Homöopathische Kügelchen liegen in einer Hand.
Ärzte müssen Patienten über die Wirkweise homöopathischer Medikamente aufklären, wenn sie diese verschreiben. Bildrechte: picture alliance/dpa | Annette Riedl

Alternative Heilmethoden Woran Ärzte sich halten müssen, wenn sie Homöopathie verschreiben

26. August 2024, 11:09 Uhr

Homöopathie ist eine Glaubensfrage. Eine Patientin aus Leipzig erhielt von ihrer Ärztin dennoch ohne Aufklärung ein Rezept für homöopathische Tropfen. Ein Verstoß gegen die Informationspflichten, stellen Fachleute klar. Dessen ungeachtet kann sich die Patientin das Geld für das Mittel weiterhin von der Krankenkasse erstatten lassen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte angekündigt, diese freiwillige Leistung der Kassen zu verbieten. Das Vorhaben steht politisch aber vor dem Aus.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Alexander Laboda
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Astrid Richter* ist von ihrer Hals-Nasen-Ohren-Ärztin enttäuscht. Vor kurzem war die junge Frau aus Leipzig mit einer Mittelohrentzündung in Behandlung. Die Ärztin erklärte, dass sie ihr Ohrentropfen aufschreiben werde. Richter ging mit ihrem Rezept in die Apotheke im selben Haus, ließ sich die Tropfen aushändigen – und erlebte zu Hause eine Überraschung: Die Ohrentropfen waren homöopathisch.

Was ist Homöopathie? Homöopathie ist ein Verfahren der so genannten komplementären Medizin beziehungsweise der Alternativmedizin. Sie geht auf den Arzt Samuel Hahnemann zurück, der seine Ideen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt hat.

Die Homöopathie geht davon aus, dass Substanzen, die bei einem gesunden Menschen bestimmte Symptome auslösen, ähnliche Beschwerden bei Kranken lindern. Nach dem Leitsatz "Heile Ähnliches durch Ähnliches" soll zum Beispiel Kaffee ein Heilmittel gegen Schlaflosigkeit sein.

Homöopathische Mittel werden oft in Zuckerkügelchen, den Globuli, verabreicht, aber auch flüssig und als Tabletten angeboten. Die Präparate enthalten meist stark verdünnte Ausgangsstoffe. Dabei soll die Wirkung umso stärker sein, je mehr verdünnt wird. Viele Mittel sind so stark verdünnt, dass sie tatsächlich keinen Wirkstoff mehr enthalten.

Trotz vieler groß angelegter und aussagekräftiger Studien ist für kein homöopathisches Mittel eine Wirksamkeit über Placebo hinaus nachgewiesen. Für das behauptete Wirkprinzip gibt es keine plausible naturwissenschaftliche Grundlage. Quelle: Gesundheitsinformation.de

Konkret handelte es sich um das Präparat Otovowen. Richter ärgerte sich: "Ich würde mir selbst nie ein homöopathisches Mittel kaufen, weil ich das für wirkungslos halte. Weder die Ärztin noch die Apothekerin haben auch nur mit einem Wort darauf hingewiesen. Da frage ich mich, dürfen die das einfach so aufschreiben und herausgeben?"

Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten über das verordnete Arzneimittel und über Kassen- oder Privatrezept aufzuklären.

Erik Bodendieck Präsident Landesärztekammer Sachsen

Die Antwort ist eindeutig: Nein, die Ärztin hätte darauf hinweisen müssen, dass sie ein homöopathisches Mittel verschreibt. Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, erklärt: "Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten über das verordnete Arzneimittel und über Kassen- oder Privatrezept aufzuklären." Ärzte dürften aber grundsätzlich im Rahmen der Therapiefreiheit auch homöopathische Arzneimittel verschreiben.

Homöopathie zumeist auf Privatrezept

Die Ärztekammer weist außerdem darauf hin, dass die Patientin aufgrund der Farbe des Rezepts stutzig hätte werden können. Die allermeisten homöopathischen Arzneimittel sind nämlich nicht verschreibungspflichtig. Daher hat die Patientin ein grünes Rezept erhalten beziehungsweise eine Empfehlung für ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Die Kosten für solche Arzneimittel müssen Patienten selbst bezahlen.

