Mehrere lebensgroße Pappfiguren stehen in einem Raum. 4 min
Die neue Dauerausstellung im Gleimhaus Halberstadt animiert zur Selbstreflektion und dazu, die Aufklärung nicht als ein geschichtliches Phänomen, sondern als Bewegung bis ins Heute zu begreifen. Mehr dazu können Sie im Audio von Sandra Meyer hören. Bildrechte: Gleimhaus Halberstadt
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Die neue Dauerausstellung im Gleimhaus Halberstadt animiert zur Selbstreflektion und dazu, die Aufklärung nicht als ein geschichtliches Phänomen, sondern als Bewegung bis ins Heute zu begreifen. Mehr von Sandra Meyer.

MDR KULTUR - Das Radio Sa 26.10.2024 13:56Uhr 04:13 min

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Aufklärung erleben Gleimhaus Halberstadt eröffnet neue Dauerausstellung

27. Oktober 2024, 11:12 Uhr

Nach zwanzig Jahren präsentiert das Gleimhaus in Halberstadt eine neue Dauerausstellung zu Johann Ludwig Gleim (1719 - 1808), dem Dichter, Mäzen und Sammler des 18. Jahrhunderts. Mit Mitteln von Bund und Land wurde die neue Schau aufgepeppt, um erlebnisorientiert und barrierearm neue Besuchergruppen anzusprechen. Modern und für alle Sinne aufbereitet will man so den Dichter würdigen – und vor allem Ideen und Konzepte der Aufklärung auch für die Gegenwart erfahrbar machen.

Das Gleimhaus Halberstadt präsentiert seine neue Dauerausstellung. Schon auf der neu gestalteten Homepage des Hauses wird die Neugierde geweckt. Denn mit einem unterhaltsamen Animationsfilm lernt man in drei Minuten unglaublich viel über das Leben und Werk des wenig bekannten, aber durchaus spannenden Dichters Johann Ludwig Gleim und die Aufklärung. Die damit verbundenen Themen sind durchaus aktuell, es geht es um Freundschaft, Netzwerke, Literatursponsoring aber auch um Toleranz und den Mut zum eigenständigen Denken und Handeln. Letztlich um das dialektische Potential von Kunst.

Museumsdirektorin Ute Pott hebt hervor: "Wir haben nochmal stärker deutlich gemacht, dass die Epoche der Aufklärung eine historische ist – aber zugleich eine Bewegung, die bis heute geht." Dazu seien neue Erkenntnisse zu Gleim und seiner Zeit in die Schau eingebracht worden, auch wurde Wert auf einen viel breiteren Zugang gelegt.

Eine Frau steht vor einem alten Schrank und hält eine Schreibfeder in der Hand.
Ute Pott leitet das Gleimhaus Halberstadt. Bildrechte: Gleimhaus Halberstadt

Wir haben nochmal stärker deutlich gemacht, dass die Epoche der Aufklärung eine historische ist – aber zugleich eine Bewegung, die bis heute geht.

Ute Pott, Gleimhaus-Direktorin

Ein Dichter zum Anfassen

Nicht nur Literaturinteressierten und Dauergästen will man so nach 20 Jahren etwas Neues bieten, sondern gerne auch neue Besuchergruppen ansprechen. Deshalb gibt es viel Farbe, erklärende Texte – auch in Leichter Sprache und in Blindenschrift. Gleim selbst erblindete in seinem Haus, so dass die deskriptive Führung auch diese Geschichte kommuniziert. Daher gibt es in der neuen Dauerschau viel zum Anfassen oder Hören.

So höre man im Einführungsraum zu Gleim einen Herzschlag, der deutlich machen soll, wie wichtig ihm die Kategorie des Herzens, die Herzensbildung, ist, beschreibt Pott und betont: "Ncht nur die Vernunft, sondern auch das Gefühl war für Gleim von höchstem Wert."

Ein altes Gemälde mit einem Porträt an der Wand, darunter ein Herz aus Holz.
Gleim war auch die Bildung des Herzens wichtig, nicht nur die des Verstandes. Bildrechte: Gleimhaus Halberstadt

Erstes deutsches Literaturarchiv

Gleim wird in verschiedenen Rollen vorgestellt: Als Freund, als Dichter, oder akribischer Sammler. Tausende Briefe, Bücher und Bilder gelten heute als erstes deutsches Literaturarchiv.

