Integration in den Arbeitsmarkt Jobsuche für Ukraine-Geflüchtete in Sachsen-Anhalt: Das sind die Herausforderungen
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18. November 2024, 10:43 Uhr
Rund 32.500 Menschen aus der Ukraine leben derzeit in Sachsen-Anhalt. Die meisten von ihnen: alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern. Sie sind vor dem russischen Krieg in ihrem Land geflüchtet. Vielen fällt es schwer, Arbeit zu finden. Im Jerichower Land gelingt die Integration in den Arbeitsmarkt in einigen Fällen vorbildlich – zugleich wird aber auch dort deutlich, woran es hakt.
- Valentina Mashchenko aus der Ukraine arbeitet in der Helios-Klinik in Burg als Pflegehelferin. Die alleinerziehende Mutter ist vor dem Krieg geflüchtet.
- Die 33-Jährige ist froh, einen Job gefunden zu haben. Doch eigentlich wäre sie für mehr qualifiziert.
- Bürokratische Hürden hemmen auch andere Jobsuchende aus der Ukraine. Welche Herausforderungen es außerdem gibt.
Valentina Mashchenko lächelt, als sie das Zimmer betritt. Mit einem freundlichen "Hallo" begrüßt sie die Patienten, misst den Blutdruck, trägt eine Salbe auf, gießt ihnen schließlich noch etwas Wasser ein, ehe sie geht. "Mir gefällt es sehr gut hier", sagt die 33-Jährige. "Der Umgang mit den Patienten macht mir Spaß und meine Kolleginnen sind auch sehr nett und unterstützen mich."
Seit zweieinhalb Jahren lebt Mashchenko nun bereits in Deutschland. Damals flüchtete die Mutter mit ihrem Kind, inzwischen vier Jahre alt, aufgrund des russischen Angriffskrieges aus der Ukraine. In ihrer Heimat arbeitete sie als Pflegefachkraft in der zentralen Notaufnahme. In der Helios-Klinik Jerichower Land in Burg darf sie "nur" als Pflegehelferin arbeiten. Denn noch fehlt ihr die Anerkennung ihrer in der Ukraine erlangten Abschlüsse. Das bedeutet: Die Ukrainerin darf bestimmte Aufgaben nicht übernehmen, verdient weniger Geld.
Aber immerhin: Sie hat einen Job. Etwa 32.500 Menschen aus der Ukraine leben derzeit in Sachsen-Anhalt – die meisten von ihnen: alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern. Viele von ihnen haben es schwer, Arbeit zu finden. Denn vor allem die bürokratischen Hürden sind hoch.
Die Sprache als größte Herausforderung
Valentina Mashchenko wurde der Helios-Klinik in Burg durch das Jobcenter Jerichower Land vermittelt. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der folgenden Flucht vieler Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland engagiert sich das Jobcenter dafür, die Geflüchteten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Alle sechs Wochen gibt es Beratungsgespräche mit den Jobsuchenden, erzählt Markus Weidel, Geschäftsführer des Jobcenters Jerichower Land. Auch regelmäßige Informationsveranstaltungen bei der ukrainischen Gemeinschaft in Burg erfreuten sich großer Beliebtheit, erzählt er.
Ukrainer in Europa
Für die Integration der geflüchteten Ukrainer ist jedes EU-Land selbst verantwortlich. So dürfen ukrainische Staatsbürger in Ungarn beispielsweise kostenlos öffentliche Verkehrsmittel nutzen und bekommen einen monatlichen Betrag, der laut Europäischer Asylagentur bei mindestens 58 Euro liegt. Insgesamt etwa 61.000 Geflüchtete hat Ungarn demnach seit Kriegsbeginn aufgenommen.
In Frankreich erhalten Einzelpersonen einen Zuschuss von 426 Euro und Asylbewerber haben Anspruch auf eine Unterbringung. Seit Beginn des Krieges sind etwa 66.000 Ukrainer nach Frankreich geflüchtet.
Zum Vergleich: In Deutschland sind laut Statista knapp 1,2 Millionen Geflüchtete eingereist. Damit ist Deutschland der EU-Staat, der die meisten Ukrainer aufgenommen hat. Ungarn und Frankreich liegen eher im Mittelfeld. In Deutschland erhalten die Geflüchteten Bürgergeld. Das bedeutet 563 Euro für eine alleinstehende Person. Dazu kommen Zuschüsse für Heizung und Miete.