Astrid Richter gibt an, dass sie die Farbe des Rezepts nicht gesehen hat, weil es sich um ein E-Repezt handelte. Und auch über die Zahlung von 14 Euro für das Medikament wunderte sie sich zunächst nicht, obwohl die Höchstgrenze für die Zuzahlung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten bei 10 Euro liegt.

Rotes oder grünes Rezept? Bei den ehemals gedruckten Rezepten konnte man an der Farbe erkennen, ob es sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament handelt, das von der Krankenkasse bezahlt wird. Diese Rezepte waren rot.

Ein grünes Rezept enthält hingegen lediglich Empfehlungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Sie müssen selbst bezahlt werden oder können auf Antrag im Nachhinein erstattet werden, falls die Kasse das für eben jenes Medikament freiwillig anbietet.

Mit dem E-Rezept ist die Möglichkeit der farblichen Unterscheidung weitgehend verschwunden. Wer das E-Rezept mit der Karte von der Krankenkasse einlöst, kann diese farbliche Unterscheidung nicht sehen. Ob diese Information in den E-Rezept-Apps sichtbar ist, hänge vom jeweiligen Softwareanbieter ab, teilte das mit der Einführung beauftragte Unternehmen Gematik mit.

Verbraucherschützer sehen ohnehin die Ärzteschaft in der Pflicht. Der Teamleiter für den Bereich Gesundheit und Pflege beim Verbraucherzentrale Bundesverband, Thomas Moormann, sagte MDR AKTUELL: "Es ist keine Holschuld des Patienten, danach zu fragen, ob er ein verschreibungspflichtiges oder ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament erhalten hat."

Ärztliche Informationspflicht

Im konkreten Fall habe die Ärztin ihre Auskunfts- und Informationspflichten nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch verletzt: "Die Ärztin muss darüber aufklären, dass sie ein Arzneimittel mit besonderer Wirkungsweise verschreibt." Dazu gehöre auch der Hinweis, dass dieses Mittel nicht den Nachweis der Wirksamkeit erbringen musste wie andere Medikamente.

Informationspflichten im Rahmen eines Behandlungsvertrages In Paragraph 630c des Bürgerlichen Gesetzbuches steht: "Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen." www.gesetze-im-internet.de

Tatsächlich gelten für die Zulassung homöopathischer Arzneien andere Regeln als für die pharmazeutische Schulmedizin. Um den Nachweis der Wirksamkeit zu führen, reicht es bei homöopathischen Präparaten etwa aus, sogenanntes "anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial" vorzulegen. Das können je nach Schweregrad der zu behandelnden Krankheit auch einzelne Buchveröffentlichungen oder Literaturübersichten sein. Über die Zulassung entscheidet eine Kommission, der teils Homöopathen selbst angehören.

Apothekerin muss Wirkungsweise nicht erklären

Doch zurück zum Fall von Astrid Richter. Wäre nicht auch die Apothekerin verpflichtet gewesen, die Patientin über die homöopathische Behandlung aufzuklären? Nein, sagt Anna Lihs vom Thüringer Apothekerverband: "Die Apothekenbetriebsordnung sieht vor, dass wir insbesondere über die Anwendung und Wechselwirkungen von Medikamenten aufklären müssen." Eine Pflicht zur Aufklärung über die Wirkungsweise bestehe nicht.

Eine Mitarbeiterin der Achat Apotheke in Mitte greift nach freiverkäuflichen Arzneimitteln.
Nach Angaben des Verbandes klassischer Homöopathen gaben die Deutschen 2022 gut 600 Millionen Euro für apothekenpflichtige homöopathische Arzneimittel aus. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Es sei daher eine Frage der individuellen Berufsauffassung, wie Apothekerinnen und Apotheker mit dem Thema umgehen. "Wenn jemand mit kleineren Beschwerden, aber ohne ärztliche Verordnung zu mir an den Tresen kommt, frage ich in der Regel, ob die Person pflanzliche, homöopathische oder schulmedizinische Mittel haben möchte. Das ist aber eine Frage des persönlichen Stils." Komme eine Person mit Rezept vom Arzt, müsse davon ausgegangen werden, das eine Aufklärung stattgefunden hat.

