Der Redakteur | 17.11.2022 Wahlrecht: Wie kann die junge Generation mitbestimmen?
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17. November 2022, 15:15 Uhr
Wählen ab 16, Familienwahlrecht oder Wahlführerschein, die Ideen, wie die junge Generation mehr Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen bekommt, sind vielfältig. Fest steht, dass die Fridays-for-Future-Bewegung gezeigt hat, dass junge Menschen mitsprechen wollen, wenn politische Entscheidungen Konsequenzen für nachfolgende Generationen haben. Doch wie wahrscheinlich ist eine Wahlrechtsreform und welche Optionen können real werden? Redakteur Thomas Becker hat dazu recherchiert.
Es ist ein bisschen wie beim Mikado. Wenn man an irgendeiner Stelle vorankommen will, wackelt es anderswo bedenklich. So ähnlich ist es auch mit der gut gemeinten Idee, der Generation mehr Mitsprache zu ermöglichen, die von den jetzigen Entscheidungen der Politik am meisten betroffen ist.
Klimawandel, Digitalisierung, Schuldenbremse
Machen wir es doch einmal konkret. Der Weltklimarat IPCC hat nach der Auswertung von 6.000 Studien schon 2018 gewarnt, dass auch in Deutschland die Veränderungen direkt spürbar werden. Schon in den nächsten 20 Jahren werden mehr Niederschläge in den Alpenregionen erwartet und Trockenheit ab Franken nordwärts. Gletscher werden verschwinden und die Flusspegel ansteigen. Wissenschaftler der HafenCity Universität Hamburg haben die Auswirkungen gerade konkret sichtbar gemacht: In ihrer Simulation liegen die Altstadt von Finkenwerder, das Werksgelände von Airbus und große Teile des Alten Lands in 80 Jahren unter Wasser.
Das heißt aber auch: Es kann schon viel früher ziemlich ungemütlich werden an den deutschen Küsten. Ist diese Entwicklung für Jugendliche nicht viel relevanter als für heute 80-Jährige? Müssten diese nicht alleine schon deshalb die Hand heben dürfen – auch bei Digitalisierung und Schuldenbremse? Doch wie soll das praktisch aussehen?
Vom Familienwahlrecht bis Wahlführerschein
Die aktuellen politischen Versuche, das Wahlalter auf 16 zu senken, haben alle ein Geschmäckle. Zu deutlich verlaufen die Linien zwischen den Parteien dort, wo sie die eigenen Wählergruppen vermuten. Mitunter geht das auch schief, wie der Verfassungsrechtler Prof. Michael Brenner von der Uni Jena anmerkt, weil nämlich die Jungwähler bei der letzten Wahl die FDP für die hippere Truppe hielten.
Wie die letzte Bundestagswahl gezeigt hat, haben viele Jungwähler die FDP gewählt und das war sicher nicht der Plan der Grünen oder der SPD.
Nun ist es aber auch nicht so, dass die junge "Klima-Generation" ein komplett erwachsen wirkendes Gesamtbild abgibt. Freitags Demo statt Schule und beim unsachgemäßen Umgang mit Lebensmitteln in Museen oder mit Klebstoffen auf Verkehrswegen sind junge Leute auch überdurchschnittlich vertreten. Ist das nun eine gute Bewerbung für das Wählen ab 16?
Alternativ steht der Vorschlag im Raum, Familien zusätzliche Stimmen für Kinder zu geben. Abgesehen von der rein praktischen Frage, wer sich bei unterschiedlichen Parteipräferenzen von Mama und Papa durchsetzt, verstößt die Idee gegen die Grundsätze von Demokratie, Wahlrecht und Verfassung.
Das gilt auch für den Wahlführerschein für unter 18-Jährige. Der Psychologe Prof. Gerd Gigerenzer, der das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung geleitet hat und Mitglied der Leopoldina ist, plädiert schon lange dafür, jungen Leuten zu ermöglichen, in einer kleinen Prüfung frühzeitig die Wahlberechtigung zu erhalten. Dafür könne man ein halbes Jahr vor einer Wahl kleine Büros einrichten, in die interessierte junge Leute gehen können. Flankiert von altersgerechten Bildungsangeboten auf den Kanälen, die die jungen Leute nutzen.
