Videoaufzeichnung Justizvertreter kritisieren Pläne zur digitalen Dokumentation von Strafprozessen
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14. März 2023, 12:03 Uhr
Bundesjustizminister Marco Buschmann will Gerichtsprozesse digitalisieren und Verhandlungen mit Bild und Ton aufzeichnen lassen. Eine Transkriptionssoftware soll daraus ein Textdokument erstellen. Das sei zuverlässiger und objektiver als eigene Aufnahmen, begründet das Ministerium. Vertreter der Justiz in Mitteldeutschland sehen das kritisch.
- Der Erfurter Richter Pröbstel kritisiert die Pläne von Justizminister Buschmann, weil sie mehr Arbeit bringen und eine Kamera Beteiligte verunsichern könnte.
- Oberlandesgerichte fürchten, das Aufnahmen von Gerichtsprozessen missbräuchlich in sozialen Netzwerken veröffentlicht werden könnten.
- Dem Deutschen Anwaltverein zufolge können Zeugenaussagen durch Aufnahmen besser überprüft werden.
Seit 30 Jahren ist Holger Pröbstel Vorsitzender Richter am Landgericht Erfurt. Zettel und Stift gehören für ihn im Gerichtsprozess dazu. Dass eine Videoaufzeichnung und eine Transkriptionssoftware ihm Arbeit abnehmen, kann er sich nicht vorstellen: "Das geht dem Richter eigentlich so in Fleisch und Blut über, dass er da mitschreibt. Wenn das transkribiert wird, muss man das auch erstmal alles lesen. Ich weiß gar nicht, wer das allein alles kontrollieren soll. Überlegen Sie mal, da sitzt jemand, der mit Dolmetscher arbeitet oder jemand, der einen Dialekt spricht."
Mit der Kontrolle der Textdokumente hätten die Gerichte am Ende noch mehr Arbeit, sagt Pröbstel. Außerdem glaubt der Vorsitzende des Thüringer Richterbunds, dass eine Kamera im Gerichtssaal die Beteiligten verunsichert: "Wenn Sie mal an einen sensiblen Prozess wie Missbrauch denken, wo eine Vernehmung für ein Opfer sowieso schon schwierig ist, und wenn Sie dann wissen, dass Ihre Aufnahme über diese Vernehmung möglicherweise sonst irgendwo landet, das wird unsere Arbeit nicht wirklich erleichtern."
Damit Aufnahmen nicht in die falschen Hände geraten, sieht der Gesetzentwurf Regeln zum Schutz der Persönlichkeitsrechte vor. Nur die Prozessbeteiligten sollen Zugang haben. Die Angeklagten dürfen die Aufzeichnung nur einsehen und nicht an sich nehmen. Doch Pröbstel ist skeptisch, dass das ausreicht.
Gefahr von Veröffentlichung in sozialen Netzwerken
Nicht nur er kritisiert die Pläne von Bundesjustizminister Buschmann. Auch die Präsidenten der Oberlandesgerichte lehnen seinen Entwurf ab. Die Gefahr einer missbräuchlichen Veröffentlichung in sozialen Netzwerken berge das Risiko einer Retraumatisierung von Opfern, schreiben die Richter in einer Stellungnahme.
Auch die Länder reagieren auf den Vorstoß skeptisch. Sachsen-Anhalts Justizministerium teilt dazu schriftlich mit: "Festzustellen ist, dass der Referentenentwurf hier schon aus rechtlichen Gründen als äußerst kritisch angesehen wird und wohl nicht zustimmungsreif sein dürfte, insbesondere mit Blick auf offene Fragen, was zum Beispiel die Gefährdung der Wahrheitsfindung und die Beeinträchtigung des Opferschutzes angeht."
Auch im sächsischen Justizministerium werden diese Bedenken geteilt. Diese müssten aufgelöst werden, teilt das Ministerium mit. Eine Modernisierung des Strafverfahrens werde aber im Grundsatz begrüßt.
Unterstützung für sein Vorhaben bekommt Buschmann dagegen vom Deutschen Anwaltverein. Die Übereinstimmung von Zeugenaussagen würde mit einer Aufzeichnung leichter prüfbar. Dass sich deutsche Richter noch handschriftliche Notizen machten, wirke aus der Zeit gefallen, meint der Anwaltverein.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 14. März 2023 | 06:00 Uhr