Schilder an einer imaginaeren Baustelle. Verkehrszeichen 250 (Verbot fuer Fahrzeuge aller Art) in runder Form, ein Zusatzschild mit der Aufschrift: "Fairness Abkommen" an einem Schildermast und im Hintergrund das Schild Zeichen 123 Arbeitsstelle bzw. Baustelle vor dem Berliner Reichstagsgebaeude bei sonnigem Wetter und blauen Himmel mit einer wehenden Deutschlandflagge. 17 min
Das Interview mit Lutz Hagen in voller Länge: Was taugt das Fairness-Abkommen einiger Parteien vor der Bundestagswahl? Bildrechte: picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE

Interview Was taugt das Fairness-Abkommen vor der Bundestagswahl?

05. Januar 2025, 07:32 Uhr

Erst kürzlich haben sich SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und die Linke auf ein Fairnessabkommen im Bundestagswahlkampf geeinigt. Persönliche Herabwürdigungen oder Angriffe auf Politiker sollen damit verhindert werden. Im Interview mit MDR AKTUELL spricht der Professor für politische Kommunikation Lutz Hagen von der TU Dresden über den Sinn sowie die Wirksamkeit solcher Vereinbarung.

MDR AKTUELL: Denken Sie, dass dieses Fairnessabkommen tatsächlich eine hervorgehobene Rolle in den Strategien der Parteien spielen wird?

Lutz Hagen: Auf alle Fälle ist es ein wichtiges Thema. Nach dem krachenden Aus der Ampelkoalition und vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund von Veränderungen in der politischen Kultur-Kommunikation, die sehr eng mit den Veränderungen im Mediensystem zusammenhängen. Mit dem, was wir die digitale Transformation der Öffentlichkeit, mit den sozialen Netzwerken und allem, was da dranhängt, wie der Aufmerksamkeitsökonomie und so weiter in Verbindung bringen.

Schilder an einer imaginaeren Baustelle. Verkehrszeichen 250 (Verbot fuer Fahrzeuge aller Art) in runder Form, ein Zusatzschild mit der Aufschrift: "Fairness Abkommen" an einem Schildermast und im Hintergrund das Schild Zeichen 123 Arbeitsstelle bzw. Baustelle vor dem Berliner Reichstagsgebaeude bei sonnigem Wetter und blauen Himmel mit einer wehenden Deutschlandflagge. 17 min
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Ist es jetzt also an der Zeit gewesen einen solche Hinweis mit diesem Abkommen in die Welt zu schicken?

Ich finde das nicht verkehrt. Solche Abkommen hat es schon mal gegeben. Ich glaube schon 1980, als sich Franz Josef Strauß und Helmut Schmidt gegenüberstanden und schon noch eine ganz anderer, durchaus aggressiverer Ton in der Parlamentsdebatte und in den politischen Diskursen üblich war.

Hat es das damals gebraucht?

Ich weiß nicht, was es gebracht hat. Aber ich weiß, dass damals eine Schiedsstelle eingerichtet wurde. Aber ich denke, es hat nicht alle Schärfen aus dem damaligen Wahlkampf genommen.

Beobachter glauben, dass mit diesem Abkommen jetzt eigentlich die AfD angesprochen werden soll, die immer wieder Grenzen austestet im politischen Umgang. Haben diese Beobachter recht?

Die AfD ist sicherlich ein wichtiger Akteur und ein Symbol für bestimmte Entwicklungen in den Diskursen. Dass man also ordentlich draufhaut mit Äußerungen, die vielleicht jenseits des guten Geschmacks und der Fairness

Wer fällt ihnen noch ein?

Mir fallen viele Akteure ein, die gar nicht zu den Parteien gehören. Es gibt Einmischung von außen. Russland versucht, in allen westlichen Demokratien Einfluss zu nehmen. Und es gibt eine gewachsene Struktur und Kultur in den sozialen Netzwerken, die vielleicht mit einigen Parteien wie der AfD zusammenhängt, aber die nicht mit ihr identisch ist. Die Medien in der Bundesrepublik haben lange Jahrzehnte bestimmte Akteure aus den Diskursen rausgehalten. Das gilt vor allen Dingen für solche, die demokratiefeindlich weit außen stehen. Und die haben sich mit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke dort eine Infrastruktur aufgebaut, die auch im Wahlkampf zum Einsatz kommt.

Erst vor Kurzem hat Elon Musk in einer deutschen Zeitung für die AfD geworben. Sind das die Grenzen dieses Fairnessabkommens oder gehört das dazu?

Elon Musk gehört keiner deutschen Partei an. Somit ist er vom Fairnessabkommen nicht betroffen. Die Diskussion geht zum Teil darum, ob die überregionale Tageszeitung "Die Welt" richtig gehandelt hat. Wie häufig geht es da um den Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und anderen Rechten. Wenn man es rechtlich betrachtet, dann ist da gar nichts einzuwenden. Die andere Frage ist die der politischen Kultur. Wollen wir das? Dass man einem Menschen wie Elon Musk, der gerne viel Öl ins Feuer gießt, so viel Platz einräumt und seine Stimme in einer überregionalen deutschen Zeitung verstärkt?

Ich höre bei Ihnen ein bisschen Verständnis raus und frage mich warum. Es gibt diese ungeschriebene Regel, dass sich nicht von außen eingemischt wird in einen Wahlkampf. Und Elon Musk ist nun ziemlich deutlich von außen reingeplatzt.

