Schere zwischen Arm und reich Erbschaftssteuer in Deutschland: Warum große Vermögen kaum besteuert werden
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21. Dezember 2024, 05:00 Uhr
Während kleine Erbschaften oft stark besteuert werden, bleiben große Vermögen fast steuerfrei. Experten kritisieren die Ungleichbehandlung und fordern Reformen, um die Erbschaftssteuer gerechter zu gestalten.
- Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich
- Schlupflöcher für Erben großer Vermögen
- Entscheidung der obersten Gerichte und politische Untätigkeit
- Vermögensaufbau für alle – Ideen für mehr Chancengleichheit
Die Vermögen sind in Deutschland immer ungleicher verteilt. Dabei spielt die Erbschaftssteuer eine zentrale Rolle. Während kleinere Vermögen häufig hoch besteuert werden, bleiben große oft komplett steuerfrei. Das sorgt für Kritik und wirft grundlegende Fragen nach Steuergerechtigkeit sowie gesellschaftlicher Chancengleichheit auf – wie man das gerechter gestalten kann.
Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich
Die Vermögen sind in der Bundesrepublik sehr ungleich verteilt: Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung besitzen über 70 Prozent des Nettogeldvermögens, während die ärmere Hälfte der Menschen in Deutschland nur ein Prozent dieses Geldes hat. Hinzu kommt: Wer einmal reich ist, wird meist noch reicher. In der Soziologie wird dies Matthäus-Prinzip, oder anders ausgedrückt: "Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen."
Das zeigt sich auch in der deutschen Steuerpolitik. "Seit 2009 sind durch die Privilegien bei der Erbschaftssteuer bisher 84 Milliarden Euro an Erbschaftssteuer von den sehr Vermögenden in Deutschland nicht gezahlt worden", sagt Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende. "Mit diesen 84 Milliarden hätte man in dieser Zeit natürlich weniger Schulden aufnehmen müssen und man hätte mehr in unsere Infrastruktur investieren können."
Schlupflöcher für Erben großer Vermögen
Geschätzt werden jedes Jahr bis zu 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Auch davon geht die Hälfte an die reichsten zehn Prozent der Erben. Die Gründe dafür liegen auch teils in Privilegien für Reiche im Erbschaftsrecht.
Ein Beispiel, welches das ARD-Magazin Plusminus recherchiert hat: Wolfgang Donhärl aus München hat mit seiner Schwester ein Mietshaus mit 13 Wohnungen geerbt. Die Geschwister wohnen beide auch mit ihren Familien in dem Haus. Das Finanzamt setzte den Wert der Immobilie damals auf über acht Millionen Euro fest. Dadurch wurde eine Erbschaftssteuer von einer Million Euro fällig wurde.
Anders ist dies, wenn jemand 300 Wohnungen erbt – dies gilt dann als Betriebsvermögen. "Da gibt es die Möglichkeit, das steuerfrei zu übertragen", sagt "Finanzwende"-Sprecher Schick. "Und da sieht man natürlich eine krasse Ungleichbehandlung."
Entscheidung der obersten Gerichte und politische Untätigkeit
Ungleichbehandlung bei der Erbschaftssteuer ist seit Jahren bekannt: Bereits 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das damalige Erbschaftssteuergesetz gegen das Gleichheitsgebot verstoße – also gegen die Verfassung. Seitdem hat es mehrere Reformversuche gegeben, doch immer wieder gab es Kritik durch die höchsten Gerichte in Deutschland, denn auch die neuen Regelungen enthielten einige Schlupflöcher.
Ein Urteil ist dabei besonders interessant: 2017 entschied der Bundesfinanzhof, dass die Praxis mit den 300 Wohnungen nicht in Ordnung ist. Doch die obersten Finanzbehörden der Länder ignorierten das Problem. Man erließ anschließend sogar einen sogenannten "Nichtanwendungserlass" – dieser ist bis heute in Kraft, wie das Finanzministerium MDR Investigativ bestätigte: "Diese Verwaltungsanweisung der obersten Finanzbehörden der Länder gilt weiterhin."
Die Rolle von Lobbygruppen – und Vorschläge für Reformen
Einflussreiche Lobbyverbände wie "Die Familienunternehmer" verteidigen die bestehenden Regelungen. Ihre Präsidentin Marie-Christine Ostermann argumentiert, dass Unternehmensvermögen nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch besser investiert würden als staatliche Steuereinnahmen. "Deswegen ist es auch richtig, diese Vermögen von der Erbschaftssteuer auszunehmen."
Dem widerspricht Experte Schick von der Lobbygruppe Finanzwende: Die extreme Konzentration von Reichtum habe weitreichende gesellschaftliche Folgen und kann auch die wirtschaftliche Stabilität gefährden. Dies führte etwa die Finanzkrise ab 2008 vor Augen: Viele Schuldner konnten damals ihre Kredite nicht mehr bedienen, während gleichzeitig große Finanzvermögen massiv an Wert verloren. Schick, der früher für die Bündnis90/ Die Grünen im Bundestag saß, betont: "Das Ganze ist wie ein Kartenhaus zusammengebrochen."
Die Anhäufung von enormem Reichtum bei einer Person berge zudem auch Risiken für die Demokratie. Dies zeigt etwa das Beispiel von Elon Musk, so Schick. Der Multimilliardär konnte Twitter kaufen, damit seine politische Meinung vorantreiben und so massiv in Einfluss auf die Politik nehmen. "So eine Machtkonzentration ist eine Gefahr für demokratische Prozesse," warnt Schick.
Vermögensaufbau für alle – Ideen für mehr Chancengleichheit
Doch es gibt auch Menschen mit viel Geld, die in ganz andere Richtungen denken. Sebastian Klein, der Mitgründer von Blinkist wurde durch den Verkauf des Unternehmens zum Millionär, investiert 90 Prozent seines Vermögens in gemeinnützige Projekte: "Ich hatte den Eindruck, dass diese immer größer werdende Ungleichheit, zu einem immer größeren Problem in unserer Gesellschaft wird." Deshalb stecke er den Großteil seines Geldes in Organisation, die dem Gemeinwohl dienen soll.
Ich hatte den Eindruck, dass diese immer größer werdende Ungleichheit, zu einem immer größeren Problem in unserer Gesellschaft wird.
Doch anders als Klein besitzt der Großteil der Deutschen kein oder kaum Vermögen. Die Präsidentin des Verbands der Familienunternehmer fordert deshalb mehr finanzielle Bildung - von klein auf: "Kürzlich haben auch die Wirtschaftsweisen vorgeschlagen, jedem Kind monatlich 10 Euro Steuergeld zur Verfügung gestellt wird, dass in einen Aktienfonds investiert wird, damit die Menschen lernen, mit Aktien umzugehen."
Die Ökonomin von Universität Leipzig, Dr. Charlotte Bartels, schlägt ebenfalls staatlich geförderte Aktienfonds vor, um Vermögensaufbau für alle zu ermöglichen. "Durch ETFs hat man heute die Möglichkeit, so was eigentlich schon selber zu machen." Doch viele scheuten das Risiko. Um diese Ängste abzubauen, sollte der Staat ein Portfolio vorschlagen. "Das Beispiel, was da häufig genannt wird, ist ja die schwedische Rente, wo der Staat ein gewisses Portfolio vorgibt."
Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 10. Dezember 2024 | 21:45 Uhr