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Fachkräftemangel Warum ausländische Arbeitskräfte für Sachsen-Anhalts Wirtschaft unverzichtbar sind
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12. Februar 2025, 05:00 Uhr
Viele Betriebe sind auf ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. Eine Datenanalyse zeigt, in welchen Berufen besonders viele Ausländer arbeiten und warum der Fachkräftemangel in Sachsen-Anhalt ohne Zuwanderung noch viel größer wäre.
- In Sachsen-Anhalt gibt es immer weniger deutsche Beschäftigte. Ausländische Arbeitskräfte gleichen diesen Rückgang jedoch aus.
- Die Fachkräftelücke ist auf einem Allzeithoch. Ohne ausländische Arbeitskräfte wäre sie noch größer.
- Besonders hoch ist der Ausländeranteil in Sachsen-Anhalt in der Gastronomie, in der Logistikbranche und in der Lebensmittelherstellung.
- Rund drei Viertel der deutschen Unternehmerinnen und Unternehmer sehen ein mögliches Erstarken der AfD als Risiko für die Fachkräftesicherung.
Anwältin, Tierarzt, Profisportler, Pilotin: alles klassische Traumberufe. Fleischereifachverkäufer? Eher nicht. Die Arbeit ist anstrengend, man steht lange hinter der Kühltheke und muss im Kühlhaus Kisten stapeln; die Fleischerei öffnet früh und schließt spät. "Das mögen die jungen Leute gar nicht", sagt Ralf Gerlach. Hinzu kommt: Fleischprodukte haben in der Generation der Berufsanfänger kein gutes Image. Deshalb interessiere sich kaum jemand für die dreijährige Ausbildung.
Gerlach betreibt nördlich von Magdeburg eine Fleischerei mit zehn Filialen und beschäftigt mehr als 40 Verkäuferinnen und Verkäufer. In Rogätz, Haldensleben und anderen Gemeinden verkaufen sie Aufschnitt, Würste und Hackepeter im Glas. Jedes Jahr gehen vier bis fünf Mitarbeiter in den Ruhestand, zehn Prozent der Belegschaft. "Das reißt ein Riesenloch", sagt Gerlach. Mit deutschen Angestellten sei dieses Loch nicht zu stopfen: "Das ist Fakt". Deshalb sucht der Unternehmer nun in osteuropäischen Ländern nach qualifizierten Arbeitskräften. "Letztlich bleibt uns nur dieser Weg."
Ausländische Arbeitskräfte sorgten 2023 für Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland
In vielen anderen Branchen ist die Lage ähnlich. Etwa jeder achte Beschäftigte in Sachsen-Anhalt ist älter als 60, mehr als in jedem anderen Bundesland. Eine massive Welle von Renteneintritten steht bevor. Insgesamt sind in Sachsen-Anhalt rund 800.000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, also in einem abhängigen Arbeitsverhältnis, in dem sie beispielsweise Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge abführen. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren nur dank Zuwanderung stabil geblieben: Während die Zahl deutscher Beschäftigter zwischen 2019 und 2024 um 29.000 gesunken ist, haben ausländische Arbeitskräfte diesen Rückgang fast vollständig ausgeglichen (Anstieg von 32.700 auf 60.600).
Laut einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) erwirtschafteten Ausländerinnen und Ausländer 2023 in den ostdeutschen Bundesländern (Berlin ausgenommen) 24,6 Milliarden Euro und sorgten so dafür, dass die Wirtschaft nicht schrumpfte, sondern wuchs.
12.600 ausländische Arbeitskräfte in Engpassberufen
Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung in den sogenannten Engpassberufen. Jedes Jahr erstellt die Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Liste mit Berufszweigen, in denen die Personaldecke besonders dünn ist. Die jüngste Liste für Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2023 enthält 19 solcher Engpassberufe.
Vor fünf Jahren arbeiteten in diesen Berufen in Sachsen-Anhalt rund 7.000 ausländische Arbeitskräfte, ein Anteil von 4,3 Prozent. Die Zahlen beziehen sich ausschließlich auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Beamte und Selbständige sind nicht enthalten.
Im März 2024 waren in den 19 Engpassberufen bereits mehr als 12.600 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt. Am höchsten war der Ausländeranteil in der Lebensmittel- und Genussmittelherstellung (42 Prozent) und in der Gastronomie (29 Prozent).
Insgesamt sind in den Engpassberufen in Sachsen-Anhalt innerhalb von fünf Jahren also 5.600 ausländische Beschäftigte hinzugekommen – ein Anstieg um 80 Prozent. Die Zahl der deutschen Arbeitskräfte ist im gleichen Zeitraum hingegen um rund 15.000 gesunken.
Für knapp jede zweite offene Stelle gibt es keine passend qualifizierte Fachkraft
"Die ausländischen Arbeitskräfte haben dafür gesorgt, dass Sachsen-Anhalts Wirtschaft am Laufen bleibt", sagt Sarah Pierenkemper, Expertin für Fachkräftemangel am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Zwar gebe es auf Sachsen-Anhalts Arbeitsmarkt genug Hilfskräfte, also Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Nach Berechnungen ihres Instituts fehlen jedoch fast 17.000 Fachkräfte. Für knapp jede zweite offene Stelle gibt es demnach keine passend qualifizierten Bewerber. "Die Fachkräftelücke in Sachsen-Anhalt ist auf einem Allzeithoch", sagt Pierenkemper. "Ohne die ausländischen Arbeitskräfte wäre sie noch viel größer."