Wenn ein 12-Jähriger zum Beispiel das Prinzip der Gewaltenteilung versteht oder die grundlegenden Unterschiede zwischen einer Demokratie und einer Autokratie und einen solchen Test besteht, dann soll er wählen gehen dürfen.
Wäre da nicht die Verfassung…
Nun äußern Verfassungsrechtler und Politikwissenschaftler durchaus Sympathie für die Versuche, die junge Generation mit einzubeziehen in Entscheidungen, die sie betreffen. Nur sind sowohl "Familienstimmen", als auch der mit dem Wahlführerschein verbundene Bruch mit dem Gleichheitsprinzip mit den Grundideen einer Demokratie nicht vereinbar.
Bitte nicht missverstehen: Ich halte es nicht für falsch, das 16-Jährige wählen dürfen, nur wenn, dann entscheidet der Gesetzgeber eine Senkung des Wahlalters.
Auch der Verfassungsrechtler Prof. Michael Brenner von der Uni Jena hält 16-Jährige heute für durchaus reif genug, politische Prozesse einzuordnen, verweist aber auch auf gewisse systematische Widersprüche. Man ist erst mit 18 Jahren volljährig und darf erst dann Rechtsgeschäfte tätigen, darf aber mit 16 schon an der Wahl der Repräsentanten teilnehmen? Das passt nicht zusammen. Entweder alles mit 16 oder gar nichts.
Deswegen muss man genau überlegen, ob man nicht im Rahmen einer systematischen Gleichordnung andere Rechtbereiche auf das Alter von 16 einjustiert.
Das Gleichheitsprinzip im Deutschen Wahlrecht
Wichtig in dem Zusammenhang ist auch der Grundsatz, dass jede Stimme, also jeder Wähler, das gleiche Gewicht haben muss. Das Gleichheitsprinzip ist eine tragende Säule unseres Wahlrechts und unserer Demokratie. Bei Familienstimmen ist das nicht mehr gegeben, wenn sich jemand mit vier Kindern dann mit einer vierfachen Stimme einbringen kann, so Prof. Brenner.
Und wenn man wie bei einem Wahlführerschein quasi die persönliche geistige Reife als Wahlrechtskriterium hinzuzieht, dann ist man automatisch mittendrin in einer Diskussion, ab wann jemand mit niedrigem Bildungsabschluss oder im fortgeschrittenen Alter das Wahlrecht entzogen werden sollte. Nach dem Rauswurf aus der Hauptschule oder erst bei einer Mitwirkung in einem RTL2-Reality-Format? Direkt ab 80, oder wenn der Pfleger den Stift halten muss? Oder kehren wir zum preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht zurück? Das jeweilige Stimmgewicht war damals abhängig von der Höhe der gezahlten Steuern. Das alles ist verfassungsrechtlich nicht machbar und einer Demokratie unwürdig.
Wenn doch alles so einfach wäre
Hier sind wir wieder ganz bei Prof. Gerd Gigerenzer. Ein Gedanke hinter dem Wahlführerschein ist ja auch, dass mehr Menschen "informiert wählen". Denn unsere immer komplizierter werdende Welt sorgt leider dazu, dass Regeln und Gesetze nicht mehr verstanden werden. Das senkt die Akzeptanz und ist ein großes Problem für die Demokratie. Im Ergebnis werden an den Wahlurnen geradezu kindisch-bockige Denkzettel-Entscheidungen getroffen, nur um "denen da oben" mal eins auszuwischen.
Während der Politikwissenschaftler Prof. Torsten Oppelland sagt, dass die Demokratie das aushalten muss und jeder mit seiner Stimme machen kann, was er will, sieht Prof. Gigerenzer die komplizierten Regelungen als eine Ursache für viele Probleme unserer Zeit. Ein Professorenkollege von ihm an der Universität Chicago vertrete die These, dass sechs Gesetze ausreichen, um 90 Prozent der Dinge zu regeln. Mit 60.000 Gesetzen habe man dann auch nur 93 Prozent geregelt. Sei es bei Steuern, Sozialleistungen oder im Gesundheitssystem. Dort müssten wir ansetzen, um unsere Demokratie zukunftsfest zu machen.
Hochgradige soziale Probleme mit Hyperkomplexität lösen zu wollen, ist eine falsche Idee.
Quelle: MDR THÜRINGEN/ask
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 17. November 2022 | 16:50 Uhr
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