
Unter der Lupe - die politische Kolumne Laut, lauter, Wahlkampf – Wie der Ton kurz vor der Bundestagswahl rauer wird
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16. Februar 2025, 05:00 Uhr
Die Temperaturen sind eisig. Die Gemüter dafür überhitzt. Im Plenum wird so laut und zum Teil persönlich gestritten wie selten. Der Bundestag wurde zuletzt mehr und mehr zur Wahlkampfarena. In der Sache wurde wenig beschlossen, dafür umso intensiver diskutiert und ganz nebenbei manches Wahlprogramm vorgetragen. Auch der Kanzler zeigt inzwischen deutlich Nerven.
- Die Debatten im Plenum sind in den vergangenen Wochen oft hitzig ausgetragen worden – zuletzt angefeuert durch die von der Union angestoßene Asyldebatte.
- Ordnungsrufe sind regelmäßig Teil parlamentarischer Debatten. Ihr Meister bleibt jedoch der langjährige SPD-Fraktionschef Herbert Wehner.
- Inzwischen bestimmt oftmals die AfD die Tonalität im Bundestag.
Der eine sei ein Hofnarr, der andere ein Arsch. Der Kanzler teilt aus gegen Politiker und Journalisten. Beteiligte einer Privatparty berichten von unschönen Szenen. Scholz habe die Haltung und den Anstand verloren. Wer nicht dabei war, kann nur staunen und es glauben oder nicht. Auch der Kampf um die Deutungshoheit lässt nicht lange auf sich warten.
Dass der Kanzler in einem Gespräch den schwarzen Kultursenator, Joe Chialo aus dem CDU-Bundesvorstand, als Hofnarren bezeichnet haben soll, schlägt Wellen. Das war Rassismus, rufen die einen. Die Junge Union fordert den Rücktritt des Kanzlers. Das war kein Rassismus, rufen die anderen und suchen schnell nach Fehltritten auf der anderen Seite. Die SPD hat das Zitate-Archiv von Friedrich Merz aufgemacht und festgestellt, dass sein Pascha-Vorwurf in einer Talk-Show 2023, mit Blick auf Kinder mit Migrationshintergrund auch beleidigend war.
Wahlkampf mit harten Bandagen
Willkommen im Wahlkampf. So emotional, so polarisierend war er wohl schon lange nicht mehr. Dabei ist es müßig herauszufinden, wer Recht hat und wer nicht. Die Wahrheit ist hier längst auf der Strecke geblieben. Der Kanzler zeigt Nerven und wirkt, wenn auch in einem privaten Umfeld, in dieser Situation zumindest nicht souverän. Überhaupt ist es laut geworden in den letzten Wochen im Plenum.
Durch die von der Union angestoßene Asyldebatte hat sich die Temperatur im Plenarsaal noch einmal erhöht. Die Rededuelle sind seitdem hitziger geworden, der Gegenprotest ebenso. Vieles wirkt in diesen Tagen grundsätzlich, manches auch moralisch überhöht. Der Kanzlerkandidat der Union ist ohne Not vorgeprescht. Dass sich der SPD-Fraktionschef dabei gleich an das Tausendjährige Reich erinnert fühlt, trägt auch nicht zur Versachlichung bei. Dabei ist es durchaus wichtig, wenn es in Debatten mal richtig zu Sache geht. In der Sache streiten tut dem Plenum gut. Doch einige Abgeordnete überschreiten dabei auch mal Grenzen. Dann wurde und wird es gern auch persönlich. Manches wirkt rückblickend allerdings auch unterhaltsam.
"Schwein, Arschloch, Übelkrähe"
Der Meister der Ordnungsrufe bleibt wohl das sächsische Urgestein Herbert Wehner. Der langjährige SPD-Fraktionschef wurde vor allem gegenüber Abgeordneten der CDU persönlich belustigend, gern auch beleidigend. Dem CDU-Abgeordneten Möller soll er einmal zugerufen haben: "Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus." Den CDU-Abgeordneten Wohlrabe beschimpfte er als "Übelkrähe" und warf ihm den fast schon legendären Satz an den Kopf: "Sie sind ein Schwein. Wissen Sie das?" Dem CSU-Vorsitzenden Strauß warf Wehner vor, ein "geistiger Terrorist" zu sein. Der Grünen-Politiker Joschka Fischer prägte den berühmten Satz: "Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!" Dafür hat er sich später entschuldigt. CSU-Politiker Andreas Scheuer nannte SPD-Innenminister Otto Schily bei seiner ersten Rede im Plenum einen "griesgrämigen Kabinettsgrufti". Na bitte, früher war eben auch nicht alles besser.
AfD provoziert Ordnungsrufe
Und heute? Heute bestimmt oftmals die AfD die Tonalität. Mit dem Einzug der AfD in den deutschen Bundestag ist es lauter und härter geworden. Die Zahl der Ordnungsrufe hat seit 2017 zugenommen. Das Durchbrechen der parlamentarischen Gepflogenheiten ist für die Abgeordneten am rechten Rand des Plenarsaals Teil ihrer Strategie. Ordnungsrufe seien für die AfD wie Trophäen, so hat es die scheidende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) aus ihrer Wahrnehmung einmal geschildert. Sie empfinde es zudem oftmals als diskriminierend. "Kindermörder", "migrantische Langfinder", "Kopftuchmädchen".
Die AfD lebe von der Provokation. Bei der letzten Debatte im Bundestag konnte sich Bas einen Seitenhieb nicht verkneifen. Auf die Bitte von AfD-Fraktionschefin Weidel, die Zwischenrufe der Grünen zu unterbinden, antwortete Bas. "Das können Sie Ihrer eigenen Fraktion ja auch mal sagen, die hier permanent reinrufen." Ganz neutral war das wohl auch nicht. Der Bundestagswahlkampf endet wie die Ampel selbst mit viel Tam, Tam und beginnt hoffentlich mit lebendigen Debatten über Bildung, Wirtschaft und Familien.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 16. Februar 2025 | 06:00 Uhr