Und zu all dem gibt es Sinnbilder, die man teilweise auch ertasten kann. Pott sagt: "Der Sammler Gleim wird vorgestellt durch ein kleines Geldsäckchen mit Goldtalern – die kann man sogar essen. Das macht deutlich, dass Gleim einer der größten bürgerlichen Förderer von Menschen, vor allen Dingen jungen Dichterinnen und Dichtern, im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts war."

ein Geldbeutel auf einem Kissen, darin sind Münzen
Auch für den Geschmackssinn gibt es etwas in der Gleimhaus-Ausstellung: essbare Goldstücke. Bildrechte: Gleimhaus Halberstadt

Der Sammler Gleim wird vorgestellt durch ein kleines Geldsäckchen mit Goldtalern – die kann man sogar essen.

Ute Pott, Gleimhaus-Direktorin

So will die Schau möglichst alle Sinne ansprechen und zum Mitmachen und vor allem Mitdenken animieren. Man kann sich mit Bundhose oder Perücke verkleiden, um in die Zeit des 18. Jahrhunderts einzutauchen.

Auf die Demo mit Kant

Man kann sich auch einem Aufklärungs-Demonstrationszug mit Immanuel Kant, Georg Christoph Lichtenberg oder Mary Wollstonecraft anschließen. Versammelt seien Männer und Frauen aus Deutschland, England und Frankreich mit ihren zentralen Aussagen, die für ihr Denken und ihr öffentliches Wirken wichtig gewesen seien, so Museumschefin Pott. Die lebensgroßen Pappfiguren tragen handgemalte Schilder mit Zitaten der Aufklärung, zum Beispiel "Sapere Aude! – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."

Eine Frau steht neben einer Pappfigur in alten Kleidern, im Hintergrund ein Schlid mit der Aufschrift: Sapere Aude!, Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen ist also der Leitspruch der Aufklärung, Immanuel Kant.
Ute Pott in Halberstadt neben Immanuel Kant, dem wohl berühmtesten Vertreter der philosophischen Aufklärung. Bildrechte: Gleimhaus Halberstadt

Die Pappkameraden kann man auch umstellen oder selbst ein Schild in die Hand nehmen. Aber welches? Vielleicht das mit der Aufschrift "Ich wünsche für die Frauen keine Macht über Männer, aber die Macht über sich selbst" von Mary Wallstonecraft (1759-1797).

Gleimhaus zeigt Licht und Schatten der Aufklärung

Man wolle zur Selbstreflexion motivieren, sagt Pott, auch indem man den positiven Grundideen der Aufklärung, wie Freundschaft, Humanität und Toleranz, die Schattenseiten gegenüberstellt. Pott beschreibt das näher: "Gegenüber ist ein Regal, wo zunächst 'Licht-Begriffe' zu finden sind, so etwas wie 'Frieden', oder 'Menschenrechte'. Aber wenn man dann hinter die Bücher guckt, sieht man auch die Schattenseite."

Zum Beispiel, dass es eines der kriegerischsten Jahrhunderte gewesen sei – in Bezug auf die Menschenrechte. Oder dass die Frauen nicht in gleicher Weise mitgemeint gewesen seien, ebenso werde auf die koloniale Entwicklung im 18. Jahrhundert verwiesen.

Viele Porträts an einer Wand, davor sitzt ein Mensch aus Holz an einem Tisch.
Blick in die Ausstellung in Halberstadt: Johann Ludwig Gleim, im Freundschaftstempel sitzend. Bildrechte: Gleimhaus Halberstadt

Aufklärung selbst reflektieren

Die Dialektik der Aufklärung wird also von den Kuratoren mitgedacht – und gleichsam so inszeniert, dass man selbst tätig werden muss, um sie sich zu erschließen. Pott beschreibt das so: "Dieses Prinzip, dass man natürlich dem eigenen Denken doch immer wieder misstrauen sollte, dass man jeden Gedanken auch bezweifeln nicht nur darf, sondern auch muss, das ist eine Grundidee, die durch die ganze Ausstellung geht."

Und genau das zeichnet die neue Dauerausstellung aus: Sie ermuntert auf informativ-spielerische Weise zum Selberdenken, zum Nachdenken, zum diskursiven Gedankenaustausch. Also das, was gar nicht mehr oft geübt oder praktiziert wird. Ein wertvolles Angebot für alle: Kinder, Erwachsene, Schulklassen. Da kann man nur sagen: Habe Mut, es auszuprobieren!

Quelle: MDR KULTUR (Sandra Meyer)
Redaktionelle Bearbeitung: op

Informationen zur Ausstellung:

Neue Dauerausstellung im Gleimhaus Halberstadt

Gleimhaus. Museum der deutschen Aufklärung
Domplatz 31, 38820 Halberstadt

Öffnungszeiten:
November bis April: Dienstag bis Sonntag und Feiertags: 10 bis 16 Uhr (November - April)
Mai bis Oktober: Dienstag bis Sonntag und Feiertags: 10 bis 17 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 26. Oktober 2024 | 07:45 Uhr

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