Ein Mann geht in einem Jobberatungszentrum an einem Plakat mit der Aufschrift «Job in Germany» vorbei
Wie bekommen wir Menschen aus der Ukraine in Arbeit? Dazu forscht Andreas Ette vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/Oliver Berg

Interview So könnten noch mehr Geflüchtete aus der Ukraine eine Arbeit finden

18. November 2024, 10:46 Uhr

Andreas Ette arbeitet für das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Dort untersucht er die Situation Geflüchteter aus der Ukraine am deutschen Arbeitsmarkt. Ein Interview über die größten Hürden und Potenziale bei der Integration von Geflüchteten aus der Ukraine in den deutschen Arbeitsmarkt.

Herr Ette, warum ist es wichtig, die Geflüchteten aus der Ukraine in Arbeit zu bekommen?

Andreas Ette: Arbeit ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland. Um seinen Lebensunterhalt selbst verdienen zu können und um ganz einfach auf eigenen Beinen stehen zu können. Wir wissen aus der Forschung, dass es sich positiv auf ganz unterschiedliche weitere Lebensbereiche auswirkt, wenn man eine Arbeit findet – und damit auch den ganzen Integrationsprozess positiv beeinflusst.

Wie hat sich die Erwerbstätigkeit der Schutzsuchenden aus der Ukraine in Deutschland entwickelt?

In unserer Studie haben wir die Situation der Ukrainerinnen und Ukrainer untersucht, die in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn nach Deutschland gekommen sind, also zwischen Februar und Juni 2022. Unter dieser Gruppe von Geflüchteten ist der Anteil bis zum Frühjahr dieses Jahres deutlich auf 30 Prozent angestiegen. Wir wissen durch die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, dass dieser deutschlandweite Trend sich auch für Sachsen-Anhalt zeigt.

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Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Zum einen sind die Unterschiede zwischen Ukrainerinnen und Ukrainern, die wir aufgrund deren ganz verschiedenen Familien-Situationen sehen, ganz wichtig. Die Erwerbstätigenquote bei Müttern mit Kindern unter sechs Jahren liegt mittlerweile bei 22 Prozent. Bei Männern mit Kindern in der gleichen Altersgruppe ist die Quote aber schon deutlich stärker gestiegen auf 46 Prozent.

Grundsätzlich ist diese kontinuierlich steigende Erwerbstätigenquote eine gute Entwicklung. Wir haben in den ersten Monaten des Krieges gesehen, dass die Erwerbsbeteiligung der Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland, zumindest im Vergleich zu manchen anderen Nachbarstaaten in der Europäischen Niveau, sich auf einem etwas niedrigerem Niveau befunden hat. Diese Lücke schließt sich mittlerweile aber zunehmend.

Was sind die Gründe dafür?

In Deutschland war die Formel, die in der Integrationspolitik galt, eine andere: nicht Arbeit zuerst, also das Finden einer Erwerbstätigkeit, sondern dass man erstmal versucht hat, den Menschen zu ermöglichen, die deutsche Sprache zu lernen. Also: Sprache zuerst. Deswegen wurde nach Kriegsbeginn eine große Zahl von Integrations- und Sprachkursen zur Verfügung gestellt.

Und wir sehen jetzt, dass nach Abschluss dieser Kurse der Übergang in die Erwerbstätigkeit auch gelingt. Zwar ein bisschen verzögert im Vergleich zu manch anderen Ländern, die da einen anderen Weg eingeschlagen haben. Aber wir sehen auch, dass der Spracherwerb dafür sorgt, dass man zu einem höheren Teil auch Qualifikationsadäquate Beschäftigung ermöglicht. Das heißt, die Menschen finden nicht irgendeine Beschäftigung, sondern idealerweise eine, die den eigenen Qualifikationen eher entspricht.

Wie nachhaltig ist die Integration der Schutzsuchenden aus der Ukraine am deutschen Arbeitsmarkt?

Dieser Fokus auf dem Spracherwerb und auf qualifizierte Beschäftigung macht den ganzen Prozess auf jeden Fall nachhaltiger. Auf der anderen Seite ist der weitere Verlauf des Krieges natürlich ganz entscheidend. Wir wissen zwar, dass mit zunehmender Dauer des Krieges auch die Zahl derjenigen Geflüchteten steigt, die langfristig in Deutschland leben wollen. Aber gleichzeitig bleibt die Rückkehr für viele immer noch eine ganz wichtige Option.

Was sind die größten Hürden für eine noch bessere Teilhabe am deutschen Arbeitsmarkt?

Auch da ist es ganz wichtig, sich zu vergegenwärtigen, wer da eigentlich nach Deutschland gekommen ist. Und gerade in den ersten Monaten waren das 80 Prozent Frauen, die in den ersten Monaten nach Deutschland gekommen sind, viele von ihnen mit minderjährigen Kindern. Eine nicht ausreichende Kinderbetreuung ist deshalb eine ganz wesentliche Hürde für eine noch bessere Teilhabe am deutschen Arbeitsmarkt.

Ein zweiter Aspekt: Bei den Ukrainerinnen und Ukrainern vergessen wir oft, dass wir es auch mit einer Gruppe von älteren Schutzsuchenden zu tun haben. Im Fokus der medialen Berichterstattung stand eben vor allem auch der Zuzug von jüngeren Frauen mit jüngeren Kindern. Trotzdem: Von allen Geflüchteten aus der Ukraine im erwerbsfähigen Altern gehört ungefähr jede siebente Person zu der Gruppe der 55- bis 65-Jährigen. Und bei denen sehen wir, dass sie deutlich geringere Chancen am deutschen Arbeitsmarkt bisher haben und deshalb deutlich seltener erwerbstätig sind.

