Interview Arbeitspsychologe: "Dienst nach Vorschrift ist erstmal gut"
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14. März 2025, 15:37 Uhr
Eine neue Studie des Instituts Gallup sorgt für Diskussionen: 78 Prozent der deutschen Arbeitnehmer machen demnach nur noch Dienst nach Vorschrift. Doch was bedeuten diese Zahlen tatsächlich? MDR AKTUELL hat dazu mit Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig, gesprochen.
- Bindung an Unternehmen nimmt immer mehr ab
- Führung ist wichtiger Schlüssel zur Motivation der Mitarbeiter
- Beschäftigte haben pragmatischere Einstellung zur Arbeit
- Dienst nach Vorschrift heißt, der Mitarbeiter macht keinen Blödsinn
MDR AKTUELL: Herr Zacher, bezüglich "Dienst nach Vorschrift" gibt es drei Kategorien – eine hohe emotionale Bindung ans Unternehmen, keine emotionale Bindung und dazwischen "Dienst nach Vorschrift". Ist das trennscharf?
Hannes Zacher: Ich würde es nicht in Kategorien einteilen, sondern eher als Kontinuum sehen. Das kann man unterschiedlich messen. Gallup unterteilt das der Einfachheit halber in diese drei Kategorien.
Der Vorzug dieser Studie ist der langfristige Vergleich seit 2001. In diesem Jahr ist der Wert bei Dienst nach Vorschrift mit 78 Prozent so hoch wie nie. Wie interpretieren Sie das?
Die Bindung an Unternehmen nimmt immer mehr ab, gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Ich würde das aber nicht als Arbeitsmoral definieren, sondern eher die Frage stellen, wie Arbeit gestaltet wird: Inwiefern erfüllt die Arbeit bestimmte Bedürfnisse von Beschäftigten?
Der Begriff Arbeitsmoral oder "emotionale Bindung" suggeriert immer so ein bisschen, es liege an den Beschäftigten. In Wirklichkeit können Führungskräfte oder Unternehmen aber ganz viel tun, um Arbeit besser zu machen. Und da gibt es tatsächlich noch sehr viel Spielraum nach oben.
Zu diesem Schluss kommt auch das Gallup-Institut. Der Schlüssel wären Führungskräfte, die Mitarbeiter motivieren können. Was wäre denn gute Führung?
Führung ist ein ganz wichtiger Schlüssel. Wir sollten den Führungskräften aber auch nicht zu viel Verantwortung aufbürden. Es geht auch um Strukturen, die wir verbessern können.
Hannes Zacher Hannes Zacher ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig. Er promovierte an der Justus-Liebig-Universität Gießen und arbeitete anschließend an Universitäten in Australien und den Niederlanden. In seinem Forschungsprogramm untersucht er unter anderem die Themen berufliche Gesundheit und Wohlbefinden sowie Altern im Arbeitskontext und Laufbahnentwicklung. Er hat über 180 Artikel in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht. Universität Leipzig
Was Führungskräfte machen können, ist zum Beispiel, die Aufgaben gut zu strukturieren. Beschäftigten auch Projekte geben, wo sie geistig herausgefordert sind und sich als unabhängig erleben können. Zuhören und fragen, was man tun kann, um Beschäftigte bei der Arbeit weiterzuentwickeln.
Sie hatten schon drauf verwiesen, dass sich auch unsere Einstellung zur Arbeit oder die Erwartungen an Arbeitnehmer verändert haben könnten. Was hat sich denn Ihrer Ansicht nach gewandelt?
Ich denke, dass viele Beschäftigte eine immer mehr pragmatische Einstellung zu ihrer Arbeit haben. Viele Beschäftigte wissen, dass sie vielleicht nicht ihr ganzes Erwerbsleben im selben Unternehmen verbringen werden.
Das Interessante ist nämlich, dass es auch Umfragen gibt, die sagen, dass 70 oder 80 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit ihrer Arbeit sind. Das heißt, viele mögen ihre Arbeitsinhalte, aber zu ihrem Arbeitgeber haben viele ein eher distanziertes Verhältnis, und das bildet Gallup ab.
Nur 50 Prozent beabsichtigen laut dieser Gallup-Studie, in einem Jahr noch in derselben Firma zu sein. 2018 waren das noch 78 Prozent. Kann man sagen, dass deutsche Arbeitnehmer inzwischen genau die Flexibilität zeigen, die über Jahrzehnte von ihnen eingefordert wurde?
Ja. Berufliche Mobilität ist grundsätzlich etwas Gutes. Es führt ja auch zu Innovation, beispielsweise wenn man mal den Beruf wechselt, oder auch zu sozialem Aufstieg.
Man muss aber ein bisschen vorsichtig sein bei der Interpretation dieser Zahlen: Kündigungsabsichten sind häufiger als tatsächliche Kündigungen. Aber sie sind auch eine der besten Vorhersagefaktoren für tatsächliche Kündigungen, die wir kennen. Aber die meisten Menschen sagen, sie könnten sich vorstellen, woanders zu arbeiten. Die Frage ist, ob sie das dann tatsächlich in die Tat umsetzen.
Was kann uns diese Studie jetzt also zusammengefasst sagen?
Die Aussage ist ja auch, dass die meisten Menschen Dienst nach Vorschrift machen. Das finde ich erst einmal gut! Ein Dienst nach Vorschrift heißt auch, sie machen ihre Arbeit und machen keinen Blödsinn bei der Arbeit, also zeigen keine negativen Verhaltensweisen. Ich finde es auch okay, dass viele sagen, ich mache nur Dienst nach Vorschrift und meine Erfüllung im Leben suche ich mir in der Freizeit.
Da würde ich als Arbeitspsychologe sagen, wir müssen Unternehmen und Führungskräfte unterstützen, Arbeit besser zu machen. Und dazu gehört es, Erfolgserlebnisse zu ermöglichen, Autonomie zu ermöglichen – soziale Unterstützung, interessante Aufgaben. Da können wir viel tun. Und da liefert die Gallup-Umfrage gute Hinweise.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 14. März 2025 | 06:00 Uhr