Nicht nur Osterhasen Vor hundert Jahren brachten auch Hahn, Fuchs und Storch die Eier
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08. April 2023, 12:00 Uhr
Der Osterhase erfreut sich in diesen Tagen großer Beliebtheit – immerhin versteckt er laut populärem Mythos die Eier, die aufgeregte Kinder dann suchen können. Aber das war nicht immer so: Vor rund 100 Jahren brachten in Mitteldeutschland unter anderem Auerhahn, Fuchs und Storch die Eier. Oder sogar das Christkind.
Frühlingshaft bunte Eier, die von einem süßen Schokohasen gebracht werden – Ostern ist optisch eigentlich ein echtes Highlight im gelegentlich grauen April. Sehr zur Freude der Schokoladenindustrie, die in diesem Jahr immerhin rund 230 Millionen Hasen produzierte. So omnipräsent wie heute war der Hase zu Ostern allerdings nicht immer: Eine vom Leibniz-Institut für Länderkunde veröffentlichte Karte aus dem Atlas der deutschen Volkskunde von 1937, die auf Befragungen aus dem Jahr 1932 beruhte, zeigt, dass die Sache damals deutlich differenzierter war.
So brachte beispielsweise im Thüringer Becken ein Hahn die Ostereier zu den Kindern, im Erzgebirge gab es die Erzählung vom Fuchs und im Thüringer Wald waren es mitunter der Storch oder der "grüne Hase". Im Harz dagegen gab es Kinder, die an den Auerhahn glaubten und oberhalb von Eisenach in Thüringen sollte sogar das Christkind einen weiteren Auftritt als Eierbote haben.
Der Atlas der Deutschen Volkskunde
Der Atlas der Deutschen Volkskunde ist als Datenquelle nicht unproblematisch, betont die Kulturwissenschaftlerin Karin Bürkert. Das Fach der Volkskunde sei damals stark mit dem Nationalsozialismus verwoben gewesen. Die heutige Kulturwissenschaft, die empirisch aus der Volkskunde entstanden sei, habe sich umbenannt, um sich von diesem Erbe zu distanzieren.
Man habe damals mit den Karten im Atlas der Deutschen Volkskunde versucht, einen bestimmten "Deutschen Kulturraum" darzustellen, der sich mitunter aus den Germanischen Wurzeln ableitete und auch Gebietsansprüche der Nationalsozialisten rechtfertigen sollte. "Wir haben uns als Fach mittlerweile von der Vorstellung distanziert, in einem bestimmten Kulturraum seien alle gleich", sagt Bürkert.
Der Osterhase hat sich durchgesetzt
"Früher war die Landschaft der Mythen und Sagen vielfältiger, man hat sich mehr unterschiedliche Geschichten erzählt", sagt die empirische Kulturwissenschaftlerin Karin Bürkert. In unterschiedlichen Regionen seien damals unterschiedliche Mythen dazu entstanden, was an Ostern passiere und was sich daran anschließen lasse. "Im Grunde sind es aber alles ähnliche semantische Felder, aus denen man geschöpft hat. Die Naturbilder lassen sich ja gut herleiten, der Frühling erwacht, Natur und Christentum treffen sich."
Heute haben wir nicht mehr die diverse Sagenlandschaft von damals, der Hase hat sich quasi durchgesetzt. Weil er ein Erfolgsmodell ist? Womöglich hat es auch damit zu tun, dass unser kapitalistisches Wirtschaftssystem den Osterhasen gewissermaßen liebt. Eine entscheidende Rolle beim Siegeszug des Osterhasen dürfte nämlich die Schokoladen-Industrie gespielt haben, mutmaßt Bürkert: "Die Figur des Hasen ist eben auch konsumierbar und lässt sich gut als Schokoladen-Version umsetzen." In der Werbung sei es heutzutage ganz eindeutig der Hase, der mit Ostern verknüpft wird – mittlerweile auch in lila und anderen bunten Farben, aber klar ist: "Unsere Vorstellung davon, wie der Osterhase aussieht, wird durch konsumierbare Produkte geprägt."
