Fachkräftemangel Handwerk sieht Zuwanderung als Chance
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18. Januar 2023, 05:00 Uhr
Im Handwerk gibt es eine Viertelmillion offener Stellen. Viele Betriebe möchten Fachkräfte aus dem Ausland einstellen. Doch in der Praxis stoßen sie auf sprachliche und bürokratische Hürden. Einfachere Lösungen für den Mittelstand könnten helfen.
250.000 offene Stellen im Handwerk
"Wir suchen händeringend Fachkräfte. Das bremst die Konjunktur." – Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, Burghard Grupe, findet deutliche Worte gegenüber der MDR-Wirtschaftsredaktion. "Gerade in den nächsten Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Baby-Boomer in Rente gehen, wird das katastrophal werden. Das muss man so deutlich sagen", erklärt er.
Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen für das Handwerk in der Region, heißt es auch bei der Handwerkskammer in Dresden.
Wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Baby-Boomer in Rente gehen, wird das katastrophal werden.
Engpässe in allen Branchen
Arbeitskräfte fehlen nicht nur in einigen Bereichen des Handwerks. "Sie fehlen wirklich überall – in jedem Gewerk, quer durch alle Branchen", analysiert die Handwerkskammer in Magdeburg. Besonders stark zeigt sich der Mangel in den Bereichen der großen Megatrends – Energiewende, altersgerechtes Bauen, effiziente Gebäudesanierung und Elektromobilität.
"Vor allem Betriebe der Bau- und Ausbaubranche ringen um Fachkräfte", konstatiert die Handwerkskammer in Dresden. "Aber auch im Metall- und Elektrogewerbe, zum Beispiel für die Berufe des Elektronikers oder des Anlagenmechanikers für Sanitär, Heizungs- und Klimatechnik, sowie im Lebensmittelgewerbe, gibt es mehr offene Stellen als Bewerber."
Konkrete Zahlen nennt der aktuelle Fachkräfte-Migrationsmonitor der Bertelsmann Stiftung. Handwerk und Bauwesen sind im Vergleich zu anderen Branchen besonders stark vom wachsenden Fachkräftemangel betroffen. Bei den meisten Unternehmen fehlen Mitarbeiter mit Berufsausbildung: insgesamt bei über 61 Prozent der Betriebe. Ein Viertel sucht händeringend Fachkräfte mit Hochschulabschluss. Immerhin 18 Prozent spüren Engpässe beim Personal ohne Berufsausbildung.
Folgen für die Wirtschaft deutlich spürbar
Über fünf Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in handwerklichen Berufen. Ihre Arbeit spielt für zentrale Zukunftsthemen wie Energieeffizienz, Mobilität und Digitalisierung eine Schlüsselrolle. “Die Zukunft Deutschlands hängt vom Handwerk ab und deswegen brauchen wir verstärkt Zuwanderung. Wir brauchen ein ordentliches Zuwanderungsgesetz“, fordert der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, Burghard Grupe. Er warnt vor den Folgen der Engpässe für Wirtschaft und Verbraucher: "Erstens werden manche Aufträge nicht mehr angenommen werden können, weil man schlicht und einfach nicht das Personal hat. Zweitens wird es längere Wartezeiten geben. Drittens wird es teurer werden für Verbraucher, weil ein knappes Gut natürlich immer teuer ist.“
Die Zukunft Deutschlands hängt vom Handwerk ab.
Lösungsstrategien für Fachkräftemangel
Junge Menschen für das Handwerk zu begeistern, ist zur wichtigsten Herausforderung für die Betriebe geworden. Mehr Wertschätzung für handwerkliche Berufe gilt als eine weitere Lösungsstrategie. Doch das allein wird nicht reichen, um die Fachkräftelücke zu schließen.
Es braucht qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, um den Bedarf in der Region zu decken, so die Einschätzung der Handwerkskammern in Magdeburg und Dresden. "Das Potenzial hier im Inland wird nicht ausreichen", prognostiziert HWK-Chef Grupe. "Deswegen brauchen wir auch Zuwanderung. Wir müssen sehen, dass wir hier gezielt Menschen ins Land holen oder die, die hier sind, in die Betriebe integrieren."
"Best Practice"-Beispiel aus Magdeburg
Einer dieser begehrten qualifizierten Facharbeiter ist Ibrahim Almardini. Er kam vor sieben Jahren aus Syrien nach Deutschland. Zunächst arbeitete er bei einem Paketzusteller. Jetzt kann er wieder seinen gelernten Beruf ausüben. "Ich mag meinen Job. Ich bin Maler, seit ich 13 Jahre alt bin. Mein Vater war auch Maler", sagt er.