Sein Eindruck: Die überwiegende Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer im Jerichower Land will arbeiten. "Unsere Aufgabe ist es, ihnen dabei zu helfen", sagt Weidel. "Wir erklären ihnen, welche Wege es gibt, schnell Arbeit aufzunehmen. Wir gehen aber auch zu Arbeitgebern, um sie davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, auch Ukrainerinnen und Ukrainer einzustellen – auch, wenn die Sprache vielleicht noch nicht perfekt ist. Da leisten wir Überzeugungsarbeit."
Stichwort Sprache: "Das ist die größte Herausforderung", sagt Markus Weidel. "Am Anfang steht immer ein Integrationskurs, der sechs Monate dauert. Nur ein Drittel schafft es aber, das erforderliche Sprachniveau zu erreichen, was am Ende dieses Kurses da sein sollte. Die deutsche Sprache ist eine komplexe Sprache. Das heißt, wir müssen deutlich mehr Zeit in die Sprachausbildung investieren, denn erst dann ist es für die Arbeitgeber in der Regel möglich, die Jobsuchenden zu beschäftigen."
Ein Beispiel für gelungene Integration in den Arbeitsmarkt
Wohlwissend, dass die Sprachbarriere groß ist, stellte das Jobcenter Jerichower Land eine Sprachmittlerin ein. Kristina Ashraf flüchtete am 3. März 2022 nach Deutschland. In der Ukraine arbeitete die 35-Jährige als Englischlehrerin. "Davor war ich unter anderem in der Gästebetreuung in einem Hotel in Ägypten tätig, wo viele deutsche Gäste waren", erzählt sie. "Die wollten meistens nur Deutsch sprechen, also habe ich das auch gelernt."
Im Jobcenter in Burg berät sie nun Ukrainerinnen und Ukrainer über die Möglichkeiten, einen Job in Deutschland zu finden. Außerdem engagiert sich Kristina Ashraf als Vorsitzende der ukrainischen Gemeinschaft in Burg. "Es ist für die Menschen einfacher, sich mit mir auszutauschen, weil ich die gleiche Sprache spreche", sagt die Ukrainerin. "Die deutsche Grammatik ist ohnehin schon kompliziert. Für Ukrainer, die vorher schon Englisch konnten, ist es etwas leichter, aber alle anderen tun sich schwer." Allein das Alphabet ist schließlich ein anderes. Und: "Behördendeutsch ist dann sowieso noch einmal richtig schwer", sagt Kristina Ashraf. "Da haben alle ihre Probleme mit."
Doch die 35-Jährige erleichtert ihren Landsleuten die Integration in den Arbeitsmarkt. "Sie ist eine sehr engagierte Mitarbeiterin und hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer schnell wussten, was für Erwartungen an sie gestellt werden, damit sie Arbeit finden können", erklärt Geschäftsführer Markus Weidel. "Außerdem ist Frau Ashraf selbst ein gutes Beispiel für gelungene Integration." Mittlerweile ist sie schließlich nicht mehr nur als Sprachmittlerin für Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern Mitarbeiterin des Jobcenters für alle Kundinnen und Kunden zuständig.
Anerkennung der Berufsabschlüsse als Problem
Während Kristina Ashraf an diesem Dienstag Ende Oktober im Erdgeschoss am Schalter arbeitet, sitzen im ersten Stock Milena Veresniuk und Yuliia Berezovska zur Beratung. Sie suchen noch Arbeit, die eine als Tanzlehrerin oder Fitnesstrainerin, die andere als Hebamme. Beide werden durch das Jobcenter eng betreut. Beide absolvieren aktuell weiterführende Sprachkurse.
"Ich hatte letztes Jahr einen Vorschlag bekommen, in einem Fitnessstudio zu arbeiten und habe mich auch beworben", erzählt Veresniuk. "Aber das hat dann mit den Arbeitszeiten am Abend mit der Kinderbetreuung nicht gepasst. Ich bin alleinerziehend und mein Kind ist erst drei Jahre alt."
Bei Berezovska liegt der noch fehlende Job eher an der Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse: "Ich bin seit zwei Jahren hier und so lange warte ich auch schon darauf, dass alles anerkannt wird", sagt sie. "Ich möchte gerne weiter in meinem Beruf als Hebamme arbeiten, aber es dauert mit den Dokumenten alles sehr lange."