Die ausländischen Arbeitskräfte haben dafür gesorgt, dass Sachsen-Anhalts Wirtschaft am Laufen bleibt
Besonders hoch ist der Ausländeranteil in Sachsen-Anhalt beispielsweise in der Gastronomie, in der Logistikbranche und in der Lebensmittelherstellung. Ganz konkret bedeutet das: Ohne zugewanderte Arbeitskräfte müssten Restaurants möglicherweise ihre Öffnungszeiten einschränken, der Warenverkehr käme ins Stocken, Betriebe wie die Fleischerei Gerlach könnten offene Stellen nicht besetzen und womöglich keine neuen Filialen eröffnen. Viele Unternehmen müssten laut Pierenkemper ihre Produktion drosseln oder sogar schließen – worunter letztendlich Sachsen-Anhalts gesamte Wirtschaft leiden würde.
Nicht alle ausländischen Arbeitskräfte bringen jedoch eine Ausbildung mit, die sie für den deutschen Arbeitsmarkt qualifiziert. Im Juni 2024 lag die Arbeitslosenquote unter Ausländern in Sachsen-Anhalt bei 20,3 Prozent – fast dreimal so hoch wie unter Deutschen. Viele Zuwanderer fliehen vor Krieg und Krisen, leiden unter psychischen Belastungen und sprechen kaum Deutsch.
Ausländische Arbeitskräfte sind jünger als deutsche
Die Statistiken zeigen jedoch auch: Je länger Geflüchtete in Deutschland sind, desto eher finden sie einen Job. Es braucht Zeit, bis sie die Sprache lernen, bis ihre Berufsabschlüsse anerkannt werden oder sie zusätzliche Qualifikationen erwerben. Zwischen 2017 und 2022 ist die Erwerbstätigenquote unter 15- bis 65-jährigen Ausländern in Sachsen-Anhalt von 47 Prozent auf 62 Prozent gestiegen.
Hinzu kommt: Ausländische Arbeitskräfte sind im Schnitt etwa vier Jahre jünger als deutsche Arbeitskräfte, stehen dem Arbeitsmarkt also länger zur Verfügung. "Sie zahlen länger in die Renten- und Sozialversicherungssysteme ein und tragen so zu deren Stabilität bei", sagt Ökonomin Pierenkemper.
Drei Viertel der Unternehmer sehen AfD als Risiko für Fachkräftesicherung
Fremdenfeindliche Tendenzen könnten Pierenkemper zufolge jedoch dazu führen, dass eine Region für Zuwanderer an Attraktivität verliere. In einer repräsentativen Umfrage des Ostbeauftragten Carsten Schneider (SPD) unter 2.000 ostdeutschen Unternehmenslenkern gab rund jeder Achte an, dass die ablehnende Haltung der eigenen Belegschaft eine Barriere bei der Beschäftigung von Ausländern darstelle. Rund drei Viertel der deutschen Unternehmerinnen und Unternehmer sehen außerdem laut einer IW-Umfrage ein mögliches Erstarken der AfD als Risiko für die Fachkräftesicherung.
Denn in vielen Branchen können qualifizierte Arbeitskräfte sich mittlerweile aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Engpässe seien ein internationales Problem, sagt Pierenkemper. Eine gute Willkommens- und Bleibekultur sei daher "ganz entscheidend", um Fachkräfte langfristig zu binden.
Anlaufstellen in Sachsen-Anhalt für Zuwanderer und Unternehmen
Auch Landesarbeitsministerin Petra Grimm-Benne erklärte in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung, Sachsen Anhalt sei "bislang ein Transit- und noch zu wenig ein Bleibeland". Viele gut integrierte Fachkräfte würden Sachsen-Anhalt nach einer ersten Ankunftsphase verlassen, so die SPD-Politikerin. "Wir müssen Sachsen-Anhalt als attraktives Bleibeland entwickeln, das ausländische Fachkräfte willkommen heißt."
Das Landesarbeitsministerium hat einen Überblick mit verschiedenen Beratungsstellen zusammengestellt, an die sich Zugewanderte und Zuwanderungswillige wenden können. Außerdem gibt es eine Checkliste für Unternehmen, die ausländische Arbeitskräfte rekrutieren wollen.
Unternehmer Gerlach will in Polen nach Personal suchen
In der Fleischerei von Ralf Gerlach ist der Ausländeranteil niedrig, derzeit beschäftigt er nur eine Verkäuferin aus Polen. In der Vergangenheit habe er versucht, syrische Geflüchtete zu integrieren. Denen habe jedoch das Gefühl für die Produkte gefehlt: Gläubige Muslime essen kein Schweinefleisch.
In nächster Zeit will Gerlach deshalb versuchen, weiterhin in Polen nach Personal zu suchen. Die vielen Renteneintritte seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müsse er schließlich irgendwie auffangen – und in der polnischen Gesellschaft habe der Beruf des Fleischereifachverkäufers "einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland".
MDR (David Wünschel, Max Schörm)
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