Er fand den Job über die Agentur für Arbeit. Es folgte ein dreitägiges Probearbeiten, bei dem er überzeugen konnte. Drei Jahre ist das inzwischen her. Heute arbeitet auch sein Sohn für das Unternehmen aus Magdeburg. Die Firma WIBB Wohn- und Industriebaubeschichtung beschäftigt insgesamt 50 Mitarbeiter. Fünf von ihnen stammen aus Syrien und Polen. Geschäftsführer Denny Milde ist voll des Lobes für seine Mitarbeiter: "Ich persönlich habe nur gute Erfahrungen gemacht. Alle fünf sind immer fleißig und wirklich Vorzeige-Facharbeiter, auch wenn manchmal die Sprachbarriere da ist."
Geschäftsführer Denny Milde würde gern noch mehr Mitarbeiter einstellen, auch Fachkräfte aus dem Ausland. Dafür wünscht er sich mehr Sprachkurse, weniger Bürokratie und ein einfacheres Aufenthaltsrecht.
"Sprache, Sprache, Sprache!"
Diese Einschätzungen teilt auch der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg Burghard Grupe. “Wir brauchen eine Willkommenskultur und wir müssen bürokratische Zwänge zurückbauen, zum Beispiel bei Aufenthaltsgenehmigungen."
Für Unternehmen sei es ein steiniger Weg. “Das Zuwanderungsrecht ist komplex, bürokratisch und die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam.§
Doch die größte Hürde, die es zu nehmen gilt, ist die Sprachbarriere. "Sprache, Sprache, Sprache! Eine Berufsausbildung werden sie nicht schaffen, wenn sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Also muss alles getan werden, damit sie die Sprache beherrschen – berufsbegleitend oder auch schon vorher", so Grupe.
Dafür braucht es viel mehr berufsbegleitende Sprach-Schulungen. Allerdings macht sich hier wie auch an anderen Schulen der Lehrermangel bemerkbar.
Der aktuelle Fachkräfte-Migrationsmonitor der Bertelsmann Stiftung verdeutlicht das Problem in konkreten Zahlen. Gefragt, warum sie keine ausländischen Fachkräfte rekrutieren, nannten die meisten Unternehmen die Sprachbarriere. Sie ist für über 65 Prozent der Firmen die entscheidende Hürde. Auf Platz zwei des Problem-Rankings folgt die berufliche Qualifikation. Ihre Einschätzung bereitet 45 Prozent der Unternehmen Probleme.
Zugang zu Sprachkursen für Bewerber aus dem Ausland erleichtern
Viele Sprachkurse finden erst am Abend statt – nach der Arbeit. Für viele ausländische Fachkräfte ist das problematisch, besonders wenn sie Familie haben, beschreibt HWK-Chef Grupe. “Wenn man den ganzen Tag acht Stunden gearbeitet hat, egal in welchem Beruf, dann ist man normalerweise auch erschöpft. Da wäre es natürlich gut, wenn man auch tagsüber entsprechende Angebote macht. Das wäre sehr, sehr hilfreich."
Geschäftsführer Denny Milde aus Magdeburg kennt das Problem und begrüßt Sprachkurse am Tag: "Wir haben das auch schon unterstützt, indem wir Facharbeiter für die Schulung freigestellt haben. Ich hoffe, dass andere das auch unterstützen."
Damit die Zuwanderung gerade in die kleinen Unternehmen des Handwerks gelingt, ist es wichtig, ausländische Fachkräfte zu gewinnen, die sprachlich und beruflich schnell integrierbar sind. So die Erfahrung der Handwerkskammer in Dresden. Optimal sind Sprachkurse, die vorbereitend im Heimatland stattfinden. Auch die Handwerkskammer in Magdeburg baut ihre Kooperationen in diesem Bereich aus, um gezielt motivierte und gut vorgebildete Jugendliche für eine duale Berufsausbildung in Deutschland zu gewinnen.
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Wie finden Betriebe und Bewerber einander?
Gerade für kleinere mittelständische Firmen im Handwerk ist es eine Herausforderung, qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland selbst zu akquirieren. Der Dachverband des Handwerks sieht die Bundesagentur für Arbeit, die seit Jahrzehnten auf diesem Gebiet tätig ist, als zentralen Partner. Auch Ibrahim Almardini aus Syrien fand auf diesem Weg einen Maler-Job in Magdeburg.
Zudem vernetzen die Handwerkskammern auf Fachkräftebörsen und -messen vor Ort Handwerksbetriebe und potentielle neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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MDR (akj)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 11. Januar 2023 | 21:45 Uhr