Trotz aller Hemmnisse: Von den etwa 14.500 erwerbsfähigen ukrainischen Menschen im Land haben laut Sozialministerium etwa 5.500 eine Arbeit gefunden. Weitere 800 arbeiten zwar, müssen aber aufstocken. 5.600 Ukrainerinnen und Ukrainer machen derzeit Sprach-, Integrations- und andere Bildungskurse.
Schlimme Nachrichten aus der Heimat
Auf Sergii Omelchuk trifft beides zu: Er hat einen Job gefunden und absolviert parallel dazu einen Sprachkurs. An der Theologischen Hochschule Friedensau arbeitet der 44-Jährige als Buchhalter. Der Ukrainer stammt aus Butscha, eine Stadt, schwer getroffen vom Krieg. In seiner Heimat arbeitete Omelchuk an einer Partnerhochschule der Theologischen Hochschule Friedensau. So kam der Kontakt zustande. Die meisten Männer mussten nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine bleiben, Sergii Omelchuk hatte Glück.
"Als wir gehört haben, dass der Angriff auf Butscha stattfindet, haben wir sehr schnell angeboten, zu helfen, wo wir können", sagt Tobias Koch, Kanzler und Geschäftsführer der Theologischen Hochschule Friedensau in Möckern. "Wir hatten dann auch einige Geflüchtete bei uns auf dem Campus untergebracht, darunter auch die Familie von Sergii Omelchuk."
Der 44-Jährige fühlt sich wohl in Friedensau. Aber: "Die Sprache zu lernen, war und ist sehr schwierig für mich", sagt auch er. Außerdem sei der Stress durch die täglichen Nachrichten aus der Heimat für viele seiner Landsleute schwer zu verarbeiten: "Viele unserer Verwandten leben noch in der Ukraine. Wenn du mitbekommst, was da passiert, ist das nicht schön."
Omelchuk führt einen weiteren Grund an, warum Ukrainerinnen und Ukrainer in Sachsen-Anhalt noch keinen Job gefunden haben: "Wir wollen alle arbeiten. Wir mögen Arbeit. Aber es sind auch viele hoch qualifizierte Leute nach Deutschland gekommen. Und die wollen gerne in ihrem gelernten Beruf arbeiten. Meine Frau zum Beispiel ist Grundschullehrerin, aber dafür muss sie fließend Deutsch sprechen – oder sich eben einen anderen Job suchen."
"Sie kann viel mehr"
Darüber, sich einen neuen Job zu suchen, hat auch Valentina Mashchenko von der Helios-Klinik in Burg schon nachgedacht. Die Anerkennung ihrer Ausbildung als Krankenpflegerin lässt schließlich noch auf sich warten, weshalb sie "nur" als Pflegehelferin arbeiten darf. "Es ist so kompliziert, dass ich mir manchmal denke, dass es besser wäre, mir einen anderen Beruf zu suchen", sagt die 33-Jährige. Oder: "Ich könnte die Ausbildung hier auch einfach noch einmal neu machen, vielleicht würde das schneller gehen."
Annett Hollert arbeitet als Pflegedirektorin bei der Heilios-Klinik Jerichower Land in Burg und stellte Valentina Mashchenko als Pflegehelferin ein. "Seit anderthalb Jahren versuchen wir, eine Lösung für die Anerkennung ihrer Abschlüsse zu finden", sagt sie. Noch allerdings ohne Erfolg. "Die Mühlen mahlen sehr langsam und mühsam. Ich würde mir wünschen, dass es da viel schnellere Prozesse gibt. Das Arbeiten einer Krankenschwester in der Ukraine kann ja nicht so viel anders sein als hier in Deutschland. Und ich finde es eben auch für die Kollegin sehr traurig. Sie hat früher in der zentralen Notaufnahme in der Ukraine gearbeitet, jetzt ist sie hier Pflegehelferin. Sie kann viel mehr."
Dass Valentina Maschenko das bald zeigen darf, darauf hoffen alle Beteiligten. "Es wäre schön, wenn wir sie innerhalb des nächsten Jahres als Pflegefachkraft bei uns anstellen könnten und sie ein Teil unseres Teams bleibt. Wir brauchen Fachkräfte", blickt Annett Hollert voraus. Und Valentina Maschenko sagt: "Das würde mich sehr freuen. Denn ich möchte weiterhin in Deutschland arbeiten."
MDR (Daniel George) | Erstmals veröffentlicht am 17.11.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 17. November 2024 | 19:00 Uhr
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