Galeria-Schließung Keine Kaufhäuser mehr – was wird aus den Innenstädten?
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21. Juni 2024, 13:46 Uhr
Wenn ein Kaufhaus schließen muss, bringt das einige Folgen mit sich: Riesige Immobilien stehen plötzlich leer, Innenstädte verlieren ein wichtiges Geschäft, das Passanten anzieht und Mitarbeiter verlieren ihren Job. Wir werfen einen Blick darauf, welche Auswirkungen so eine Schließung für die Innenstädte und Mitarbeiter hat und schauen, wie die Immobilien zukünftig genutzt werden könnten.
Studie zeigt: Innenstädte weiterhin gut besucht
Welche Auswirkungen hat es auf Innenstädte, wenn große Kaufhäuser schließen müssen? Kommen dadurch weniger Menschen in die Innenstadt, was zwangsläufig auch Folgen für weitere Händler und Gastronomen hätte? Um einen Überblick darüber zu bekommen, wie viele Passanten sich wann im Zentrum aufhalten, hängen mittlerweile in immer mehr Innenstädten kleine graue Kästen. Diese können mittels Lasertechnik 24 Stunden täglich, 365 Tage im Jahr die Personenanzahl erfassen. Warum die Daten so wichtig sind, erklärt der Leipziger Citymanager Robin Spanke: "Die Zählpunkte sind sehr interessant, weil man echte Daten sieht. Wie viele Leute sind wirklich in der Stadt gewesen? Gleichzeitig kann man Auswertungen machen: Wann kommen die Leute? Sind sie unter der Woche da? Am Wochenende?"
Auch im Umfeld von ehemaligen Kaufhäusern können die sogenannten Passantenfrequenzen gemessen werden. In Leipzig erfolgt das beispielsweise in der Petersstraße. Dort schloss vor fünf Jahren das Kaufhaus Karstadt. Während 2019, als Karstadt noch geöffnet war, noch 11,7 Millionen Passanten in der Petersstraße unterwegs waren, ging die Zahl in den beiden Folgejahren durch Corona steil bergab. "Die Auswirkungsjahre waren mehr coronageprägt und da ist der Vergleich zu den Zahlen, die wir jetzt haben, sehr schwierig. Von daher ist die Aussage: 'Karstadt ist weg, die Frequenz ist eingebrochen' zwar nicht der Fall, aber trotzdem gibt es erstmal einen negativen Impact, wenn so eine große Immobilie schließt", erläutert er. Doch 2022 erholten sich die Zahlen wieder. 10,4 Millionen Menschen waren wieder in der Petersstraße unterwegs. 2023 dann schon 11,2 Millionen. Insgesamt hat sich die Zahl der Passanten nahezu erholt.
Erik Maier, Professor für Marketing und Handel an der Handelshochschule Leipzig, hat Standorte in ganz Deutschland analysiert und allgemeingültige Zusammenhänge gefunden: "Kaufhausschließungen senken die Frequenzen in einer Innenstadt, in ihrem Umfeld, aber nicht langfristig. Das heißt, wir sehen so eine Art Talbewegung oder ein U. Die Frequenzen gehen erst nach unten, erholen sich aber nach circa einem Jahr wieder so, dass wir von einer Normalisierung dieser Frequenzen sprechen können." Allerdings sei es nicht so einfach. "Eine Innenstadt ist immer eine Zusammensetzung aus verschiedenen Handelstypen. Es dauert relativ lange, große Immobilien wieder neu zu füllen. Das heißt, auch wenn wir jetzt keinen starken kurzfristigen Effekt haben, müssen Städte vermeiden, dass sie auf eine schiefe Ebene geraten – dass ein Laden zumacht und noch ein Laden zumacht. Das ist es, was viele Städte umtreibt.“
Neue Nutzungsmöglichkeiten: Von der Kita bis zu Wohnungen
Wenn ein Kaufhaus in der Innenstadt geschlossen wird, bleibt in der Regel ein großes Gebäude mit guter Lage zurück. Relativ schnell stellt sich dann die Frage, was an diesem Standort Neues entstehen soll. Ein Blick in Städte, die diesen Prozess bereits durchlaufen haben, zeigt das Potenzial, das in solch einer Immobilie steckt.
