Kommentar Rechte Hetze und Brandanschläge: Politisch Verantwortliche senden fatale Signale

07. November 2022, 15:18 Uhr

In Deutschland werden wieder Anschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten verübt. Vielerorts und besonders in Ostdeutschland bilden von Rechtsextremen unterstützte Proteste einen Nährboden für eine weitere Radikalisierung. Aus der Politik kommen zwei Reaktionen: Bestürzung und Schockstarre. Beratungsstellen für rassistische Gewalt vergleichen die innenpolitische Situation mit den Jahren 2015 und 2016. Warum haben viele Politikerinnen und Politiker offenbar nichts daraus gelernt? Ein Kommentar.

Torben Lehning
Bildrechte: MDR/Tanja Schnitzler

Brandsätze, Pyrotechnik, Anschläge – allein im Oktober wurden in Deutschland drei Sammelunterkünfte für Geflüchtete angegriffen. In Bautzen wird ein Brandanschlag auf ein Hotel verübt, in dem Geflüchtete untergebracht werden sollten, in Groß Strömckendorf bei Wismar in Mecklenburg-Vorpommern müssen 14 Geflüchtete aus ihrer brennenden Unterkunft fliehen, im bayerischen Krumbach verletzen sich zwei Männer als sie vor den Flammen in ihrer Heimstätte flüchten müssen. Das gab es nicht nur alles schon einmal, das war nie weg.

Warnung vor massivem Anstieg rechter Gewalttaten

Der Dachverband von Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt warnt vor einem besorgniserregenden Anstieg von rassistischer Gewalt, Anschlägen und Angriffen. Franz Zobel von der Thüringer Opferberatungsstelle erklärt, es "drohe eine Eskalation rassistischer Gewalt und Anschläge, wie in den Jahren 2015 und 2016, in denen aufgrund der massiven rassistischen Mobilisierung täglich mindestens vier bis fünf Menschen in Ostdeutschland und Berlin Opfer eines rechten Angriffs geworden sind".

Bundesinnenministerin Nancy Faeser besucht den Tatort in Mecklenburg-Vorpommern, zeigt sich entsetzt und fordert eine schnelle Aufklärung. Bestürzte Reaktionen kommen auch von den Innenministern der Länder und Lokal-Politikern. Doch Bestürzung alleine reicht nicht aus.

Rechtsstaat darf nicht vor Volksverhetzung kapitulieren

Wie kann es sein, dass in Leinefelde-Worbis in Thüringen ein CDU-Landrat eine bereits angemietete Unterkunft für Geflüchtete wieder aufkündigt, weil anonyme Hetzer damit drohen, eine Bürgerinitiative zu gründen? Der Rechtsstaat kapituliert vor rassistischen Drohbriefen – die Thüringer SPD spricht von einem "fatalen Signal". Damit haben die Sozialdemokraten wohl recht, aber diese Feststellung alleine reicht ebenfalls nicht aus.

Wenn ein Lösungsvorschlag des sächsischen Innenministers Armin Schuster lautet, dass man "die irreguläre Migration nicht ukrainischer Geflüchteter begrenzen" müsse, reicht das nicht nur nicht aus, sondern verkennt auch noch das Problem. Menschen, die Anschläge auf Geflüchtete verüben, interessieren sich nicht für deren Nationalität. Wer ihrer Ansicht nach nicht in Deutschland geboren wurde oder nach Deutschland flieht, ist unerwünscht.

In rechtsextremen Chatgruppen wird längst auch gegen ukrainische Geflüchtete gehetzt. Sie werden genauso diffamiert wie Geflüchtete aus Syrien oder dem Irak. Die "Zustrom-" oder "das-Boot-ist-voll-Rhetorik", gepaart mit Handlungsaufforderung an die Bundesregierung, den "Sozialtourismus" zu beenden, all das war schon vor sieben Jahren eine schlechte Idee. Es wird auch nie eine gute Idee sein.

Die ostdeutschen Innenminister reagieren auf die jüngsten Brandanschläge auf Asylunterbringungen und kündigen eine Überprüfung ihrer Schutzkonzepte an. Sachsens Innenminister weist jedoch darauf hin, dass die Sicherheit der Wohnobjekte in allererster Linie Sache der privaten Betreiber sei. Die Frage drängt sich auf: Was die Evaluierung nach 1.031 Angriffen auf Unterbringungen für Geflüchtete im Jahr 2015 gebracht hat, wenn es jetzt eine Neubewertung braucht?

Hass und Hetze deutlich widersprechen

Anschläge werden vor allem dann verübt, wenn sich die Täter durch ihr Umfeld gedeckt fühlen und für ihre Ansichten Zuspruch erfahren. Aktuell verstetigt sich gerade im Osten erneut ein Protestmilieu, in dem oft Kritik, Protest und verfassungswidrige Volksverhetzung unwidersprochen koexistieren.

In vielen ostdeutschen Klein- und Großstädten finden wieder wöchentliche Demonstrationen gegen Krieg, Zuwanderung, Corona-Maßnahmen und Energiepreise statt. Das Potpourri der Themen steht dem Potpourri der Teilnehmenden in nichts nach. Ein Großteil der Demonstrierenden kommt aus der bürgerlichen Mitte, so die einheitliche Meinung der ostdeutschen Innenminister am 4. Oktober. Das mag stimmen, beantwortet aber nicht die Frage: Warum diese Protestierenden der bürgerlichen Mitte so oft keine Distanz zu offensichtlich rechtsextremen Demonstrationsteilnehmern in ihren Reihen erkennen lassen.

Wenn die vom Verfassungsschutz als rechtsextreme Partei eingestuften "Freien Sachsen" Proteste organisieren, vom Netto-Parkplatz in Bannewitz, bis zum Meeraner Marktplatz, und die bürgerliche Mitte mitläuft, dann ist das mehr als besorgniserregend. Demonstrationen, bei denen Rechtsextremisten nicht ausgeschlossen-, sondern als Verbündete mit kruden Ansichten behandelt werden, bilden einen Nährboden für Terrorzellen. Das hat die Gruppe Freital gezeigt. 

Was kann, was sollte Politik tun? Ein Anfang wäre es, keine Reden auf Marktplätzen halten, auf denen Fahnen von Rechtsextremisten wehen und damit deren Teilnahme am politischen Diskurs normalisieren.

Ein weiterer Schritt wäre es, Demonstrationen, die nicht angemeldet sind, konsequent zu unterbinden. Und das beste Schutzkonzept für die Unterbringung von Geflüchteten ist, diese dezentral unterzubringen. Das wäre nicht nur ein Gewinn für die Sicherheit von Menschen, sondern auch für deren Integration. Doch nicht nur Politikerinnen und Politiker sind gefordert.

Wenn Hetzer offen oder anonym politische Entscheidungsträger einschüchtern, ist es nicht nur Aufgabe der Politik sich dem entgegenzustellen, sondern vor allem eine Aufgabe der Zivilgesellschaft.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 04. November 2022 | 18:00 Uhr

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