zwei Grabsteine mit zwei unterschiedlich großen Goldhaufen davor
In den westdeutschen Bundesländern wird deutlich mehr vererbt als in Ostdeutschland. Bildrechte: IMAGO/Depositphotos

Steuerpflichtige Erbschaften und Schenkungen Erben im Osten: Neunmal weniger Vermögen als im Westen

21. August 2024, 04:58 Uhr

Eine Auswertung von MDR Data zeigt: In den alten Bundesländern wurde 2022 pro Einwohner rund neunmal so viel steuerpflichtiges Vermögen vererbt oder verschenkt wie in den neuen Bundesländern. Im Westen profitierte nicht nur ein größerer Anteil der Bevölkerung, die Erbschaften und Schenkungen waren im Schnitt auch umfangreicher als im Osten.

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Bildrechte: MDR/Paul Senftleben

Vermögen wandert in Deutschland oft von Generation zu Generation. Altes Geld, das die Jahrzehnte überdauert – und zwar meist in Familien, die aus Westdeutschland stammen. Eine Auswertung von Zahlen der Statistischen Landesämter zeigt nun, wie extrem die Unterschiede zwischen Ost und West bei den Erbschaften und Schenkungen sind.

Erbe in Hamburg am größten

In Hamburg wurden 2022 pro Person demnach 1.424 Euro steuerpflichtiges Vermögen vererbt oder verschenkt, in Bayern waren es 1.295 Euro. Auf der anderen Seite der bayerisch-thüringischen Landesgrenze lag dieser Wert bei 69 Euro. In Sachsen kamen auf jede Person im Durchschnitt 84 Euro steuerpflichtige Erbschaften und Schenkungen, in Sachsen-Anhalt waren es 65 Euro. In Hamburg wurde pro Person also rund 22 Mal so viel steuerpflichtiges Vermögen vererbt oder verschenkt wie in Sachsen-Anhalt.

Wenig Einkommensmillionäre im Osten

Hamburgs Spitzenposition kommt unter anderem dadurch zustande, dass dort besonders viele reiche Menschen wohnen: Der Anteil der Einkommensmillionäre an der steuerpflichtigen Bevölkerung ist in der Hansestadt unter allen Bundesländern am höchsten. Auch in Bayern und Baden-Württemberg gibt es vergleichsweise viele Einkommensmillionäre, die wenigsten leben in Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Brandenburg ragt unter den neuen Bundesländern mutmaßlich deshalb hervor, weil rund um Berlin viele wohlhabende Menschen leben. Es ist anzunehmen, dass viele Erben im Berliner Speckgürtel aus dem Westen zugezogen sind.

Berlin übertrifft sogar den westdeutschen Schnitt

Im Schnitt kamen die alten Bundesländer 2022 auf 812 Euro steuerpflichtige Erbschaften und Schenkungen pro Einwohner. In den neuen Bundesländern waren es 91 Euro – also neunmal weniger als im Westen.

Berlin wurde dabei weder den neuen noch den alten Bundesländern zugerechnet. Die Hauptstadt übertrifft bei den steuerpflichtigen Erbschaften pro Einwohner sogar den westdeutschen Schnitt.

Warum Berlin separat aufgeführt ist Weil Berlin früher eine geteilte Stadt war und seit der Wende viele Menschen zugezogen sind, wird die Hauptstadt in dieser Analyse weder dem Osten noch dem Westen zugerechnet. Würde man Berlin zum Osten zählen, läge der Unterschied zwischen Ost und West nicht beim Neunfachen, sondern nur beim Dreifachen.

Die Zahlen umfassen nur die steuerpflichtigen Erbschaften und Schenkungen. Sie liegen in Deutschland bei rund 60 Milliarden Euro im Jahr.