Gesetzliche Pflichten der Apotheke In Paragraph 20 der Apothekenbetriebsordnung steht unter anderem: "Die Beratung muss die notwendigen Informationen über die sachgerechte Anwendung des Arzneimittels umfassen, soweit erforderlich, auch über eventuelle Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen, die sich aus den Angaben auf der Verschreibung sowie den Angaben des Patienten oder Kunden ergeben, und über die sachgerechte Aufbewahrung oder Entsorgung des Arzneimittels."

Streit um Erstattung

Astrid Richter* ist bei der IKK Classic versichert. Daher könnte sie sich die 14 Euro, die sie für die Ohrentropfen bezahlt hat, von ihrer Krankenkasse sogar erstatten lassen. Die Kasse übernimmt freiwillig bis zu 50 Euro jährlich für "Alternative Arzneimittel".

Über diese Erstattungen wird momentan politisch diskutiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte im Januar an, die Finanzierung homöopathischer Behandlungen durch gesetzliche Kassen zu streichen. Allerdings ist von diesen Plänen derzeit nicht viel übrig. Aus dem entsprechenden "Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz" (GSGV), das derzeit im Bundestag verhandelt wird, wurde der Passus im Frühjahr gestrichen – offenbar auf Druck der Grünen im Bundeskabinett.

Laut früheren Medienberichten hofft der Minister, dass das Vorhaben in den parlamentarischen Verhandlungen wieder ins Gesetz kommt. Darauf deutet aber nichts hin. Keine Fraktion hat sich öffentlich dafür stark gemacht. In der ersten Lesung im Bundestag fiel das Wort Homöopathie kein Mal.

Mitteldeutsche Politiker sehen geringes Einsparpotenzial

Die Thüringer SPD-Gesundheitspolitikerin Tina Rudolph, Mitglied im Gesundheitsausschuss, erklärte im Gespräch mit MDR AKTUELL, dass sie zwar dafür sei, die Erstattung zu streichen. Bei der Aushandlung des GSGV, in dem es um eine Vielzahl vom Maßnahmen geht, seien für sie aber andere Themen wichtiger: "Ich muss klar sagen, dass ich weniger bereit wäre, dafür vielleicht eine andere Sache aufzugeben, die mir besonders wichtig ist in diesem Gesetz oder die uns als SPD besonders wichtig ist", sagte die Abgeordnete aus Eisenach. Rudolph verwies auf die vergleichsweise geringen erwarteten Einsparungen in Höhe von 20 bis 50 Millionen Euro. Der Gesamtetat der Gesetzlichen Krankenkassen liegt bei über 300 Milliarden Euro.

Tino Sorge (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion
Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion aus Magdeburg. Bildrechte: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Ähnlich äußerte sich die Opposition. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Magdeburger Abgeordnete Tino Sorge, teilte schriftlich mit: "Phantomdebatten um homöopathisch kleine Einsparungen werden unser Gesundheitssystem auf Dauer nicht stabilisieren." Wobei auch Sorge grundsätzlich der Ansicht ist, dass "Mittel ohne jeden wissenschaftlich belegten Nutzen" nicht auf "Kosten der Solidargemeinschaft" finanziert werden sollten.

Im Herbst wird im Gesundheitsausschuss und hinter den Kulissen weiter verhandelt. Die Schlussdebatte im Bundestag könnte nach Einschätzung von CDU-Politiker Sorge im Oktober oder November stattfinden – "vorausgesetzt, der Ampel gelingt eine Einigung."

Angefragte Gesundheitspolitiker der Grünen und der FDP äußerten sich nicht zu den laufenden Verhandlungen.

*Name von der Redaktion geändert.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 26. August 2024 | 09:17 Uhr

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