In Recklinghausen eröffnete 1930 das Kaufhaus "Althoff", das später zu Karstadt wurde – bis 2016 die Schließung folgte. Seitdem hat sich viel verändert. Damit das möglich war, musste das Gebäude teilweise umgebaut werden. "Man analysiert das Gebäude wie ein Arzt, indem man sagt: Was hat es für eine Vorgeschichte? Was wird gemacht? Das ist die Anamnese. Dann kommt die Diagnose, heißt in dem Fall: Leerstand. Und dann kommt die Therapie und die heißt Nutzungsmix", erläutert Gerd Rainer Scholze, Projektentwickler. Heute beherbergt das ehemalige Kaufhaus nicht nur eine Kita mit Spielplatz auf der Dachterrasse, sondern unter anderem auch eine Zahnarztpraxis und Wohnungen für Senioren.
Anders genutzt wird das ehemalige Kaufhausgebäude in Neuss. Dort teilen sich die Kreisverwaltung von Recklinghausen, das Landestheater Neuss und ein Programmkino die Immobilie. "Der Vorteil von den Häusern ist, dass sie mitten in der Stadt liegen, also die Lage stimmt. Es gibt unterschiedliche Nutzungsarten: Büros, Wohnungen, kleine Läden, aber man muss vorher die Nutzung bestimmen, bevor man anfängt umzubauen, sonst wird das Ganze nur schreckliche Bastelei", sagt Klaus Harnischmacher, ehemaliger Vorsitzender des Bauvereins.
Auch für das ehemalige Karstadt-Gebäude in Leipzig ist so ein Nutzungsmix vorgesehen. Im neuen "NEO" sollen neben dem bereits geöffneten Rewe-Markt und einem Parkhaus moderne Büroflächen entstehen. 2025 soll zudem unter anderem die Europäische Strombörse als neuer Mieter einziehen. Im Erdgeschoss sind bereits Ladengeschäfte für kleinere Händler vorbereitet.
Aus welchen Gründen Innenstädte besucht werden, beschäftigt die Studie "Vitale Innenstädte" vom Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln. Alle zwei Jahre werden etwa 70.000 Menschen nach ihren Besuchsmotiven befragt. "Wir können mit Sicherheit sagen, dass die Funktionen mehr werden: Arbeiten, Wohnen, Gesundheit, Freizeit in der Innenstadt. Wie sich das genau verteilt, auch im konkreten Angebot, das ist sehr stadtindividuell unterschiedlich", erklärt Boris Hedde, Geschäftsführer des IFH. Je größer eine Stadt werde, desto höher sei die Anforderung, in dem Bereich Freizeit und Erlebnis mehr zu punkten. "Wir sehen jetzt auch in einigen großen Innenstädten, dass sich ganz neue Konzepte ansiedeln, die man früher gar nicht so kannte. Zum Beispiel in der Stadt Köln, die jetzt in der Innenstadt in zentralster Lage eine Boulderhalle haben wird, wo Menschen die Wände hochklettern. Das ist so ein Freizeitcharakter, der auch in andere Richtungen zeigt. Wir brauchen neue Impulse", führt er weiter aus.
Kaufhausschließungen tragisch für Mitarbeiter
Für die Mitarbeiter bedeutet eine Kaufhausschließung zumeist ein emotionales Auf und Ab, denn oftmals wird versucht, das Geschäft noch zu retten. Das war auch in Chemnitz und der dortigen Filiale von Galeria Kaufhof der Fall. Andrea Busch von Verdi ist seit 2020 nah dran am Schicksal der Verkäuferinnen und Verkäufer. Gemeinsam dachten sie sich immer wieder etwas aus, um Haus und Arbeitsplätze zu sichern. "Wir haben viel gemacht zusammen und das fast vier Jahre und jetzt ist wahrscheinlich doch das Ende in Sicht. Das macht mich schon traurig, um nicht wütend zu sagen", so Busch. Sie versucht nun, den Betroffenen bestmöglich zu helfen, indem sie ihnen zum Beispiel zeigt, wie sie das Insolvenzgeld beantragen müssen.
Viele der Mitarbeiter haben bereits sehr lang im Unternehmen gearbeitet. "Ich bin seit 42 Jahren im Kaufhaus tätig und habe im Centrum-Warenhaus Karl-Marx-Stadt gelernt. Ich bin mit Leib und Seele Schuhverkäuferin", erläutert Ines Andre. "Ich verliere zum ersten Mal in meinem Berufsleben meine Arbeit. Die letzten Wochen bis zur Schließung werden sicher nicht einfach und sehr emotional, weil ein Kaufhaus etwas Besonderes ist. Die Kollegen sind wie eine große Familie und da hängt viel Herzblut dran", sagt sie.
MDR (jvo)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 18. Juni 2024 | 20:15 Uhr