Kapitalismus vs. Kinderbücher und -Lieder
Ist der Osterhase also ein rein wirtschaftliches Phänomen, dass wir ein wenig romantisieren, weil es Kinder glücklich macht? Natürlich habe der Kapitalismus den Hasen stark unterstützt, aber ganz so kulturpessimistisch dürfe man das nicht sehen, sagt Karin Bürkert: "Mit Sicherheit ist das auch eine Gemengelage an populären Mythen, was hat gut funktioniert, was wurde gerne erzählt … also es ist nicht nur das System, sondern es steckt auch viel Menschliches im Osterhasen."
So gäbe es beispielsweise auch die These, dass der Erfolg der Osterhasen-Geschichte mit dem Buch "Die Häschenschule" zu tun hat. Der Kinderbuch-Klassiker wurde 1922 veröffentlicht und erzählt von Hasenkindern, die zur Schule gehen und dort fürs Leben lernen. Weitere Geschichten für Kinder und Lieder wie "Stups der kleine Osterhase" seien ebenfalls für den Hype verantwortlich.
Ob wir an den Osterhasen glauben, ist unwichtig
Für die Erwachsenen unter uns ist die Vorstellung von einem Hasen, der im ganzen Land Eier versteckt, natürlich ohnehin nicht besonders glaubwürdig. Und das war schon immer so: Als der Frankfurter Arzt Johannes Richter 1682 den Osterhasen erstmals schriftlich erwähnte (in seiner Dissertation), schrieb er von "einer Fabel, die man nur Einfältigen und Kindern aufbindet".
Ob Kinder und Erwachsene allerdings tatsächlich daran glauben, dass der Osterhase existiert, ist ohnehin nebensächlich. "Bräuche wie der Osterhase sind vor allem deswegen attraktiv, weil sie die Fantasie anregen", sagt die Kulturwissenschaftlerin Karin Bürkert. Ihrer Ansicht nach wissen die meisten Kinder schon, dass die Geschichte vom Hasen nicht ganz stimmt, aber das mache die Sache auch geheimnisvoll. Außerdem stärken die an den Mythos gebundenen Aktivitäten wie die Eiersuche oder das gegenseitige Beschenken den Zusammenhalt – und damit hat der Osterhase eine große soziale Funktion für uns. Oder für unsere Jüngsten. "Es ist schon eher ein Kinderbrauch", bestätigt Bürkert. Aber auch Erwachsenen könne es Halt und Struktur geben, sich mit den Festen im Jahresablauf zu beschäftigen.
Osterdeko als "Distinktionsprojekt"
Auch, dass an Ostern viele die eigene Wohnung oder den Garten dekorieren, sei aus kulturwissenschaftlicher Sicht spannend, findet Karin Bürkert. Fachlich spreche man in diesem Zusammenhang von "Ästhetisierung". "Dieses Phänomen gibt es gesellschaftsübergreifend erst seit dem 20. Jahrhundert", erklärt Bürkert. Mit zunehmendem Wohlstand und der zunehmenden Trennung von Wohn- und Arbeitsbereich nach dem Zweiten Weltkrieg sei Wohnen immer mehr zum Distinktionsprojekt geworden. Sprich: Welchen Lifestyle ich pflege und welche Deko ich zu Hause aufstelle, sagt etwas darüber aus, wer ich bin. Dekoration spiele in diesem Zusammenhang auch als Konsumobjekt eine Rolle, betont die Kulturwissenschaftlerin: "Das ist eine Sache, die auch gerne in Frauenzeitschriften an ein weibliches Publikum verkauft wurde, damit die Frau ihre zugewiesene Rolle im Haushalt mit Bedeutung füllen kann und das Haus quasi 'zu ihrem' macht."
Mittlerweile sind Geschlechterrollen flexibler geworden, aber: 2008 gaben in einer Umfrage des Magazins Living at Home gut die Hälfte der Frauen an, selbst Ostereier für die Dekoration zu bemalen. Bei den Männern waren es dagegen nur 21 Prozent. Diese wiederum gaben dafür öfters an, dass sie noch Eier suchen. Vielleicht ist es dieses Jahr also an der Zeit, den Spieß umzudrehen – der Osterhase ist ja schließlich auch ein männliches Geschöpf.
Links/Studien
Die Karte zu verschiedenen Ostereierbringern ist hier auf den Seiten des Leibnitz-Institut für Länderkunde zu finden.
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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. April 2023 | 06:00 Uhr