Leistungen für Flüchtlinge Bürgergeld trotz Vermögen in Ukraine: Was Behörden prüfen können und was nicht
Hauptinhalt
22. Oktober 2024, 10:30 Uhr
Bezieht ein Teil der ukrainischen Flüchtlinge im Land Bürgergeld trotz eigenen Vermögens in der Heimat? Für die AfD steht das fest. Und tatsächlich können hiesige Behörden Konten in der Ukraine nicht einsehen. Warum ein massenhafter Missbrauch dennoch unrealistisch ist.
- Für die AfD besteht beim Bürgergeld-Antrag eine Ungleichbehandlung zwischen Deutschen und Ukrainern.
- Richtig ist, dass Behörden ausländische Vermögenswerte schlecht überprüfen können. Das gilt jedoch auch für Deutsche.
- Der Besitz von Geld oder Immobilien in der Ukraine bedeutet allerdings noch nicht, dass Geflohene zu Unrecht Sozialleistungen beziehen. Entscheidend ist die tatsächliche Verwertbarkeit des Vermögens.
Aus Sicht der AfD-Fraktion im Landtag kassiert ein Teil der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Sachsen-Anhalt zu Unrecht Sozialleistungen. Hiesige Behörden könnten nämlich nicht ausreichend überprüfen, ob die Menschen verwertbares Vermögen oder Immobilien in der Ukraine besäßen oder nicht, so die Argumentation. Hierin bestehe auch eine Ungleichbehandlung gegenüber Deutschen, die Bürgergeld oder Sozialhilfe beantragen.
"Bei einem deutschen Antragsteller geht es sofort in die Kontoüberprüfung, da wird auch geschaut, was für ein Auto fährt der. Das ist bei Ukrainern nicht möglich", kritisierte AfD-Fraktionschef Ulrich Siegmund zuletzt im Sozialausschuss. Die AfD will die Prüfmechanismen daher verschärfen.
"Es gelten dieselben Maßstäbe wie für Deutsche"
Nachdem das Thema bereits im August im Landtag debattiert wurde, hatte der Sozialausschuss Ende September Vertreter aus den Kreisen geladen, um sich über die Praxis in den örtlichen Jobcentern und Sozialämtern zu informieren. Diese bearbeiten die Anträge auf Bürgergeld bzw. Sozialhilfe – dafür werden auch etwaige Einkünfte und Vermögenswerte durchleuchtet.
"Für Ukrainer gelten da genau dieselben Maßstäbe wie für Deutsche", stellte der stellvertretende Geschäftsführer des Landkreistags, Michael Struckmeier, klar. Die Kriegsflüchtlinge müssten Auskünfte über ihr Einkommen und Vermögenswerte erteilen und diese zum Beispiel durch Kontoauszüge belegen.
Sachsen-Anhalts Sozialministerium verweist in diesem Zusammenhang auf eine Weisung der Bundesagentur für Arbeit. Demnach sei Vermögen und Einkommen von Ukrainern grundsätzlich zu verwerten, sofern diese von Deutschland aus überhaupt darauf zugreifen könnten. Nur wenn ein Zugriff nachweislich nicht möglich sei, werde davon abgesehen. Zudem gelten Beträge bis 15.000 Euro – wie bei Deutschen auch – als Schonvermögen und werden nicht angerechnet.
Ukrainische Konten nicht einzusehen
Richtig sei aber, so Struckmeier vom Landkreistag, dass Behörden nicht die Möglichkeit hätten, ukrainische Konten einzusehen, um vorgelegte Belege wie Kontoauszüge zusätzlich noch einmal zu überprüfen. Eine gewisse Ungleichbehandlung sei somit nicht auszuschließen, betreffe aber ausländische Vermögen im Allgemeinen.
Wie Sachsen-Anhalts Sozialministerium auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT ergänzt, sei die Prüfung ausländischer Konten generell schwierig. "Dies gilt für das ukrainische Konto des ukrainischen Geflüchteten oder das Schweizer Privatkonto des deutschen Antragstellers gleichermaßen", beschreibt Ministeriumssprecher Martin Bollmann auf Anfrage. Dafür fehlten auf Bundesebene internationale Vereinbarungen für "grenzüberschreitende Kontenabrufverfahren".
