Musikindustrie Künstliche Intelligenz als Songschreiber

22. Juni 2023, 10:23 Uhr

Künstliche Intelligenz kann auch Musik erschaffen. Sie kann komponieren und den Gesang gleich mit übernehmen. Dann sind etwa auch Stars zu hören, die Lieder womöglich gar nicht selber eingesungen haben. Wo ist hier die Grenze des Urheberrechts? Wo sehen Musikschaffende selbst Chancen und Risiken?

KI kann Songs von Stimmen mit Stars erstellen

Ob Pop, Reggae, Hip-Hop oder Klassik: Es gibt bereits eine Vielzahl von Tools, die mithilfe Künstlicher Intelligenz ganze Musikstücke erstellen. Paul McCartney kündigte vor wenigen Tagen an, dass noch dieses Jahr ein unvollendet gebliebener Song mit John Lennon veröffentlicht werden solle – fertiggestellt Dank Künstlicher Intelligenz, die die Stimme des Sängers aus einem alten Demo-Tape herausfiltern konnte.

Für Wirbel sorgten im April diesen Jahres Veröffentlichungen, die wie Aufnahmen von Stars klingen, ohne dass die Stars daran beteiligt waren: der Song "Heart on My Sleeve" mit einer nach dem Rapper Drake klingenden Stimme und mit "The Lost Tapes" sogar ein ganzes Album, das auf Klangpfaden von Liam Gallagher, dem Frontman der seit 2009 aufgelösten Britpop-Band Oasis wandelt. Beides ging in Sozialen Netzwerken hochgeladen viral und befeuerte auch die Debatte um nötige Grenzen für Künstliche Intelligenz in der Musikindustrie.

Im Falle des Drake-Fakes hat die Universal Music Group noch im selben Monat reagiert und ihn auf allen offiziellen Streamingplattformen und Sozialen Netzwerken verbieten lassen. Wie die Financial Times berichtete, empfahl Universal Streamingplattformen zudem allgemein, von KI erstellte Songs zu blockieren. Denn hier seien KI-Systeme "mit urheberrechtlich geschütztem Material trainiert" worden, ohne dass die Einwilligung der Künstler eingeholt worden sei oder diese dafür finanzielle Leistungen erhalten hätten. Liam Gallagher zeigte sich vom Album "The Lost Tapes" von der fiktiven Band Alsis sogar begeistert. "Ich klinge mega", erklärte er. Die Band Breezer hatte hier eigene Texte mit der Stimme von Liam Gallagher kombiniert.

Künstliche Intelligenz wird den größten Einfluss auf die Musik und Kultur von morgen haben.

Bruno Kramm professioneller Musiker

Profis: KI-Technologie in der Musik logische Weiterentwicklung

Bruno Kramm ist ausgebildet in klassischer Musik, spielt Cello und ist seit 30 Jahren Mitglied von "Das Ich", einer Band, die sich der elektronischen Musik verschrieben hat und ihre größte Fangemeinde wohl in der Gothic-Szene hat. In Nauen bei Berlin hat Kramm sich ein Tonstudio eingerichtet. Dort produziert er auch Musik, die von Künstlicher Intelligenz generiert wird: "Ich sehe den Einsatz der KI-Technologie in der Musik nur als eine logische Weiterentwicklung. Da elektronische Musik immer versucht, die Technologie ihrer Zeit widerzuspiegeln und damit neue Dinge entstehen zu lassen." Ohne Sampling etwa, das auch lange Zeit als verrufen galt, hätte es viele Musikrichtungen wie Hip-Hop und Triphop heute nicht gegeben. Künstliche Intelligenz werde "den größten Einfluss auf die Musik und Kultur von morgen" haben.

Kramm setzt auch auf eine KI-Sängerin namens Solina. Das ganze KI-System wurde mit 40.000 Musik-Dateien trainiert und soll Sounds jedes noch so ausgefallenen Instruments erzeugen können. Das Stimm-Modul selber wurde noch einmal anhand von Bausteinen von 50 Songs ausgereift. Der Musiker zeigt uns, wie Solina nach Wunsch Liedvorschläge abliefert – zum Beispiel einen Sommersong. Kramm gibt in das System ein, was er gerne hätte - sie textet, komponiert und singt. Kramm mischt das Ganze dann noch ab. Dass KI den Menschen überflüssig werden lässt, glaubt er nicht: "Das wird nie passieren, dass KI Menschen verdrängen wird. Denn KI ist kein Mensch, hat kein normales Leben". Das mache sie inhaltsleerer und uninteressanter als Musik von echten Menschen.

Musik von Künstlicher Intelligenz ist inhaltsleerer und uninteressanter als Musik von echten Menschen.

Bruno Kramm professioneller Musiker

Das sieht auch Musikproduzent Fritjhof Rödel so. Er hatte bisher keinen Kontakt mit KI-Programmen. Rödel hat sein Tonstudio in Erfurt und arbeitet dort unter anderem mit dem Sänger Clueso. Emotionen über die Musik zu transportieren sei besonders wichtig, sie mit Leben zu füllen. "Die technische Komponente ist nicht so bedeutend", erklärt er.

Mit Blick auf das Album "The Lost Tapes" von "Alsis", das im April im Internet aufgetaucht ist und nach Oasis-Sänger Gallagher klingt, ohne dass er die Songs eingesungen hat, sagt er: "Die Menschen wollen dann eher Oasis als Alsis hören, denn genauso wichtig ist der Streit zwischen diesen Brüdern." Auch die Lebensgeschichte, dass sie aus Manchester kamen und sich "vielleicht aus einem armen Elternhaus" hochgearbeitet hätten, wäre für die Konsumenten "interessanter als die drei Akkorde, die, die immer die ganze Zeit spielen."

Frage nach dem Urheberrecht

Künstliche Intelligenz bedient sich aus dem Reportoire bereits vorhandener Musik, um aus den daraus gewonnen Erkenntnissen neue Tonfolgen, Akkorde und Textbausteine zu generieren. Das wirft auch rechtliche Fragen auf. So sind durch das Urheberrecht die Werke der Komponisten, Texter, Interpreten und Musiker geschützt. Das Urheberrecht gilt für Menschen, nicht aber für die Künstliche Intelligenz.

Der Berliner Medienanwalt David Geßner geht davon aus, dass hier Anpassungen nötig werden: "Die KI wird die Gesetzgebung und die Rechtsprechung auch vor besondere Aufgaben stellen." KI-generierte Inhalte müssten klar ersichtlich sein, aber auch "später gegebenenfalls geschützt werden." Zudem sei es vorstellbar, dass sich Labels künftig in Künstler- und Lizenzverträgen bestätigen lassen werden, dass die Songs nicht einer KI entspringen, um sie problemlos verwerten zu können.

Die Kritik an Künstlicher Intelligenz in der Musikindustrie geht auch über Urheberrechtsverletzungen hinaus. Die größte Streaming-Plattform Spotify etwa löschte im April zehntausende Songs – aber nicht weil sie mit KI erzeugt worden sind, sondern weil die KI-Lieder dann auch noch von Bots, also von automatisierten Programmen, zuhauf geklickt wurden, um Einnahmen zu generieren. Von Betrugsverdacht und Fake-Streamings war die Rede.

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MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 20. Juni 2023 | 20:15 Uhr

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