Nach Razzia Fachleute: Reichsbürger und Unterstützer gefährlich für die Demokratie
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12. Dezember 2022, 18:24 Uhr
Fachleute haben keinen Zweifel: Von der Reichsbürger-Szene und dem angrenzenden rechtsextremistischen Milieu geht eine große terroristische Gefahr aus. Die Gruppe, gegen die sich vergangene Woche die deutschlandweite Razzia richtete, verfügte über das Know-how, um Anschläge zu verüben. Die Sicherheitsbehörden müssen nach Ansicht der Experten jetzt mehrere Konsequenzen ziehen.
- Die groß angelegte Razzia gegen eine Reichsbürger-Gruppierung spiegelt nach Ansicht von Experten eine reale Gefahr wider, könnte aber zusätzlich auch ein Signal der Sicherheitsbehörden darstellen.
- Fachleute vermuten außerdem ein größeres Netzwerk, das noch aufgedeckt werden könnte.
- Nach Ansicht der Experten müssen die Sicherheitsbehörden mehrere Konsequenzen ziehen, etwa eine systematische Suche von Demokratiefeinden in den eigenen Reihen.
Nach der bundesweiten Razzia gegen sogenannte "Reichsbürger" gehen Fachleute einhellig von einem großen Gefahrenpotential durch die verhaftete Gruppe aus. "Wie gefährlich die Gruppe ist, hat man allein daran sehen können, dass die Sicherheitsbehörden mit starken Kräften vorgegangen sind", sagte der Publizist und Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit dem MDR. Die Behörden hätten offenbar Angst vor Übergriffen oder gar Schießereien gehabt.
Speit erklärte, die Gruppe sei wegen ihrer Militanz, Radikalität und des beteiligten Personals besonders. "Wir haben es mit Menschen aus dem adeligen Milieu, aus dem AfD-Spektrum und dem Sicherheitsbereich zu tun, also auch aus der Mitte der Gesellschaft."
Signal an die Öffentlichkeit
Bei der Razzia waren vergangene Woche 3.000 Polizeibeamte im Einsatz, darunter sämtliche Spezialeinheiten von Bund und Ländern. 150 Wohn- und Geschäftsobjekte wurden durchsucht, 25 Personen als Mitglieder oder Unterstützer einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung festgenommen. Sie sollen einen politischen Umsturz und einen bewaffneten Überfall auf den Bundestag geplant haben.
Die Sicherheitsbehörden wollten sicherlich auch ein öffentliches Zeichen setzen.
Der RBB-Journalist und Szenekenner Olaf Sundermeyer sprach am Montag im Deutschlandfunk ebenfalls von einer "gefährlichen Bewegung". Zugleich vermutete er mit Blick auf die Ausmaße des Einsatzes auch ein Kalkül von Polizei und Justiz. "Die Sicherheitsbehörden wollten sicherlich auch ein öffentliches Zeichen setzen. Das ist gelungen". Es bleibe noch abzuwarten, wohin die Ermittlungsergebnisse weiter führten.
Größeres Netzwerk vermutet
Der Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler von der Hochschule Düsseldorf geht indes von weiteren potenziellen Tätergruppen aus. "Es ist zu vermuten, dass dort weitere Netzwerke existieren", sagte er. "Die Protagonisten der Szene sind nicht nur gewaltbereit, sondern fühlen sich durch gesamtgesellschaftliche Umstände auch ermächtigt, gegen Andersdenkende und staatliche Organe vorzugehen."
Ein besonderes Alarmsignal ist nach Ansicht von Häusler darin zu sehen, dass die Szene offensiv im Sicherheitsbereich um Unterstützer werbe. Gerade in Sicherheitskreisen müsse daher jetzt genau hingeschaut werden.
Know-how für Anschläge
Auf die Beteiligung militanter Kräfte verweist auch der in Leipzig lebende Journalist und Autor Michael Kraske. Es seien ehemalige Elitesoldaten und Polizeibeamte beteiligt. "Das heißt, hier sind Leute aus den Sicherheitsbehörden, die über das Wissen und Know-how verfügen, mit Waffengewalt vorzugehen", sagte Kraske dem Deutschlandfunk. "Es ist davon auszugehen, dass die in der Lage waren, mindestens Anschläge zu verüben, bei der Leib und Leben bedroht sind."
Wir haben es mit hybriden Protestgemeinschaften mit verschiedenen Gruppen zu tun, denen es darum geht, unser System abzuschaffen.
Als eine Konsequenz fordert Kraske eine "systematische Suche" von Staatsfeinden in Polizei, Justiz und Bundeswehr. Außerdem dürfe die AfD nicht weiter verharmlost werden. Rechte Proteste, gemeint sind etwa Demonstrationen gegen die Ukraine-Politik, müssten neu bewertet werden: "Wir haben es mit hybriden Protestgemeinschaften mit verschiedenen Gruppen zu tun, denen es darum geht, unser System abzuschaffen", sagt Kraske.
Der Leipziger Politikwissenschaftler Johannes Kiess foderte am Wochenende im Interview mit dem NDR noch weitere Konsequenzen. Neben dem harten Durchgreifen durch die Ermittlungsbehörden brauche es jetzt eine konsequente Strafverfolgung, forderte er. Kiess drängt außerdem auf eine Verschärfung des Waffenrechts: "Menschen, die sich gegen unsere Demokratie wenden, sollten keine Waffen besitzen."
Reuters/dpa/MDR (ala)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 12. Dezember 2022 | 15:18 Uhr