Für deutsche wie ukrainische Leistungsberechtigte gelte aber gleichermaßen: "Ergeben sich Zweifel an der Richtigkeit der Angaben zum Vermögen, so werden weitere Ermittlungen von Amts wegen eingeleitet", teilt das Sozialministerium mit.
Bürgergeld-Anspruch: "Verwertbarkeit ukrainischer Vermögen fast immer auszuschließen"
Ein entscheidender Punkt beim Thema fehlt meist in der politischen Debatte: Selbst wenn ein ukrainischer Geflüchteter Bürgergeld bezieht und gleichzeitig über Geld oder Immobilien in der Ukraine verfügt, liegt nicht automatisch ein Leistungsmissbrauch vor. "Entscheidend ist nicht das Vorhandensein von Vermögen, sondern die Frage, ob es auch verwertbar ist, um damit seinen Lebensunterhalt in Deutschland zu bestreiten", erklärt der Ministeriumssprecher Bollmann.
Beispielsweise lasse sich ein Haus in der Ostukraine mit hoher Wahrscheinlichkeit im Moment nicht verkaufen. Und selbst wenn doch, lasse sich die Verkaufssumme dann gar nicht ohne Weiteres in Deutschland abrufen. "Es bestehen weiterhin enge Umtauschgrenzen von ukrainischem Hryvnia in Euro", spricht Bollmann ein im öffentlichen Diskurs eher unbekanntes Problem an. Damit sei eine Verwertbarkeit von ukrainischen Vermögenswerten fast immer auszuschließen.
Ukrainisches Geld: Schwierige Umtauschmodalitäten
In welchem Umfang derzeit ukrainisches Geld in Euro umgetauscht werden kann, dazu ist die Informationslage äußerst dünn. Im Frühjahr 2022 konnten Geflohene einmaligbis zu 10.000 Hryvnia pro Kopf in Euro umtauschen – das entsprach laut Medienberichten damals etwa 300 Euro. Welche Umtausch-Modalitäten aktuell bestehen, ist nicht ganz klar. "Anders als zu Beginn des Krieges ist inzwischen davon auszugehen, dass Zugriffe auf die ukrainischen Konten oft auch aus Deutschland möglich sind", teilt das Sozialministerium auf Anfrage mit.
Grundsätzlich sei festzuhalten: Wolle man ukrainische Vermögen einfacher überprüfen, "wäre eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und ein direkter Datenzugriff erforderlich", so Ministeriumssprecher Bollmann. Mittels Abkommen solche Regelungen zu schaffen, sei jedoch Aufgabe der Bundesregierung und nicht die des Landes.
19.700 Ukrainer in Sachsen-Anhalt erhalten Bürgergeld
Laut Staatssekretärin Susi Möbbeck erhalten derzeit 19.700 Ukrainerinnen und Ukrainer in Sachsen-Anhalt Bürgergeld. Im Land gemeldet sind rund 33.000. Von den Bürgergeldempfängern sind nach Angaben des Sozialministeriums 14.500 im erwerbsfähigen Alter. 6.000 hiervon seien arbeitslos. Rund 3.600 absolvierten derzeit Sprach- und Integrationskurse, 2.000 durchliefen Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und 800 weitere seien erwerbstätige "Aufstocker". Bei dem Rest handle es sich überwiegend um Frauen "in einer Phase der Erziehung oder Pflege von Familienangehörigen".
In Sachsen-Anhalt üben den Angaben zufolge derzeit 5.500 Ukrainerinnen und Ukrainer einen Beruf aus, davon 4.600 in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.
Laut Arbeitsagentur sind derzeit in Sachsen-Anhalt insgesamt rund 127.000 erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger gemeldet – darunter um die 92.000 Deutsche sowie 35.000 Ausländer.
MDR (Daniel Salpius) | Erstmals veröffentlicht am 01.10.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. Oktober 2024 | 09:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/866cab54-9d50-48fc-b25b-f77d9671a930 was not found on this server.