Es ist ein Menschenrecht, seine eigene Meinung zu äußern. Das kann man auch Herrn Musk nicht verwehren. Die Frage ist, wie wichtig man das nimmt. Verständnis habe ich auch aus einer ökonomischen Sicht für Medien, die schauen müssen, dass sie Aufmerksamkeit bekommen und dann eben auch auf Negativismus, Provokation und so weiter setzen. Das heißt aber nicht, dass ich diese Entwicklung gesamtgesellschaftlich gut finde. Ich finde die ziemlich gefährlich. Aber es ist aus verschiedenen Gründen nicht so ganz einfach zu sagen, was man dagegen tun kann.

Union, SPD, die Grünen, FDP und die Linke haben unterschrieben. Wenn man sich das Abkommen durchliest, dann finde ich, sind  darin Selbstverständlichkeiten formuliert. Zum Beispiel “keine Gewalt gegen Wahlkämpfer”. Was lernen wir daraus?

Was ist selbstverständlich? Sie kennen schlimme Vorfälle. Auch hier in Dresden ist ein SPD-Politiker krankenhausreif geschlagen worden. Wir alle kennen die Zerstörung und zwar nicht nur von Plakaten einer Partei. Sondern von allen möglichen Parteien, auch der AfD. Das ist auch zumindest eine Ordnungswidrigkeit. Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass man das nicht tut. Trotzdem geschieht es. Wenn wir jetzt nicht über Gewaltakte reden, sondern eher darüber, welche Grenzen für die Wortwahl und für die Art der Diskurse vorgeschlagen wird, da ist es erst recht sehr schwierig. Ich habe die Meinungsfreiheit schon angesprochen, die in unserer Verfassung ein sehr hohes Gut ist, weit vorne in den Grundrechten steht und die immer wieder mit anderen Rechten in Konflikt kommt. Aber wo auch oft durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts klar gemacht worden ist, dass es ein besonders hohes Gut ist. Das bedeutet für den Wahlkampf, dass man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen muss. Das ist in der Vergangenheit auch nicht geschehen. Wenn die Parteien sich jetzt selbst dazu verpflichten, dann ist das erst mal eine allgemeine Absichtsbekundung, wo man dann im Detail nicht so genau sagen kann was fällt darunter fällt.

Wenn sich Kanzler Olaf Scholz zum Beispiel über Herausforderer Friedrich Merz ärgert und diesen herabwürdigt mit Aussagen wie “Fritze Merz erzählt gerne Tünkram”. Kann das noch respektvoll sein?

Besonders respektvoll ist es nicht. Aber ich meine, Wahlkampf ist Wahlkampf. Da hat es in der Vergangenheit ganz andere Beleidigungen gegeben. Der Grüne Joschka Fischer hat mal den Bundestagspräsidenten als “Arschloch” bezeichnet. Herbert Wehner hat einen CDU-Abgeordneter namens Wohlrabe als “Ölkrähe” bezeichnet. Franz Josef Strauß nannte linke Aktivisten “Ratten” und “Schmeißfliegen”. Das ist noch mal eine ganz andere Kategorie. Das heißt nicht, dass das alles gut ist, aber wenn sich alle nur streicheln, wäre das vielleicht auch nicht zweckdienlich. Es geht schon darum, dass man überspitzt. Das ist ein Grund, warum zum Beispiel Satire sehr viel darf in Deutschland. Das, was man der Satire und dem Kabarett zugesteht, das sollte man, glaube ich, Politikerinnen und Politikern nicht verbieten.

Also wenn der CSU-Chef Markus Söder dann zum Beispiel sagt, Olaf Scholz sei kein Vorbild mehr für die Demokratie und der peinlichste Bundeskanzler, den das Land je gehabt hätte. Das geht dann doch durch?

Also ich denke, dass es zumindest rechtlich nicht zu beanstanden ist. Von besonderer Feinfühligkeit zeugt es nicht. Söder hat Scholz auch schon mal wegen seines angeblich schlumpfigen Grinsens beleidigt. Das Abkommen sagt darüber aber gar nichts aus, wo da die Grenze ist. Es ist nur allgemein: “Wir wollen ein bisschen netter zueinander sein und wir wollen uns eben nicht persönlich herabwürdigen”. Wir werden sehen, wie sich das im Wahlkampf tatsächlich dann auswirkt.

Wie würden Sie so eine Grenze formulieren wollen?

Was gar nicht geht, ist die sogenannte Schmähkritik. Also wenn man jemand anderen kritisiert, nur um ihn in seiner Persönlichkeit zu verletzen. Wenn jetzt Söder sagt, das ist der schlechteste Kanzler, den wir hatten. Dann muss man die Frage stellen, ob das eine sachliche Behauptung ist, nur eine Wertung oder ist es irgendwas dazwischen. Da wird es ganz schwer, das als unzulässig zu brandmarken. Auch wenn es ganz klar ein unfreundlicher Stil ist und Herr Söder auch damit rechnen muss, dass das in Teilen auf ihn zurückfällt.

Würden Sie sagen, dieser Ampelbruch hat im politischen Umgang vieles kaputt gemacht?

Das würde ich nicht sagen, weil der Ampelbruch eher ein Symptom für andere Entwicklungen ist. Die eine Entwicklung ist die Fragmentierung und Polarisierung nicht nur des Parteiensystems, sondern der ganzen öffentlichen politischen Meinung. Das hat zur Folge, dass wir auf einmal Koalitionen haben, die ein zu weites politisches Feld überspannen und so große Unterschiede überbrücken müssen, dass das manchmal einfach wirklich schwer fällt. Das ist der Grund, warum alle irgendwie nach neuen Regeln suchen und dieses Abkommen vielleicht nicht so streng beurteilt werden sollte, würde ich sagen. Es ist oberflächlich, lückenhaft und zunächst nur eine Absichtserklärung. Aber es stößt diese Diskussion an oder führt sie fort, wie wir eigentlich miteinander umgehen sollten.

MDR(mbe)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 05. Januar 2025 | 05:00 Uhr

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