Viele Ausnahmen von der Steuerpflicht

Ein Vielfaches davon wird steuerfrei vererbt oder verschenkt, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht von etwa 400 Milliarden Euro pro Jahr aus. Denn es gibt zahlreiche Ausnahmen von der Steuerpflicht, etwa wenn Familienunternehmen vererbt werden und Arbeitsplätze erhalten werden sollen. Hinzu kommen hohe Freibeträge; jedem eigenen Kind kann man beispielsweise 400.000 Euro steuerfrei verschenken oder vererben. Die Zahlen in den Grafiken beziehen sich also ausschließlich auf Nachlässe von vergleichsweise wohlhabenden Menschen, die oberhalb der Freibetragsgrenze liegen.

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Geschätzt werden in Deutschland in jedem Jahr bis zu 400 Milliarden Euro verschenkt oder vererbt. Im Osten erben Menschen seltener und wenn sie erben, deutlich weniger. Wie fair ist Erbe? Der Frage geht exactly nach.

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Würden die Finanzämter sämtliche Erbschaften und Schenkungen erfassen, wären die Unterschiede zwischen Ost und West wohl nicht ganz so frappierend. Darauf deuten auch Auswertungen des DIW hin.

Mehr zu den Daten

  • Sämtliche Daten stammen von den Statistischen Landesämtern. Manche Landesämter veröffentlichen frei verfügbare Berichte zur Erbschafts- und Schenkungssteuer, bei anderen Landesämtern hat der MDR die Zahlen angefragt.
  • Bei den dargestellten Zahlen handelt es sich um steuerpflichtige Erwerbe, also um jegliche Erbschaften und Schenkungen, die versteuert wurden. Erbschaften und Schenkungen unter der Freibetragsgrenze sind darin nicht berücksichtigt. Auch vorsteuerliche Abzüge wie Steuerberaterkosten, Nutzungsauflagen bei Schenkungen oder Doppelbesteuerungen sind nicht enthalten.
  • Die Zahlen beziehen sich also nur auf Erbschaften und Schenkungen von vergleichsweise wohlhabenden Menschen. Insgesamt wurde in Deutschland noch weit mehr Vermögen vererbt und verschenkt als in den Grafiken dargestellt.
  • Der MDR hat stichprobenartig die Daten für die Jahre vor 2022 ausgewertet. Die Reihenfolge der Bundesländer ist von Jahr zu Jahr zwar leicht unterschiedlich, das große Gefälle zwischen Ost und West bleibt jedoch bestehen. Daher sind in diese Analyse nur die Zahlen für 2022 eingeflossen.
  • Bei allen gezeigten Zahlen ist zu beachten: Auch im Osten gibt es privilegierte Großerben, und auch im Westen gibt es viele Regionen, in denen kaum jemand erbt. Da die Zahlen nur auf Ebene der Bundesländer vorliegen, ist eine genaue regionale Auswertung nicht möglich.

Dennoch lassen sich aus den Daten zwei Erkenntnisse ableiten: Menschen im Osten profitieren seltener von großen Erbschaften und Schenkungen. Und selbst wenn sie davon profitieren, sind die Summen wesentlich kleiner.

Das deutsche Steuersystem trage nicht dazu bei, dass die Vermögen dorthin gingen, wo tatsächlich Leistung erbracht werde, sagt Julia Jirmann, Expertin für Erbschaften beim Netzwerk Steuergerechtigkeit. "Denn das würde ja heißen, dass Ostdeutsche weniger leisten."

Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung erbt große Vermögen

Grundsätzlich profitiert nur ein kleiner Teil der Deutschen von Schenkungen und Erbschaften über der Freibetragsgrenze. Im Jahr 2022 zahlten im Westen 2,2 Personen je 1.000 Einwohner Steuern auf Erbschaften oder Schenkungen. Im Osten lag dieser Wert bei 0,9. Anders ausgedrückt: Im Westen profitierte rund jede vierhundertfünfzigste Person von einer hohen Summe, im Osten war es weniger als jede tausendste.

