Aufklärung erleben Gleimhaus Halberstadt eröffnet neue Dauerausstellung
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27. Oktober 2024, 11:12 Uhr
Nach zwanzig Jahren präsentiert das Gleimhaus in Halberstadt eine neue Dauerausstellung zu Johann Ludwig Gleim (1719 - 1808), dem Dichter, Mäzen und Sammler des 18. Jahrhunderts. Mit Mitteln von Bund und Land wurde die neue Schau aufgepeppt, um erlebnisorientiert und barrierearm neue Besuchergruppen anzusprechen. Modern und für alle Sinne aufbereitet will man so den Dichter würdigen – und vor allem Ideen und Konzepte der Aufklärung auch für die Gegenwart erfahrbar machen.
- Die neue Dauerausstellung im Gleimhaus Halberstadt zeigt, dass die Ideen der Aufklärung bis heute wirken.
- In der Schau geht es um direktes Erleben für möglichst viele, es gibt viel zum Anfassen oder Hören, aber auch Infos in Leichter Sprache oder Blindenschrift.
- Ein Höhepunkt ist die Aufklärungs-Demonstration mit Immanuel Kant und anderen Denkerinnen und Denkern aus Pappe.
Das Gleimhaus Halberstadt präsentiert seine neue Dauerausstellung. Schon auf der neu gestalteten Homepage des Hauses wird die Neugierde geweckt. Denn mit einem unterhaltsamen Animationsfilm lernt man in drei Minuten unglaublich viel über das Leben und Werk des wenig bekannten, aber durchaus spannenden Dichters Johann Ludwig Gleim und die Aufklärung. Die damit verbundenen Themen sind durchaus aktuell, es geht es um Freundschaft, Netzwerke, Literatursponsoring aber auch um Toleranz und den Mut zum eigenständigen Denken und Handeln. Letztlich um das dialektische Potential von Kunst.
Museumsdirektorin Ute Pott hebt hervor: "Wir haben nochmal stärker deutlich gemacht, dass die Epoche der Aufklärung eine historische ist – aber zugleich eine Bewegung, die bis heute geht." Dazu seien neue Erkenntnisse zu Gleim und seiner Zeit in die Schau eingebracht worden, auch wurde Wert auf einen viel breiteren Zugang gelegt.
Wir haben nochmal stärker deutlich gemacht, dass die Epoche der Aufklärung eine historische ist – aber zugleich eine Bewegung, die bis heute geht.
Ein Dichter zum Anfassen
Nicht nur Literaturinteressierten und Dauergästen will man so nach 20 Jahren etwas Neues bieten, sondern gerne auch neue Besuchergruppen ansprechen. Deshalb gibt es viel Farbe, erklärende Texte – auch in Leichter Sprache und in Blindenschrift. Gleim selbst erblindete in seinem Haus, so dass die deskriptive Führung auch diese Geschichte kommuniziert. Daher gibt es in der neuen Dauerschau viel zum Anfassen oder Hören.
So höre man im Einführungsraum zu Gleim einen Herzschlag, der deutlich machen soll, wie wichtig ihm die Kategorie des Herzens, die Herzensbildung, ist, beschreibt Pott und betont: "Ncht nur die Vernunft, sondern auch das Gefühl war für Gleim von höchstem Wert."
Erstes deutsches Literaturarchiv
Gleim wird in verschiedenen Rollen vorgestellt: Als Freund, als Dichter, oder akribischer Sammler. Tausende Briefe, Bücher und Bilder gelten heute als erstes deutsches Literaturarchiv.
Und zu all dem gibt es Sinnbilder, die man teilweise auch ertasten kann. Pott sagt: "Der Sammler Gleim wird vorgestellt durch ein kleines Geldsäckchen mit Goldtalern – die kann man sogar essen. Das macht deutlich, dass Gleim einer der größten bürgerlichen Förderer von Menschen, vor allen Dingen jungen Dichterinnen und Dichtern, im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts war."
Der Sammler Gleim wird vorgestellt durch ein kleines Geldsäckchen mit Goldtalern – die kann man sogar essen.
So will die Schau möglichst alle Sinne ansprechen und zum Mitmachen und vor allem Mitdenken animieren. Man kann sich mit Bundhose oder Perücke verkleiden, um in die Zeit des 18. Jahrhunderts einzutauchen.
Auf die Demo mit Kant
Man kann sich auch einem Aufklärungs-Demonstrationszug mit Immanuel Kant, Georg Christoph Lichtenberg oder Mary Wollstonecraft anschließen. Versammelt seien Männer und Frauen aus Deutschland, England und Frankreich mit ihren zentralen Aussagen, die für ihr Denken und ihr öffentliches Wirken wichtig gewesen seien, so Museumschefin Pott. Die lebensgroßen Pappfiguren tragen handgemalte Schilder mit Zitaten der Aufklärung, zum Beispiel "Sapere Aude! – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."
Die Pappkameraden kann man auch umstellen oder selbst ein Schild in die Hand nehmen. Aber welches? Vielleicht das mit der Aufschrift "Ich wünsche für die Frauen keine Macht über Männer, aber die Macht über sich selbst" von Mary Wallstonecraft (1759-1797).
Gleimhaus zeigt Licht und Schatten der Aufklärung
Man wolle zur Selbstreflexion motivieren, sagt Pott, auch indem man den positiven Grundideen der Aufklärung, wie Freundschaft, Humanität und Toleranz, die Schattenseiten gegenüberstellt. Pott beschreibt das näher: "Gegenüber ist ein Regal, wo zunächst 'Licht-Begriffe' zu finden sind, so etwas wie 'Frieden', oder 'Menschenrechte'. Aber wenn man dann hinter die Bücher guckt, sieht man auch die Schattenseite."
Zum Beispiel, dass es eines der kriegerischsten Jahrhunderte gewesen sei – in Bezug auf die Menschenrechte. Oder dass die Frauen nicht in gleicher Weise mitgemeint gewesen seien, ebenso werde auf die koloniale Entwicklung im 18. Jahrhundert verwiesen.
Aufklärung selbst reflektieren
Die Dialektik der Aufklärung wird also von den Kuratoren mitgedacht – und gleichsam so inszeniert, dass man selbst tätig werden muss, um sie sich zu erschließen. Pott beschreibt das so: "Dieses Prinzip, dass man natürlich dem eigenen Denken doch immer wieder misstrauen sollte, dass man jeden Gedanken auch bezweifeln nicht nur darf, sondern auch muss, das ist eine Grundidee, die durch die ganze Ausstellung geht."
Und genau das zeichnet die neue Dauerausstellung aus: Sie ermuntert auf informativ-spielerische Weise zum Selberdenken, zum Nachdenken, zum diskursiven Gedankenaustausch. Also das, was gar nicht mehr oft geübt oder praktiziert wird. Ein wertvolles Angebot für alle: Kinder, Erwachsene, Schulklassen. Da kann man nur sagen: Habe Mut, es auszuprobieren!
Quelle: MDR KULTUR (Sandra Meyer)
Redaktionelle Bearbeitung: op
Informationen zur Ausstellung:
Neue Dauerausstellung im Gleimhaus Halberstadt
Gleimhaus. Museum der deutschen Aufklärung
Domplatz 31, 38820 Halberstadt
Öffnungszeiten:
November bis April: Dienstag bis Sonntag und Feiertags: 10 bis 16 Uhr (November - April)
Mai bis Oktober: Dienstag bis Sonntag und Feiertags: 10 bis 17 Uhr
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 26. Oktober 2024 | 07:45 Uhr