Familie Ukraine Bitterfeld
Familie Martseniuk ist nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine nach Sachsen-Anhalt geflohen. Bildrechte: MDR/Martin Krause

Zuversichtlich in die Zukunft Wie sich eine Familie aus der Ukraine in Sachsen-Anhalt integriert

17. Mai 2024, 17:46 Uhr

Mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer sind mit dem Kriegsausbruch nach Deutschland geflüchtet. Tausende Familien haben in Sachsen-Anhalt Unterschlupf gefunden. Viele leben nun schon mehr als zwei Jahre hier. Die Integration ukrainischer Geflüchteter in den Arbeitsmarkt geht jedoch nur schleppend voran. Trotz vieler offener Stellen hat nur etwa ein Fünftel der Ukrainer im Land inzwischen einen Job.

Wenn Roman Martseniuk nach Hause kommt, wird er von seinen Kindern freudig begrüßt. Der 44-jährige Familienvater trägt eine dunkelblaue Latzhose. Seit zwei Monaten hat der Ukrainer einen Job: "Ich bin sehr froh, ich arbeite in einer Firma, die Dichtungen herstellt, die Kollegen sind nett, alles ist gut", sagt Martseniuk und lacht. Sein Deutsch ist verständlich, auch wenn es hier und da noch etwas holpert. "Mehr als ein Jahr habe ich Deutschkurse besucht", erzählt der kräftige Mann, der aus Chmelnyzkyj stammt, einer Industriestadt etwa 300 Kilometer westlich von Kiew.

Von Roitzsch nach Bitterfeld

Als der Krieg ausbrach, blieb nicht viel Zeit. In zwei Taschen hatten Roman Martseniuk und seine Frau Viktoriia ihr Hab und Gut verstaut, als sie mit ihren fünf Kindern ihren Heimatort in der Ukraine verließen. Durch private Kontakte sind sie zunächst in Roitzsch untergekommen, einem Ortsteil von Sandersdorf-Brehna. Sie hofften, in zwei Wochen sei alles vorbei und sie könnten wieder nach Hause. Daraus wurde nichts.

Inzwischen wohnt die siebenköpfige Familie in Bitterfeld. Deutsch zu lernen, fiel vor allem den Eltern schwer. "Es hat eine ganze Weile gedauert, bis es endlich losging mit der Schulung und es ist kompliziert", findet Roman. Während der Kurse konnte der Ukrainer nicht arbeiten – kostenfreien Unterricht gäbe es nur für Bürgergeldbezieher, sagt der 44-Jährige, der besser Deutsch versteht, als er spricht.

Bürgermeister betreut zwei Flüchtlingsfamilien

Dabei ist die Sprache der Schlüssel, sagt Mario Willer. Der Roitzscher Ortsbürgermeister kümmert sich gleich um mehrere ukrainische Flüchtlingsfamilien. Willer hat gute Kontakte zu Unternehmern. "Viele suchen händeringend Personal", weiß der Bürgermeister, "aber wenn ein Fleischer auch Kunden an der Theke bedienen soll, dann muss er sich halbwegs verständigen können." Daran haperte es lange Zeit, sagt Willer.

Zahlen der Landesarbeitsagentur belegen das. So waren zu Jahresbeginn weniger als 4.000 Ukrainer in Sachsen-Anhalt in Arbeit. Mit Blick auf die Kriegsflüchtlinge entspricht das einer Beschäftigungsquote von etwa 21 Prozent. Statistiken, die im europaweiten Vergleich hinterherhinken. In Dänemark und Tschechien etwa arbeitet jeder zweite Flüchtling aus der Ukraine. In den Niederlanden sind es sogar fast 80 Prozent. Aber – auch das gehört zur Wahrheit – oft handelt es sich dabei um Aushilfsjobs oder Nebentätigkeiten.

Familie Ukraine Bitterfeld
Der Roitzscher Ortsbürgermeister, Mario Willer (rechts), kümmert sich gleich um mehrere ukrainische Flüchtlingsfamilien. Bildrechte: MDR/Martin Krause

Qualifizierung bei Arbeitsagentur

Legt Deutschland mehr Wert auf Qualifizierung? Ja, sagt Mario Willer: "Viele Ukrainer sind pflichtbewusst, sie nehmen von der Arbeitsagentur Kurse an und beenden diese. Dann bekommen sie schon den nächsten Kurs angeboten und absolvieren auch den bis zum Schluss." Ob das immer nötig sei, will der Ortsbürgermeister nicht bewerten. Aber es gäbe auch qualifizierte Jobs, in denen Mitarbeiter mit geringeren Deutschkenntnissen ebenfalls zurechtkämen, so Willer.

Durch sein gutes Netzwerk konnte er auch Roman in ein festes Beschäftigungsverhältnis vermitteln, hat ihn dabei wie schon oft zuvor auch wieder beim Ausfüllen von Formularen, Anträgen und Verträgen unterstützt.

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Kita-Platzmangel als Problem

Neben dieser Bürokratie haben etliche ukrainische Familien hierzulande auch mit anderen Herausforderungen zu kämpfen. Bei der Kinderbetreuung etwa. Kita-Plätze sind mancherorts rar. Viktoriia würde ebenso gern arbeiten. "Einen Vollzeit-Job kann ich leider nicht annehmen", erklärt die 41-Jährige, die in der Ukraine als Näherin gearbeitet hat. Selbst eine passende Nebentätigkeit ist nicht ohne weiteres zu finden.

Vormittags besucht die fünffache Mutter in Dessau einen Deutsch-Aufbaukurs, bevor sie die kleineren Kinder in Bitterfeld-Wolfen aus Hort und Schule abholt. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. "Ich fahre mit dem Bus, ich habe keinen Führerschein", sagt Martseniuk. Das Auto braucht sowieso Roman, damit er zu seiner neuen Arbeit kommt.

Familie Ukraine Bitterfeld
Roman Martseniuk will sich in der Baubranche selbstständig machen. Bildrechte: MDR/Martin Krause

Job, Studium und Selbstständigkeit

Die ukrainische Familie blickt zuversichtlich in die Zukunft. Die zwei ältesten Töchter Maryna und Olesia bereiten sich derzeit in einem Kolleg auf ein Studium in Sachsen-Anhalt vor. Viktoriia hat schon einige Ideen für eine Arbeit in Bitterfeld-Wolfen, die sie aber noch nicht verraten möchte. Und Roman? Auch er hat ehrgeizige Pläne: "Ich mag meinen Job, aber später will ich mich selbstständig machen – in der Baubranche". So wie damals. In der Ukraine.

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MDR (Martin Krause, Moritz Arand)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. Mai 2024 | 17:00 Uhr

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