Prozent der Stimmen. Die CDU wurde mit 30,1 Prozent zweitstärkste Kraft.
Der 27-jährige Gordon Bothur sagt: "Wenn bei meinen Angeboten, zum Beispiel dem Paddeln, alle in einem Boot sitzen, sowohl der Nazi, als auch der Mensch mit Migrationshintergrund, und sie beide in dieselbe Richtung paddeln müssen, dann merken sie, dass es da nicht so große Unterschiede gibt. Vielleicht Sprachbarrieren, aber die können durch Kurse überwunden werden. Da sollten wir ansetzen, damit die Jugendlichen merken, dass wir alle gleich sind."
"Gegen Spaltung und das Schüren von Hass"
Streetworker Bothur unterstützt Birgit Kiel auch bei der Organisation der Wahlermutigungs-Party am 22. Februar in Burg. Angebote wie dieses, wo die Menschen zusammenkommen, seien wichtig, sagt er. Es dürfe bei allen aktuell aufgeheizten Debatten nicht vergessen werden, was Burg in den vergangenen Jahren bereits erreicht hat in puncto Integration.
"Migration ist auch bei uns fast jeden Tag ein Gesprächsthema", sagt Bothur. Was er sich von der neuen Bundesregierung wünschen würde? "Gegen Spaltung und das Schüren von Hass sollte angegangen werden. Die Leute, die mit Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten, sollten entlastet, das Personal aufgestockt werden. Angebote und Projekte müssen gefördert werden, die den Ansatz verfolgen, dass man sieht, dass wir alle gemeinsam schöne Erlebnisse schaffen können."
"Große Konfliktsituation" in Burg
Auch das Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt (Lamsa) beobachtet die Situation in Burg seit mehreren Jahren. 2021 erst die Pläne für die umstrittene Klassenbildung, 2023 dann der Brandbrief: "Wir haben den Betroffenen stets zur Seite gestanden", sagt Mika Kaiyama, stellvertretende Lamsa-Geschäftsführerin.
Nach der geplanten Bildung einer Klasse ausschließlich mit Kindern mit Migrationshintergrund sei es mehrfach zu rassistischen Vorfällen in Burg gekommen, berichtet Kaiyama: "Das war eine große Konfliktsituation."
Umso erstaunlicher sei es gewesen, dass diese Übergriffe in dem Brandbrief zwei Jahre später keine Rolle gespielt hätten. "Wir haben diesen Brief mit Verständnis wahrgenommen, vor allem aufgrund des Mangels an Lehrkräften und den Nöten der Kommune", sagt die Lamsa-Vertreterin, aber: "Dass die schwere Zeit und Situation der migrantischen Community mit rassistischen Übergriffen darin überhaupt nicht mehr thematisiert wurde, fanden auch die Betroffenen vor Ort ganz schwierig."
"Trauen sich nicht mehr auf die Straße"
Die Situation von Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt habe sich in den vergangenen Wochen generell verschärft, erzählt Mika Kaiyama. Zum einen aufgrund des Anschlags von Magdeburg: "Nach der Amokfahrt gab es eine eklatante Steigerung der rassistischen Übergriffe." Die Beratungsstelle des Lamsa registriere sonst 50 bis 60 Fälle pro Jahr – und zwar landesweit. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt seien es innerhalb eines Monats allerdings 30 allein in Magdeburg gewesen, so die stellvertretende Geschäftsführerin.
"Durch das gesellschaftliche Klima manifestiert sich diese Tendenz", sagt Kaiyama. "Die migrantischen Communities sind sehr verunsichert. Sie haben große Ängste und Sorgen. Manche trauen sich abends nicht mehr auf die Straße, teilweise sogar auch am Tag nicht mehr zum Einkaufen."
Eine Rolle spiele laut Kaiyama dabei auch der Bundestagswahlkampf, denn: "Diskriminierung und Rassismus sind keine Randerscheinungen mehr in der Gesellschaft. Das ist inzwischen weit verbreitet und normalisiert, vor allem durch die aggressive Sprache und Rhetorik in der politischen Auseinandersetzung. Das hat eine ganz schlimme Auswirkung auf den Zusammenhalt der Menschen."
Lamsa sammelt Spenden für Taschenalarm
Die Forderungen nach restriktiver Migrationspolitik sei in der Mitte der Gesellschaft angelangt, so Kaiyama. "Das verletzt zum Teil aber Menschen und auch Menschenwürde", sagt sie. "Hier steht Grundsätzliches in Frage: Würde und Freiheit. Solche demokratischen Grundwerte werden Opfer des Wahlkampfs. Das ist gefälligst zu unterlassen. Da müsste ein klares Zeichen dagegengesetzt werden. Und das fordern wir auch von der Politik, auf Landes- und Bundesebene."