Das Gefälle zwischen Ost und West zeigt sich auch an der Höhe der Nachlässe. In Hamburg lag der durchschnittliche Wert einer steuerpflichtigen Erbschaft oder Schenkung im Jahr 2022 bei knapp 600.000 Euro – mehr als achtmal so viel wie in Thüringen mit 73.000 Euro. Im Durchschnitt sind die steuerpflichtigen Vermögenstransfers im Westen dreieinhalb mal höher als im Osten.

Länder nehmen Steuern durch Erbschaften ein

Der Unterschied zwischen Ost und West ist so gewaltig, dass sich das sogar auf die Landeshaushalte auswirkt. Bayern nahm 2022 beispielsweise 3,3 Milliarden Euro an Erbschafts- und Schenkungssteuern ein. Das entsprach fast fast 5 Prozent des Landeshaushalts. Zum Vergleich: Sachsen-Anhalt kam lediglich auf Einnahmen in Höhe von 26,4 Millionen Euro oder 0,2 Prozent des Landeshaushalts.

Die Wurzeln dieses Gefälles liegen unter anderem in den unfairen Voraussetzungen, mit denen die Ostdeutschen in den Kapitalismus starteten. "In der DDR konnten die Menschen systembedingt weniger Privatvermögen aufbauen", sagt Erbschaftsexpertin und Aktivistin Jirmann. "Was man nicht hat, kann man nicht weitergeben." Nach der Wende verkaufte die Treuhand dann viele Staatsbetriebe an Investoren aus dem Westen. Das einstige Volkseigentum wanderte in fremde Hände.

Erbschaftssteuer: Rabatt von 99,7 Prozent

35 Jahre nach dem Mauerfall beobachtet Jirmann weiterhin keinen Trend zur Angleichung. Deutschland zählt in Europa zu den Ländern mit der höchsten Vermögensungleichheit – trotz eines Steuersatzes, der je nach Verwandtschaftsgrad und Größe einer Erbschaft auf bis zu 50 Prozent steigt. "Aber das nützt ja nichts, wenn diese Steuersätze effektiv überhaupt nicht anfallen", sagt Jirmann. Denn besonders bei großen Erbschaften existieren zahlreiche Schlupflöcher.

Im vergangenen Jahr gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamts 26 Fälle, in denen große Familienunternehmen vererbt oder verschenkt wurden. Zunächst setzten die Finanzämter Steuerforderungen in Höhe von 2,1 Milliarden Euro fest. Dann wurde in sogenannten Verschonungsbedarfsprüfungen ermittelt, ob die Großerben die Forderungen aus eigenen Mitteln begleichen können, ohne dass ihre Unternehmen darunter leiden.

Nach der Prüfung ergingen Steuerbescheide in Höhe von 6,3 Millionen Euro – ein Rabatt von sagenhaften 99,7 Prozent. Je größer das Vermögen, desto größer seien die steuerlichen Ausnahmen, sagt Jirmann. "Wir bewahren den Besitzstand bei einer kleinen Hand von Menschen." Deutschland sei keine Leistungsgesellschaft, sondern eine Erbengesellschaft.

Expertin fordert Nachbesserungen

Es gibt viele Ideen, wie sich die Vermögensungleichheit in Deutschland verringern ließe. Eine davon: Ein Startkapital von bis zu 20.000 Euro für alle 18-Jährigen, finanziert etwa durch eine Reform der Erbschaftssteuer. Auch die Vermögenssteuer steht bei einigen Politikerinnen und Politikern von SPD, Grünen oder Linken auf der Agenda.

Jirmann selbst fordert neben einer Vermögenssteuer auch Nachbesserungen bei der Erbschaftssteuer, um die Schlupflöcher zu stopfen. Denn das Wirtschafts- und Steuersystem in seiner jetzigen Form führe dazu, "dass die Vermögen dort bleiben, wo sie schon immer waren" – also bei wohlhabenden Familien in den alten Bundesländern.

MDR (Tycho Schildbach, David Wünschel, Maximilian Schörm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 21. August 2024 | 21:45 Uhr

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