Ukrainer in Europa

Für die Integration der geflüchteten Ukrainer ist jedes EU-Land selbst verantwortlich. So dürfen ukrainische Staatsbürger in Ungarn beispielsweise kostenlos öffentliche Verkehrsmittel nutzen und bekommen einen monatlichen Betrag, der laut Europäischer Asylagentur bei mindestens 58 Euro liegt. Insgesamt etwa 61.000 Geflüchtete hat Ungarn demnach seit Kriegsbeginn aufgenommen.

In Frankreich erhalten Einzelpersonen einen Zuschuss von 426 Euro und Asylbewerber haben Anspruch auf eine Unterbringung. Seit Beginn des Krieges sind etwa 66.000 Ukrainer nach Frankreich geflüchtet.

Zum Vergleich: In Deutschland sind laut Statista knapp 1,2 Millionen Geflüchtete eingereist. Damit ist Deutschland der EU-Staat, der die meisten Ukrainer aufgenommen hat. Ungarn und Frankreich liegen eher im Mittelfeld. In Deutschland erhalten die Geflüchteten Bürgergeld. Das bedeutet 563 Euro für eine alleinstehende Person. Dazu kommen Zuschüsse für Heizung und Miete.

Aus welchen Gründen suchen Ukrainerinnen oder Ukrainer nicht aktiv nach einer Arbeit?

Danach haben wir bei unserer Studie explizit gefragt. Aber vorab zur Einordnung: Es sind etwa 29 Prozent, die aktuell nicht nach Arbeit suchen. Das heißt umgekehrt, dass die überwiegende Mehrheit bereits Arbeit gefunden hat oder aktiv danach sucht oder sich noch in Schule oder Studium befindet. Von diesen 29 Prozent sagen 92 Prozent, dass sie sich aktuell noch in einem Sprachkurs befinden oder dass sie noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben, um hier zu arbeiten.

Der zweitwichtigste Grund sind auch hier die Betreuungsaufgaben. 37 Prozent sagen, dass sie kleine Kinder betreuen oder andere Angehörige pflegen müssen und dass sich das nicht mit einer Erwerbstätigkeit vereinbaren lässt.

Etwa jede zweite Person aus der Ukraine war in einem Beruf tätig, wo wir in Deutschland Anzeichen sehen, dass es Personalengpässe gibt.

Andreas Ette, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Welche Potenziale gibt es aus Ihrer Sicht noch?

Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben ein durchschnittlich sehr hohes Qualifikationsniveau mit nach Deutschland gebracht. Was für den Arbeitsmarkt in Deutschland aber noch viel wichtiger ist, ist, dass sie vor ihrer Flucht in der Ukraine häufig in Berufen gearbeitet haben, in denen es in Deutschland aktuell einen Mangel an geeigneten Fachkräften gibt.

Also konkret war von allen jemals in der Ukraine erwerbstätigen Personen, die heute in Deutschland leben, etwa jede zweite Person in einem Beruf tätig, wo wir in Deutschland Anzeichen sehen, dass es dort Personalengpässe gibt. Es muss uns also gelingen, die Ukrainerinnen und Ukrainer genau in diese Berufe zu vermitteln. Zum Beispiel für den Gesundheitsbereich oder soziale Berufe besteht da ein enormes Potenzial, wenn das gelingt.

Welche Rolle spielt dabei die oft langwierige Anerkennung von Berufsabschlüssen aus der Ukraine?

Die langen Anerkennungsverfahren, die es für die reglementierten Berufe in Deutschland gibt, sind auf jeden Fall ein Hebel, um die Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt weiter zu erhöhen. Wir wissen beispielsweise, dass, um in Deutschland in der Pflege oder in handwerklichen Berufen arbeiten zu dürfen, erstmal diese ukrainischen Abschlüsse als gleichwertig anerkannt werden müssen. Und die Verfahren sind einfach vergleichsweise kompliziert, die sind zwischen den Bundesländern unterschiedlich, teilweise auch auf Bundesebene angesiedelt. Entsprechend sind dann die Bearbeitungszeiten teilweise lang.

Das heißt: Würde man die Verfahren vereinheitlichen oder würde man auch einfach nur, wenn man weiß, da kommt jetzt eine große Gruppe, die demnächst Zugang zum Arbeitsmarkt haben möchte, Personal aufstocken, dann würde man auf jeden Fall den Prozess der Teilhabe der Ukrainerinnen und Ukrainer am deutschen Arbeitsmarkt vereinfachen.

Wie könnten sich die Zahlen bezüglich der Erwerbstätigkeit der Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland entwickeln?

Prognosen sind immer schwierig. Im Moment ist auch die sich in den vergangenen Monaten verschlechternden Wirtschaftslage ein Faktor, der sich gegebenenfalls nachteilig auswirken könnte. Trotzdem gehen wir im Moment davon aus, dass dieser sehr kontinuierliche Anstieg der Erwerbstätigenquoten, wie wir ihn in den ersten zwei Jahren des Krieges beobachtet haben, sich fortsetzt.

Wir wissen, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer in diesem Jahr noch Sprachkurse besucht haben. Und wir wissen eben aus den vergangenen Jahren, dass immer mit Abschluss dieser Kurse auch der Übergang in den Arbeitsmarkt geglückt ist. Das heißt, aktuell gehen wir auf jeden Fall noch davon aus, dass es zu einem weiteren deutlichen Anstieg der Erwerbstätigenquote kommt.

Das Gespräch führte Daniel George.

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MDR (Daniel George) | Erstmals veröffentlicht am 17.11.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 17. November 2024 | 19:00 Uhr

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