Um die Migrantinnen und Migranten in der "sehr angespannten Situation", wie Kaiyama sagt, zu unterstützen, habe das Lamsa unter anderem "Safe Spaces" eingerichtet. Also Orte, an denen Betroffene vertrauliche Gespräche mit Beraterinnen und Beratern führen können. Außerdem sammelt das Lamsa derzeit Spenden, um von rassistischen Übergriffen betroffene Menschen mit Taschenalarmen auszustatten. "Damit sie sich wieder sicherer fühlen", sagt Mika Kaiyama.
"Oft wird bloß pauschalisiert"
Birgit Kiel lebt seit 57 Jahren in Burg. Unsicher habe sie sich auf den Straßen noch nie gefühlt, sagt die Integrationshelferin. Sie weiß, dass es vielen Migrantinnen und Migranten gerade anders geht, dass sie angefeindet werden, vor allem nach dem Anschlag in Magdeburg. Sie weiß aber auch, dass es vielen Deutschen anders geht, dass auch sie sich zum Teil unsicher fühlen.
"Ich glaube, viele haben überhaupt keine Kontakte zu Migranten, das muss sich ändern", sagt Kiel. Nur durch Begegnung könne Verständnis geschaffen werden. "Oft wird bloß pauschalisiert. Dabei sollten die Menschen offener sein und zusammen ins Gespräch kommen. Wir haben hier in Burg viele Dönerläden oder Barbiere. Manche beschweren sich darüber. Aber selber einen Laden aufmachen oder sich engagieren wollen auch die Wenigsten. Es wird oft bloß gemeckert. Daran müssen wir als Gesellschaft arbeiten."
Es gibt ja Positivbeispiele. Auch die Geschichte von Mohamad Mimeh zählt dazu. Seit 2016 lebt der Syrer in Deutschland. Er hat seine Frau hier geheiratet, die zwei gemeinsamen Kinder sind hier geboren. Seit fünf Jahren betreibt er bereits sein Lebensmittelgeschäft in der Innenstadt von Burg. Viele deutsche Kunden würden nicht mehr kommen, sagt er und mutmaßt: "Vielleicht haben sie Angst nach dem, was alles so passiert ist." Er meint die jüngsten Anschläge.
Strikte Migrationspolitik gefordert
Tatsächlich sprechen sich auf der Schartauer Straße in Burg an diesem Nachmittag im Februar viele Menschen für eine strikte Migrationspolitik aus. "Man sollte die Gesetze verschärfen, sich aber auch mehr um die Migranten kümmern, die hier sind", sagt ein Mann. Ein anderer erklärt: "Die Leute müssen besser zusammengeführt werden." Und ein weiterer: "Man muss genauer hinschauen, wer nach Deutschland kommt."
Udo Vogt weiß, wie sehr die Meinungen bezüglich der Migration auseinander gehen. Er sitzt als parteiloser Kommunalpolitiker im Stadtrat von Burg, betreibt auf der Schartauer Straße einen Blumenladen. Birgit Kiel hält an diesem Tag auch vor seinem Geschäft an, um Flyer zu verteilen. Vogt nimmt dankend an.
"Das ist natürlich Diskussions-Thema. Dadurch gibt es auch große Unruhe in der Bevölkerung", sagt Vogt. "Wir sehen es ja gerade hier in der Innenstadt. Hier gibt es viele Leute mit Migrationshintergrund, die Geschäfte betreiben, mit denen wir auch ein gutes Miteinander und Zusammenleben haben. Es gibt aber auch Leute, wo wir noch gucken müssen, wie wir sie integrieren, wo ich auch Probleme sehe."
Birgit Kiel rollt wieder weiter. Denn es wurde zwar schon viel geschafft, doch es gibt noch immer viel zu tun – im Namen des Zusammenhaltes.
Die MDR-Wahlarena vor der Bundestagswahl
Nur noch wenige Tage bis zur Bundestagswahl am 23. Februar. In der MDR-Wahlarena von FAKT IST! möchte der MDR am 12. Februar Orientierung liefern. Welche Themen bewegen die Deutschen am meisten? Und wie lauten die Antworten der Politikerinnen und Politiker? Dazu stellen sich den Fragen:
Tino Chrupalla, AfD
Torsten Herbst, FDP
Steffi Lemke, Grüne
Michael Lüders, BSW
Sepp Müller, CDU
Carsten Schneider, SPD
Bodo Ramelow, Die Linke
Im Live-Chat auf MDR.de können auch Sie Ihre Frage an unsere Gäste stellen. Sehen können Sie die Wahlarena am 12. Februar ab 20.15 Uhr im MDR-Fernsehen.
MDR (Daniel George)
Dieses Thema im Programm: FAKT IST! – Wahlarena | 12. Februar 2025 | 20:15 Uhr
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